Details
Autor | Le Soldat, Judith |
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Herausgeber | Judith Le Soldat-Stiftung; Gsell, Monika (Hg.) |
Verlag | frommann-holzboog |
Auflage/ Erscheinungsjahr | 30.09.2021 |
Format | 21 × 14,8 cm |
Einbandart/ Medium/ Ausstattung | Paperback |
Seiten/ Spieldauer | 336 Seiten |
Abbildungen | 16 Abbildungen |
Gewicht | 527 |
Reihe | Judith Le Soldat-Werkausgabe, Band 4 |
ISBN | 9783772826849 |
»Das Buch ist, wie der Verlag [gemeint ist der S. Fischer Verlag, Anmerkung d.R.] richtig bemerkte, ein sozialwissenschaftliches; mit den Mitteln der Psychoanalyse habe ich in erster Linie das gesellschaftliche Phänomen »Masochismus« untersucht, habe sozusagen die »Freiwillige Knechtschaft« auf die Couch gelegt. Konsequenterweise hätte das Buch Die Utopie der Freiwilligen Knechtschaft heissen sollen, ein Titel, den der Verlag als »unverständlich« ablehnte. Das ärgert mich immer noch, denn dieser Titel hätte auf den kleinsten Nenner gebracht, was ich sagen wollte: Wenn die »Knechtschaft«, die heute als eine »freiwillige« erscheint, wirklich freiwillig würde, hätten wir einen utopischen Zustand erreicht. Denn freiwillige Knechtschaft kann nichts anderes sein als die lustvolle Befriedigung masochistischer Triebwünsche; dagegen ist die psychologische Realität die, dass der ödipale Konflikt kategorisch eine Lösung fordert, der masochistische Ausgang so gut wie jeder andere auch ist - und ebenso durch die innere Notwendigkeit erzwungen, die gesellschaftliche Realität indes, dass die »Freiwillige Knechtschaft« eine dem Individuum aufgedrängte Knechtschaft ist, nicht eine mit Brachialgewalt erlangte, sondern durch lautlose, subtile Prozesse erschlichene. »Freiwillig« erscheint diese allerdings nur einem, der die ungleiche Allianz von Herrschaftsinteresse und halluzinatorischer Wunschbefriedigung als einen gerechten Handel zwischen zwei gleichwertigen Partnern sehen will. Nichts anderem als dem Nachweis der Mechanismen zwischen Individuum und Gesellschaft ist der grösste Teil der Arbeit gewidmet, welche zuerst die Knechtschaft physisch erzwingen, dann psychisch etablieren und schliesslich als »freiwillig« verschleiern, um sie besser ausbeuten und vor Veränderungen schützen zu können. (...)«
Judith Le Soldat, Aus einem in ihrem Nachlaß gefundenen Notiz zu diesem Werk und seiner Editionsgeschichte
Zu diesem Band der Werkausgabe
Kritisch ediert, revidierte, kommentiert und von Monika Gsell eingeleitet Neuausgabe auf der Basis der 1989 bei S. Fischer erschienenen EA.
Mit Band 4 der Werkausgabe wird Judith Le Soldats erste, 1989 erschienenen Monografie neu aufgelegt. Ausgangspunkt der Studie ist die Frage, weshalb so viele Menschen die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse unterstützen, unter denen sie objektiv betrachtet Schaden nehmen und nicht selten auch körperlich /seelisch leiden. Le Soldat widerlegt im Verlaufe ihrer Untersuchung die These von der »freiwilligen Knechtschaft« (Étienne de La Boétie), wonach die Menschen einen heimlichen, nämlich »masochistischen« Genuss aus autoritären Strukturen beziehen würden. Gleichzeitig entwickelt sie ein neues, psychoanalytisches Verständnis von Masochismus und beschreibt die psychischen Verhältnisse, unter denen körperlicher Schmerz zur Bedingung für eine als befriedigend erlebte Abfuhr von Triebspannung wird.
Inhalt des Bndes
Editorische Einleitung - Zum vorliegenden Band, S. 7
I Judith Le Soldat über ihr Masochismus-Buch - ein Dokument aus dem Nachlass
II Zu den beiden Gedankensträngen im Masochismus-Buch
- Zur Entstehungsgeschichte des Masochismus-Buches, S. 80
- Textgrundlagen der Neuausgabe und Editionsprinzipien, S. 81
- Kennzeichnung der Materialien, : 83
- Literaturverzeichnis zur Einleitung, S. 86
- Danksagung, S. 90
- Freiwillige Knechtschaft, S. 91
I Triebanspruch und Wunscherfüllung 93
- 1 Die Entflechtung von Aggression und Sexualität, S. 93
- 2 Die Identifikation mit dem Aggressor findet nicht statt, S. 103
- 3 Bemerkenswerte Allianzen, S.111
- 4 Eine »Panne« in Deutschland, S. 135
- 5 Drei Lehren aus einem objektiven Triumph, S. 140
- 6 Von der Notwendigkeit der Lüge, S. 150
- 7 Die Fähigkeit zu schweigen und die Aufgabe der Theorie, S. 159
- 8 Ein entwaffnender Widerspruch, S. 171
- 9 Vom Sadismus zum Todestrieb, S. 180
II Die Ökonomie der Erregung
- 1 Der Traum der Trommlerin, S. 209
- 2 Eine weibliche Rettungsphantasie, S. 218
- 3 Der Hund des Physikers, S. 224
- 4 Jemand kommt zu spät , S. 229
- 5 Das diagnostische Dilemma, S. 233
- 6 Zwei Wege zum Masochismus, S. 240
- 7 Die freiwillige Knechtschaft, S. 251
- 8 Die Suche nach dem »subjektiven Faktor«, S. 257
- 9 Eine kleine Fehlleistung, S. 263
- 10 Über die Nutzung der Triebenergie, S. 271
- 11 Aggression, Geschlechtsunterschied und die infantile Neurose, S. 279
- 12 Das Prinzip des Todestriebes, S. 304
- 13 Onanietechnik und Angstsignal, S. 320
III Die masochistische Lust
- 1 Ein Beitrag zur Spannungsminderung, S. 345
- 2 Lust und Dauer, S. 359
- 3 Das Objekt der Identifikation, S. 365
- 4 Eine vergessene Kulturleistung, S. 381
- 5 Glanz und Elend des Über-Ichs, S. 397
- 6 Wer hat Angst vor der Kastration?, S. 422
- 7 Unvermeidliche Schmerzen, S. 445
Anhang 463 / Materialien aus dem Nachlass 465 / Werkverzeichnis Judith Le Soldat 469 / Literaturverzeichnis 471 / Register 489
Aus der umfassenden editorische Einleitung
"Bei dem hier vorliegenden vierten Band der Judith Le Soldat-Werkausgabe handelt es sich um eine Neuausgabe des 1989 unter dem Titel Freiwillige Knechtschaft. Masochismus und Moral erschienenen Buches. Das Masochismus-Buch - wie wir es im Folgenden nennen werden - war nicht nur Le Soldats erste publizierte Monographie, sie kann auch inhaltlich als »Frühwerk« bezeichnet werden. Sie entwickelt in diesem Buch eine ganz eigene Konzeption von Masochismus - eine Konzeption, die sozusagen quer zu allen bisherigen psychoanalytischen Konzeptionen liegt und sich auch der Zuordnung zu Freuds bekannter Unterscheidung von erogenem, femininem und moralischem Masochismus entzieht. Denn Le Soldat konzipiert Masochismus als eine Neurose, genauer: als einen Spezialfall der ödipalen Entwicklung.1 Um einen Spezialfall handelt es sich, weil sowohl die Ausgangsbedingungen der ödipalen Entwicklung, als auch in der Folge die Konflikte, die Abwehrformationen und der Verlauf der »masochistischen« ödipalen Entwicklung von dem, was wir im Lichte der klassischen Theorie gewöhnlich erwarten, abweichen.
Wer mit dem späteren Werk von Le Soldat vertraut ist, wird allerdings spätestens ab dem zweiten Teil des Buches feststellen, dass sich vieles von dem, was sie hier als einen Spezialfall der ödipalen Entwicklung konzipiert, schon in ihrem Folgewerk, der 1994 erschienenen Theorie menschlichen Unglücks , als das Fundament und die Ecksteine ihrer neuen, allgemeinen Theorie der ödipalen Entwicklung erweisen wird. Ein close reading des Buches lässt zudem erkennen, dass diejenigen Teile des Masochismus-Konzeptes, die in der neuen Ödipus-Theorie keinen Platz fanden, in die von ihr später konzipierten Spezialfälle des postödipal erfolgenden Entwicklungsschrittes einfliessen und dort weiterentwickelt werden.
Von dem im vorliegenden Band entwickelten Masochismus-Konzept bleibt deshalb genau betrachtet nicht viel übrig: Es geht als MasochismusKonzept gewissermassen sang- und klanglos unter resp. stillschweigend in ihrem späteren Werk auf.
Diese Feststellung bedeutet nun allerdings nicht, dass das Masochismus-Buch bedeutungslos geworden wäre, im Gegenteil: Liest man das Werk vor dem Hintergrund von Le Soldats späterer Theoriebildung, kommt es einem vor, als ob man gerade eine neue archäologische Schicht entdeckt hätte, von der man im ersten Moment nicht so recht weiss, wie sie sich zu den bereits bekannten Schichten verhält - bis man einige zunächst als unscheinbar, bedeutungslos oder unverständlich erscheinende ´Stücke` nebeneinanderlegt und plötzlich erkennt, dass das, was da vorliegt, sich für das Verständnis von Le Soldats Werk insgesamt von grösster Bedeutung erweisen dürfte, und dies in (mindestens) zwei Hinsichten: Zum einen erlaubt es das Masochismus-Buch, die Genese von Le Soldats eigenständigem Beitrag zur Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie genauer nachzuvollziehen als bisher und dadurch sowohl inhaltlich besser verstehen als auch theoriegeschichtlich besser einordnen zu können. Zum anderen liegt die Bedeutung des Masochismus-Buches u. E. darin, dass es eine Fülle von Anhaltspunkten bietet, um den ungeschriebenen, lediglich mündlich überlieferten Teil des Theoriegebäudes in seiner Anlage und seiner systematischen Ausrichtung besser einschätzen zu können als bisher.
Eine genauere Ausarbeitung unserer Ideen, in welcher Form Le Soldats spätere Theorien - publizierte und mündlich überlieferte - im vorliegenden Werk schon angelegt sind, muss einer gesonderten wissenschaftlichen Arbeit vorbehalten bleiben. Wenn wir die Keime der späteren Theorien im ersten Teil unserer Einleitung trotzdem in Form einer Skizzierung darstellen, so hat dies vor allem einen Grund: Wie wir an einigen Stellen zeigen werden, können sie als Orientierungshilfe dienen, um sich in den Unschärfen und Widersprüchlichkeiten von Le Soldats Konzeptarbeit im Masochismus-Buch besser zurechtzufinden. Der zweite Teil der Einleitung widmet sich Le Soldats Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen und der Frage, wie sich Psychoanalyse und Gesellschaftstheorie zueinander verhalten. Das sind Themen, die in ihrem späteren Werk kaum mehr vorkommen.
Bevor wir aber unsere eigenen Überlegungen zum Masochismus-Buch darlegen, möchten wir Le Soldat selbst das Wort geben: Im Nachlass der Autorin fand sich ein sieben Seiten umfassendes Typoskript, in dem sie selbst darstellt, worum es in dem Buch geht, weshalb sie es geschrieben hat und welche Aspekte ihr dabei besonders wichtig waren. Dieses Dokument muss sie kurz vor oder nach dem Erscheinen des Buches verfasst haben, und zwar - wie einer nachträglich hinzugefügten, handschriftlichen Notiz
am oberen Rand der ersten Seite zu entnehmen ist - für Paul Parin. Dieses Dokument geben wir im Folgenden in edierter Form vollständig wieder.
I Judith Le Soldat über ihr Masochismus-Buch - ein Dokument aus dem Nachlass
Das Buch hat zwei Gedankenstränge:
- 1. »Masochismus« ist ein psycho-sexuelles Syndrom: eine durch innere Konflikte und konstitutionelle Grössen hervorgebrachte Entwicklung mit eigentümlichen Reaktionen und Einstellungen.
- 2. »Masochismus« ist das Symptom einer gesellschaftlichen Kraft, welche auf das Individuum einwirkt: ein gesellschaftlich bedingtes und erzeugtes Fühlen und Handeln des Einzelnen.
Das Ziel der Arbeit:
- 1. Masochismus im Individuum zu lokalisieren: Ist Masochismus eine genuine Triebkraft? Anzeichen eines besonderen Konflikts? eine Art der Abwehr? Dann: Entwicklungslinien verfolgen und mögliche Ursachen benennen.
- 2. Die gesellschaftlichen Bedingungen untersuchen, welche masochistische Symptome im Individuum hervorbringen können.
- 3. Ganz besonders aber: das Zwischenreich abschreiten, das Individuum und Gesellschaft verbindet.Welche Gesetze wirken da? Wie geht die Beeinflussung vor sich? Welche Kräfte, welche Kraftverhältnisse herrschen? (Was heisst das: »Soziale Amnesie« (Jacoby), was »Gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit« (Erdheim); beide haben Phänomene beschrieben, aber keine Mechanismen aufgezeigt, nicht ins Räderwerk der Synapse geschaut, gerade das aber interessierte mich!) (...)"
.Judith Le Soldats (1947–2008) Beitrag zur Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie beinhaltet eine grundlegende Revision der klassischen Auffassung des Ödipuskomplexes und, darauf aufbauend, eine neue psychoanalytische Theorie der Homosexualität.
Die auf 5 Bände angelegte, mit editorischem Kommentar und Schlagwortverzeichnis versehene Werkausgabe macht Le Soldats Schriften in ihrem konzeptuell eng aufeinander bezogenen Zusammenhang zugänglich. Sie umfasst die Erstveröffentlichung der beiden aus dem Nachlass herausgegebenen Bände zur Homosexualität, legt die vergriffenen Monografien von 1989 und 1994 neu auf und versammelt die in verschiedenen Zeitschriften erschienenen Artikel in einem Band.
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