Details

Autor Lurie, Boris
Verlag Wallstein Verlag
Auflage/ Erscheinungsjahr 08.03.2021
Format 20 × 12 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Hardcover
Seiten/ Spieldauer 298 Seiten
Gewicht 417
ISBN 9783835338876

Zu diesem Roman

Zum ersten Mal auf Deutsch: Der Roman von Boris Lurie verbindet die Gewalt der KZs mit der zerstörerischen Energie der Kulturindustrie. Radikal und provokant wie kein Autor zuvor.

Bobby ist in New York regelmäßig zu Gast - oder sollte man besser sagen: gefangen? - im »Haus von Anita« und lässt sich dort zusammen mit drei weiteren Männern von den Gebieterinnen des Hauses zur sexuellen Befriedigung quälen und misshandeln. Was auf der Oberfläche wie ein pornographischer S/M-Roman in Szene gesetzt wird, ist auf einer anderen - Meta- Ebene die kaum ertrögliche Darstellung der menschenverachtenden Nazigräuel.

Ruth Klüger hat in der detailgenauen Darstellung der Lager die Gefahr einer »Pornographie des Todes« gesehen. Wie ein auf die Spitze getriebener Beweis ihrer provokanten These liest sich dieser Text, an dem Boris Lurie mehr als 40 Jahre arbeitete. Auch er war ein Überlebender der Shoah und er war Mitbegründer der NO!art-Bewegung, die sich vor allem gegen die Pop Art und eine selbstgefällige Konsumgesellschaft wendet.

Die industrielle Zerstörung der Körper in den Lagern wird hier bis zur Unerträglichkeit mit ihrer kulturindustriellen Vernutzung durch Konsum, Kommerz und Pornographie verschränkt. Lurie verarbeitet in diesem Buch nicht nur seine Erfahrung der KZs, sondern fragt auch eindringlich nach der Bedeutung der Kunst nach der Shoah. Eine Lektüre, die erlitten, im selbsreflexiven Prozess durchgearbeitet, meditiert werden will.

Stimmen zu diesem Roman

"(...) „Haus von Anita“ ist gleichsam das literarische Pendant von Luries ästhetischer Strategie, Genozid und Pornographie visuell zu verzahnen, um die „Banalität des Bösen“ zu geißeln. Der Roman spielt in einem Apartmenthaus auf der Upper West Side in New York, in dem sich drei Herrinnen drei geschorene Sklaven und einen Kapo halten.

Diesen Dominas, oder den Gästen des Etablissements, müssen die drei zu Diensten sein. Sie werden sexuell missbraucht, gefoltert oder müssen perverse Spiele über sich ergehen lassen. Nie zweifeln sie jedoch an ihrem Daseinszweck: der „Heiligkeit des Niederkniens vor den Starken“.
Luries Buch ist nicht jugendfrei. Obwohl er sich deren Bildwelt bedient, ist der von Blut-, Sperma- und Exkrementen überquellende Roman aber keine Pornographie.

Das Bild sadomasochistischer Abhängigkeit, das Lurie darin konstruiert, ist eine Metapher für das perfide Vernichtungssystem der Nazis, für die Selbstunterwerfung im Gefängnis des Kapitalismus ebenso wie ein Sinnbild des pervertierten Eros der Zeit. (...)"  -  Ingo Arend, auf: Deutschland Radio Kultur (24.03.2021

Der Autor

Boris Lurie (* 18. Juli 1924 in Leningrad, Sowjetunion; † 7. Januar 2008 in New York City) war ein US-amerikanischer bildender Künstler und Autor.

Boris Lurie wurde 1924 in Leningrad (Russland) in einer säkularen jüdischen Familie geboren. Seine Mutter war eine radikal sozialistische Zionistin und Zahnärztin, sein Vater war Kaufmann. Lurie hatte zwei ältere Schwestern, Assja und Josephina.[1] Nach dem Tod von Lenin im Jahr 1925, ein Jahr nach seiner Geburt, wurde der Betrieb von seinem Vater beschlagnahmt. Daraufhin floh zuerst seine Mutter und anschließend der Rest der Familie in die damalige Sowjetunion, um sich in Riga, Lettland niederzulassen. Bereits in jungen Jahren bemerkte eine Cousine seiner Mutter, eine Werbegrafikerin, sein künstlerisches Talent. Im Jahr 1937 schuf Lurie sein erstes Kunstwerk.1940 wurde Lettland von der Sowjetunion okkupiert.

1941 bis 1945: Vier Jahre in Konzentrationslagern

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Riga am 1. Juli 1941 begann die systematische Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Der Willkür und Gewalt der deutschen Besatzer und einheimischen Kollaborateure ausgeliefert, wurde Luries Familie zur Umsiedlung in das am 21. Juli 1941 in der Moskauer Vorstadt von Riga gebildete Rigaer Ghetto gezwungen. Als dieses ab Ende November 1941 „freigemacht“ wurde, um für Juden-Deportationen aus Deutschland Platz zu gewinnen, wurde Lurie Zeuge des Massaker von Rumbula, bei dem am 30. November und am 8. Dezember 1941 rund 28.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder in dem nahen Wald von Rumbula umgebracht wurden. Unter den Ermordeten waren Luries Mutter, seine Großmutter, seine jüngere Schwester Jeanna sowie seine Mitschülerin und Jugendliebe Ljuba Treskunowa. Lurie befand sich zu diesem Zeitpunkt zusammen mit seinem Vater Ilja unter den „Arbeitsfähigen“ der Arbeitskommandos, die im so genannten „Kleinen Ghetto“ (einem separierten Teil des „Großen Ghettos“) gefangen gehalten und vorläufig (noch) verschont wurden.

Vater und Sohn überlebten den Massenmord. Beide wurden von 1941 bis 1945 von einem Konzentrationslager ins nächste verschleppt: Riga-Kaiserwald, Salaspils (auch: Lager Kurtenhof), Lenta, eine Außenstelle des KZs Riga-Kaiserwald und Werkstatt der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD), in der Luxuswaren für die höheren SS-Offiziere hergestellt wurden, Stutthof, schließlich ins KZ Buchenwald (Buchenwald-Außenlager Polte-Werke).

Im April 1945 wurden Boris Lurie und sein Vater durch die Ankunft amerikanischer Truppen in Magdeburg befreit. Da er die deutsche und die englische Sprache beherrschte, arbeitete Boris Lurie für den amerikanischen Geheimdienst Counter Intelligence Corps (CIC) als Dolmetscher bei Verhören NS-Verdächtiger, danach in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager in Babenhausen.

Emigration in die USA und Wirken als Künstler

Am 18. Juni 1946 emigrierte Lurie zusammen mit seinem Vater in die USA nach New York.[1] Er bezog mit seinem Freund Rocco Armentosin eine Wohnung an der Columbia Street in der Lower East Side und begann als Künstler zu arbeiten. Im Jahr 1947 begann er mit seiner Kunstserie „Dismembered Women“. Im Jahr 1950 hat seine erste Einzelausstellung in der Creative Gallery und der Barbizon Plaza Galleries in New York stattgefunden.

1951 kehrte Lurie erstmalig nach Kriegsende nach Europa zurück, wo er in Paris die Künstler und Schriftsteller Louis Aragon, Francis Salles, Wols und Pierre Soulages kennenlernte. Zwischen den Jahren 1954 und 1955 verbrachte er viel Zeit in Paris und teilte ein Atelier mit dem Künstler Ed Clark.

1959 war er einer der Mitbegründer der New Yorker NO!art-Bewegung, einer Künstlerformation, die in den späten 1950er Jahren als Gegenentwurf zum Abstrakten Expressionismus und zur aufkommenden Pop-Art entstand.

Luries unästhetische, provokativ-extreme Collagen, Skulpturen und literarische Arbeiten, in denen er (vordergründig) Widersprüchliches aufeinander prallen ließ, entstanden auf dem Hintergrund der am eigenen Leib erfahrenen Grausamkeiten. In einem Brief an den Kunsthistoriker Thomas Baer Hess, den Herausgeber der Zeitschrift Art news, schrieb Boris Lurie 1962: „Die Grundlagen meiner künstlerischen Erziehung erwarb ich in KZ’s wie Buchenwald.“[2] Unbeirrt beharrlich erinnerte der Shoa-Überlebende an die Kriegsopfer und die Judenvernichtung, stellte sie in einen aktuellen Alltagskontext aus Werbung, Pornografie und Politik, paarte Bilder der NS-Gräuel, der Vergasten mit pornografischen Elementen der Konsumgesellschaft, das Entsetzen mit der Lust.

Seine Arbeiten sind zugleich Protest gegen die ihm zu seicht, zu oberflächlich, zu „entrückt“ erscheinenden vorherrschenden Kunstrichtungen, gegen den etablierten Kunstbetrieb, gegen den sich ausschließlich am Gewinn orientierenden Kunstkommerz. Kunst konnte nach Luries Verständnis nicht Flucht vor der Realität sein, durfte sich nicht entziehen, sondern hatte sich um „die Themen des wirklichen Lebens“ zu kümmern, die Schrecken der Zivilisation zu zeigen – wie Krieg und Gewalt, Unterdrückung und Kolonialismus, Rassismus und Sexismus.

Im Jahr 1975 kehrte Lurie das erste Mal seit 1944 in seine Heimat Riga zurück. Die Reise nach Riga motivierte ihn dazu, seine Memoiren „In Riga“ zu schreiben, woran er die nächsten 30 Jahre arbeitete. (Quelle: Wikipedia)

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