Details
Autor | Lurie, Boris |
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Herausgeber | Knigge, Volkhard; Kirves, Dietmar; Holzboog, Eckhart (Hg.) |
Verlag | frommann-holzboog |
Auflage/ Erscheinungsjahr | 01.01.2003 |
Format | 26.4 × 21.5 cm |
Einbandart/ Medium/ Ausstattung | Hardcover |
Seiten/ Spieldauer | 446 Seiten |
Gewicht | 1490 |
ISBN | 9783980779401 |
Zu diesem Band
›Geschriebigtes – Gedichtigtes. NO!Art in Buchenwald‹ versammelt erstmals Kunstwerke, die Teil der Boris Lurie-Ausstellung in der Gedenkstätte Weimar-Buchenwald 1999 waren, zusammen mit Texten des Künstlers aus den Jahren 1947–2001. Ergänzt wird der Band durch Beiträge einer Reihe befreundeter Künstler aus der NO!art-Bewegung, sowie durch Kommentare und Fotografien.
Aus dem Vorwort des Mitherausgebers
"Vom Dezember 1998 bis in das Frühjahr 1999 hinein hat die Gedenkstätte Buchenwald in ihrem Kunstmuseum eine Retrospektive der bildkünstlerischen Arbeiten Boris Luries gezeigt. Obwohl erste Arbeiten Luries bereits kurz nach Kriegsende entstanden sind, war dies seine erste umfassend angelegte Einzelausstellung in Deutschland. Der NO!art gewidmete Ausstellungen, in deren Rahmen auch Arbeiten von Lurie als einem Gründer dieser im New York der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre entstandenen Künstlerbewegung gezeigt wurden, hatte es zuvor zwei gegeben: 1973 in der Galerie René Block und 1995 in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin. 1988 war in der Edition Hundertmark, Köln, eine als Künstlerbuch von Dietmar Kirves gestaltete Anthologie zur „NO!art“erschienen, die von Boris Lurie und Seymour Krim herausgeben worden war.
Ich erinnere mich noch gut an die Mischung aus Entsetzen und Faszination, die mich beim Durchblättern dieses Buches, auf das mich kurz nach seinem Erscheinen Thomas Howeg in Zürich aufmerksam gemacht hatte, befiel. Ganz augenscheinlich gründeten insbesondere die Arbeiten Luries in der konkreten Erfahrung des zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager. Ganz augenscheinlich schlugen diese Erfahrungen in den Arbeiten immer wieder durch. Und ganz augenscheinlich — und darin lag das Verstörende — setzte Lurie seine ganze Kraft dafür ein, diese Erfahrungen gleichsam im Rohzustand zu halten und wiederzugeben, d.h. ohne nachgetragene Sinngebungen und ohne den Eindruck zu erwecken, diese Erfahrungen ließen sich auch nur annähernd angemessen historisieren, was ja zugleich heißt, symbolisieren. Wer sich auf NO!art einlassen wollte, dem wurde abverlangt, sich mit dem Nationalsozialismus als einer zwar überwundenen aber unabgeschlossenen Geschichte auseinanderzusetzen und sich mit einer Welt zu konfrontieren, in der Gewalt Gewalt, Zynismus Zynismus, Schmerz Schmerz, Schmutz Schmutz, Leid Leid und Lüge Lüge blieb. Sublimation gab es in dieser Welt ebensowenig wie eine Vorstellung von Liebe, die ungeachtet der Vermarktung der (Frauen-) Körper und des Begehrens noch denkbar wäre. Kunst war hier nicht Synonym für das Schöne, Gute und Wahre, sondern Ausdrucksform für das realexistierende Hässliche, Böse und Unaufrichtige, war Müll, war Zerstörung, war Selbstzerstörung mit den ihr eigenen Mitteln und darin zugleich — paradoxerweise — Selbstbehauptung. (...)" - us dem Vorwort von Volkhard Knigge
Der Autor
Boris Lurie (* 18. Juli 1924 in Leningrad, Sowjetunion; † 7. Januar 2008 in New York City) war ein US-amerikanischer bildender Künstler und Autor.
Boris Lurie wurde 1924 in Leningrad (Russland) in einer säkularen jüdischen Familie geboren. Seine Mutter war eine radikal sozialistische Zionistin und Zahnärztin, sein Vater war Kaufmann. Lurie hatte zwei ältere Schwestern, Assja und Josephina.[1] Nach dem Tod von Lenin im Jahr 1925, ein Jahr nach seiner Geburt, wurde der Betrieb von seinem Vater beschlagnahmt. Daraufhin floh zuerst seine Mutter und anschließend der Rest der Familie in die damalige Sowjetunion, um sich in Riga, Lettland niederzulassen. Bereits in jungen Jahren bemerkte eine Cousine seiner Mutter, eine Werbegrafikerin, sein künstlerisches Talent. Im Jahr 1937 schuf Lurie sein erstes Kunstwerk.1940 wurde Lettland von der Sowjetunion okkupiert.
1941 bis 1945: Vier Jahre in Konzentrationslagern
Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Riga am 1. Juli 1941 begann die systematische Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Der Willkür und Gewalt der deutschen Besatzer und einheimischen Kollaborateure ausgeliefert, wurde Luries Familie zur Umsiedlung in das am 21. Juli 1941 in der Moskauer Vorstadt von Riga gebildete Rigaer Ghetto gezwungen. Als dieses ab Ende November 1941 „freigemacht“ wurde, um für Juden-Deportationen aus Deutschland Platz zu gewinnen, wurde Lurie Zeuge des Massaker von Rumbula, bei dem am 30. November und am 8. Dezember 1941 rund 28.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder in dem nahen Wald von Rumbula umgebracht wurden. Unter den Ermordeten waren Luries Mutter, seine Großmutter, seine jüngere Schwester Jeanna sowie seine Mitschülerin und Jugendliebe Ljuba Treskunowa. Lurie befand sich zu diesem Zeitpunkt zusammen mit seinem Vater Ilja unter den „Arbeitsfähigen“ der Arbeitskommandos, die im so genannten „Kleinen Ghetto“ (einem separierten Teil des „Großen Ghettos“) gefangen gehalten und vorläufig (noch) verschont wurden.
Vater und Sohn überlebten den Massenmord. Beide wurden von 1941 bis 1945 von einem Konzentrationslager ins nächste verschleppt: Riga-Kaiserwald, Salaspils (auch: Lager Kurtenhof), Lenta, eine Außenstelle des KZs Riga-Kaiserwald und Werkstatt der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD), in der Luxuswaren für die höheren SS-Offiziere hergestellt wurden, Stutthof, schließlich ins KZ Buchenwald (Buchenwald-Außenlager Polte-Werke).
Im April 1945 wurden Boris Lurie und sein Vater durch die Ankunft amerikanischer Truppen in Magdeburg befreit. Da er die deutsche und die englische Sprache beherrschte, arbeitete Boris Lurie für den amerikanischen Geheimdienst Counter Intelligence Corps (CIC) als Dolmetscher bei Verhören NS-Verdächtiger, danach in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager in Babenhausen.
Emigration in die USA und Wirken als Künstler
Am 18. Juni 1946 emigrierte Lurie zusammen mit seinem Vater in die USA nach New York.[1] Er bezog mit seinem Freund Rocco Armentosin eine Wohnung an der Columbia Street in der Lower East Side und begann als Künstler zu arbeiten. Im Jahr 1947 begann er mit seiner Kunstserie „Dismembered Women“. Im Jahr 1950 hat seine erste Einzelausstellung in der Creative Gallery und der Barbizon Plaza Galleries in New York stattgefunden.
1951 kehrte Lurie erstmalig nach Kriegsende nach Europa zurück, wo er in Paris die Künstler und Schriftsteller Louis Aragon, Francis Salles, Wols und Pierre Soulages kennenlernte. Zwischen den Jahren 1954 und 1955 verbrachte er viel Zeit in Paris und teilte ein Atelier mit dem Künstler Ed Clark.
1959 war er einer der Mitbegründer der New Yorker NO!art-Bewegung, einer Künstlerformation, die in den späten 1950er Jahren als Gegenentwurf zum Abstrakten Expressionismus und zur aufkommenden Pop-Art entstand.
Luries unästhetische, provokativ-extreme Collagen, Skulpturen und literarische Arbeiten, in denen er (vordergründig) Widersprüchliches aufeinander prallen ließ, entstanden auf dem Hintergrund der am eigenen Leib erfahrenen Grausamkeiten. In einem Brief an den Kunsthistoriker Thomas Baer Hess, den Herausgeber der Zeitschrift Art news, schrieb Boris Lurie 1962: „Die Grundlagen meiner künstlerischen Erziehung erwarb ich in KZ’s wie Buchenwald.“[2] Unbeirrt beharrlich erinnerte der Shoa-Überlebende an die Kriegsopfer und die Judenvernichtung, stellte sie in einen aktuellen Alltagskontext aus Werbung, Pornografie und Politik, paarte Bilder der NS-Gräuel, der Vergasten mit pornografischen Elementen der Konsumgesellschaft, das Entsetzen mit der Lust.
Seine Arbeiten sind zugleich Protest gegen die ihm zu seicht, zu oberflächlich, zu „entrückt“ erscheinenden vorherrschenden Kunstrichtungen, gegen den etablierten Kunstbetrieb, gegen den sich ausschließlich am Gewinn orientierenden Kunstkommerz. Kunst konnte nach Luries Verständnis nicht Flucht vor der Realität sein, durfte sich nicht entziehen, sondern hatte sich um „die Themen des wirklichen Lebens“ zu kümmern, die Schrecken der Zivilisation zu zeigen – wie Krieg und Gewalt, Unterdrückung und Kolonialismus, Rassismus und Sexismus.
Im Jahr 1975 kehrte Lurie das erste Mal seit 1944 in seine Heimat Riga zurück. Die Reise nach Riga motivierte ihn dazu, seine Memoiren „In Riga“ zu schreiben, woran er die nächsten 30 Jahre arbeitete. (Quelle: Wikipedia)
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