Details

Autor Kimmerle, Gerd
Verlag edition diskord
Auflage/ Erscheinungsjahr 1997
Format 21.2 × 14.3 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Gebunden
Seiten/ Spieldauer 336 Seiten
SFB Artikelnummer (SFB_ID) SFB-001528_AC

Zu diesem Buch

Im Mittelpunkt der Studie steht die Frage nach der Funktion des Bewußtseins in der Psychoanalyse. Eine rationale Rekonstruktion der psychoanalytischen Aufklärung von verdrängt Unbewußtem soll dabei seine therapeutische und theoretische Bedeutung aufzeigen.

Die Arbeit versteht sich als Plädoyer für die Ablösung der Psychoanalyse von dem empiristischen Wissenschaftsverständnis und dem abbildtheoretischen Wahrheitsbegriff ihres Begründers. Sie möchte dazu beitragen, die erkenntnistheoretische Wende zu einer dialogischen Entzifferung der menschlichen Seele aus ihrer Sprache weiterzuführen, die sonst unvollendet bleiben müßte.

Die einzelnen Kapitel des folgenden Versuches, in einer Auseinandersetzung mit Freuds analytischer Methode eine konstruktivistische Wende einzuleiten, sind einzelne Schritte einer zusammenhängenden Argumentationskette.

Ein Exkurs zu Kant schließt sich an, weil dessen skeptische Methode die Mittel bereitstellt, die verfehlte Fragestellung in der empiristischen Auslegung von Erfahrung aufzudecken, in der Freud erkenntnistheoretisch befangen blieb.

Inhalt

Vorwort

  1. Analytische Ursprungserhellung
  2. Der empiristische Mythos
  3. Konstruktionen der Erinnerung
  4. Das intentionale Sinnkriterium
  5. Entwurf einer Vergangenheit
  6. Erschließung von ergänzend Unbewußtem
  7. Das Rätsel des Bewußtseins
  8. Differenz der Entstellung
  9. Die Wahrheit der Urszenen
  10. Archaische Erbschaft
  11. Übersetzungsregeln der Bewußtseinsbildung
  12. Bewußtseinswahrnehmung
    Exkurs zu Kant

Literaturverzeichnis

Vorwort

"Die hier vorgelegte Arbeit versteht sich als Plädoyer für die Ablösung der Psychoanalyse von dem empiristischen Wissenschaftsverständnis und dem abbildtheoretischen Wahrheitsbegriff ihres Begründers. Was in der Physik mißlungen ist, scheitert auch in der Psychoanalyse. Ihre Beurteilung nach empiristischen Maßstäben verkennt, daß diese selbst einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Die einzelnen Kapitel des folgenden Versuches, in einer Auseinandersetzung mit Freuds analytischer Methode eine konstruktivistische Wende einzuleiten, sind einzelne Schritte einer zusammenhängenden Argumentationskette. Um die notwendig sich doch häufig verzweigenden Gedankengänge leichter verfolgen zu können, sollen sie hier kurz skizziert werden.

Freud hat sich stets mit Schwierigkeiten der analytischen Erinnerungs-rekonstruktion auseinanderzusetzen. Man kann die Geschichte der Psychoanalyse weithin als Geschichte der Entwicklung und Erprobung von Methoden zur Rekonstruktion von unbewußten Erinnerungen und zur Behebung der dabei auftretenden Unsicherheiten auffassen, wobei anzumerken ist, daß die erkenntnistheoretischen Probleme hinter der Auseinandersetzung mit den erinnerungstechnischen Schwierigkeiten verborgen bleiben (Kapitel 1).

Dies liegt an dem empiristischen Vorurteil Freuds, der glaubt, daß die klinische Theorie, die er seiner therapeutischen Praxis verbindet, induktiv aus ihr abgeleitet ist (Kapitel 2).

Freud wird theore-tisch und therapeutisch fortwährend von der Frage beunruhigt, wann eine Erinnerungsrekonstruktion als gelungen betrachtet werden darf. Das pragmatische Wahrheitskriterium des therapeutischen Erfolgs, das er aufstellt, kann die Anforderungen des abbildtheoretischen Wahrheitsbegriffes nicht erfüllen, dem Freud verhaftet bleibt. Auch in der tiefenpsychologischen Ausweitung durch die Traumdeutung, die von der symptomatischen Struktur alles Psychischen ausgeht, wird dieser Widerspruch nicht auf-gelöst (Kapitel 3).

Freud sieht sich zur Einführung eines axiomatisch geltenden Sinnkriteriums für alles Psychische genötigt, um zeigen zu können, daß auch das scheinbar Unsinnige und Unverständliche doch intentional verständlich wird, wenn es gelingt, die unbewußte Absicht ausfindig zu machen, die in entstellter Form in ihm zum Ausdruck kommt (Kapitel 4).

Mit der Rückstellung des verdrängt Unbewußten auf eine Vergangenheit, die in seinen Äußerungen entstellt gegenwärtig ist, wird das Eingeständnis, daß die Vergangenheit unerreichbar bleibt, zum grundlegenden Problem der psychoanalytischen Erklärung überhaupt. In den zugänglichen Erinnerungen bildet sich die Vergangenheit nicht von selbst ab, sie kann in ihnen auch nicht unverfälscht aufgefunden werden. Dies zwingt, wie die biologische und historische Forschung schon gezeigt hat, zum Eintreten in den methodischen Zirkel jeder genealogischen Erklärung. Wer die Vergangenheit zum Schlüssel der Gegenwart machen möchte, muß die Gegenwart als Schlüssel zur Vergangenheit handhaben können (Kapitel 5).

In rekonstruktiven Erklärungen wird Unbewußtes ergänzend erschlossen. Ein unbewußter Sinnzusammenhang verbindet bewußt Unzusammenhängendes und daher Unverständliches. Die Überschreitung des Bewußtseins auf einen unbewußten Zusammenhang, in den es eingebunden ist, ist erforderlich, um das Sinnpostulat der Verständlichkeit auch für es zu erfüllen (Kapitel 6).

Die psychoanalytische Methode, Unbewußtes bewußt zu machen, stellt vor das Rätsel des Bewußtseins, und zwar nicht als hinzutretende Frage, sondern als unverzichtbarer Bestandteil einer transzendentalen Analyse der psychoanalytischen Erfahrung, die sonst unvollständig wäre, weil ohne eine Klärung des Vorgangs der Bewußtseinsbildung auch das Unbewußte unfaßbar wäre. Eine solche Klärung ist notwendig, um die Bedingungen der Mög-lichkeit von psychoanalytischer Erfahrung ermitteln zu können (Kapitel 7).

Die Rekonstruktion des Unbewußten aus seinen symptomatisch ent-stellten Wirkungen (Äußerungen) führt in die empiristisch unlösbare Problematik von Nachträglichkeit und Entstellung. Deutung verborgenen Sinns, von Freud verstanden als Umwendung einer Entstellung, ist nur als Rückübersetzung möglich, die einen aufgelösten Zusammenhang wie-derherstellt. Die von Freud unbemerkte Richtungsverkehrung in seiner Übersetzung von Bewußtem und Unbewußtem ineinander führt zum Zusammenbruch der ursprungslogischen Auslegung des Unbewußten. Die Dekonstruktion des Unbewußten ist im Bewußtseinsbildungsprozeß wirksam. Daraus folgt, daß die Einsetzung des Ich in seine Vorgeschichte, die notwendig ist, um die posthume Wirkung des nachträglich Verstandenen, eine bedeutungsvermittelte Kausalität, erklären zu können, den Leitfaden für eine transzendentale Erörterung der Bedingung der Möglichkeit von Bewußtseinsbildung in der psychoanalytischen Aufklärung von verdrängt Unbewußtem abgeben muß (Kapitel 8).

Freud verharrt jedoch in ur-sprungsrekonstruktiven Deutungen. Er sucht weiterhin nach der Wahrheit der Urszenen (Kapitel 9). Da er zugeben muß, daß er sie in der individuellen Kindheit nicht zu entdecken vermag, greift er auf phylogenetische Schemata und ihre archaische Erbschaft zurück und schließt damit alle Erinnerung und mit ihr die gesamte geschichtliche Überlieferung in die Kreisbewegung des wiederkehrend Ursprünglichen ein (Kapitel 10).

Befangen in ursprungslogischen Denkfiguren, versäumt er es, was doch aus seiner eigenen Analyse hervorgeht, Verdrängung und Entstellung als Konstruktionsregeln eines Bewußtseinsbildungsprozesses zu verstehen, der bildhaft Bewußtes aus der Dekonstruktion des Unbewußten hervorgehen läßt. Es ist eine noch zu leistende Aufgabe, eine psychoanalytische Ausdruckslehre zu entwickeln, die dem methodischen Vorrang des Intersubjektiven vor dem Intrapsychischen gerecht wird (Kapitel 11).

Die wahrnehmungspsychologischen und sprachtheoretischen Ansätze Freuds zu einer Theorie des Bewußtseins und der Erinnerung reichen nicht aus, da sie ihrer intersubjektiven Einfassung sachlich und methodisch nicht gerecht werden. Die Psychoanalyse ist eine empirische Wissenschaft. Gerade deshalb ist es notwendig, sie von dem empiristischen Gerüst zu befreien, um ihr den konstruktivistischen Weg einer intersubjektiven Verständigung ohne vorausgesetzten Wahrheitsvorbehalt zu eröffnen und damit die erkenntnistheoretische Wende zu einer dialogischen Entzifferung der menschlichen Seele aus ihrer Sprache weiterzuführen, die sonst unvollendet bleiben müßte (Kapitel 12).

Ein Exkurs zu Kant wird ange-schlossen, weil dessen skeptische Methode die Mittel bereitstellt, die verfehlte Fragestellung in der empiristischen Auslegung von Erfahrung aufzudecken, in der Freud erkenntnistheoretisch befangen bleibt.

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