Details

Autor Jokl, Anna Maria
Verlag Jüdischer Verlag
Auflage/ Erscheinungsjahr 04.05.1997
Format 19,9 × 12 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 98 Seiten
Gewicht 164
SFB Artikelnummer (SFB_ID) SFB-006698_AC

Zu dieser Veröffentlichung

Im Berlin (West) Anfang der sechziger Jahre konsultieren ein junger Jude und ein junger Deutscher, beide um die 25 Jahre alt, jeder für sich und ohne voneinander zu wissen, die gleiche Psychotherapeutin: Anna Maria Jokl. Ihre Patienten, Yehuda und Volker, zeigen körperliche Symptome und leiden beide seelische Qualen.

In makellos klarer Prosa beschreibt die Jungsche Psychoanalytikerin, Publizistin, Dramaturgin und selbst Jüdin, Anna Maria Jokl in zwei Fallgeschichten die fast zeitgleich stattgefundenen Analysen zweier junger Männer im Westberlin der Nachkriegsjahre: eines jungen Juden, dessen Familie von den Nazis verfolgt und ermordet wurde, der unter Schuldgefühlen leidet und der sich im Land der Täter deplatziert vorkommt und eines junger Deutschen, dessen Psyche in seiner Kindheit von seinem familiären Umfeld, von der nationalsozialistischen Ideologie, an ihren Wurzeln verwüstet wurde.

Aus den Schlussbemerkungen der Autorin

"(....) Als die beiden Behandlungen begannen, war nicht vorauszusehen, daß sie zu einander ergänzenden Einblicken — tiefer, als man es je erwarten konnte—in dunkelste seelische Prozesse unserer Epoche führen würden — in zwei Menschen, die durch ihre Vergangenheit wie dazu bestimmt schienen, unwissentlich Partner in diesem Prozeß zu werden. Immer wieder bewunderte ich meine beiden Patienten dafür, daß sie nicht ausbrachen aus der Höllenfahrt, sondern sich ihr stellten. Aber auch für die Therapeutin war es nicht leicht. Fast überfordert, fragte ich mich öfter, woher die Kraft nehmen, weiter anzuhören, woher das Recht zum Helfen, wenn die Grenzen des Durchhaltens erreicht schienen und Kummer, Mitleid, Grauen mich zu überschwemmen drohten. Aber die Antwort stand nie in Frage: Jemand mußte es erfahren — das Entsetzen beider Seiten. Und da dies meines Wissens niemand anderer bisher getan hatte und da nur eine begrenzte historische Zeitspanne dazu noch blieb — Wenn nicht ich — wer denn? Und wenn nicht jetzt — wann denn?, wie es in den Sprüchen der Väter heißt —, also durfte auch ich nicht ausbrechen, sondern hatte mich zu konfrontieren und standzuhalten.

Das Fazit war, wie geschildert, die unerwartete Tat-sache, daß die Söhne beider Seiten, der Sohn des Verfolgten wie der Sohn des Verfolgers, gleicherweise von der nationalsozialistischen Ideologie an ihren Wurzeln geschädigt worden waren. Beider Existenzen waren nach einer Inkubationszeit von lähmenden Zusammenbrüchen bedroht. Wie sich erwies, mußten beide Verbindungen in der geistigen Vergangenheit finden, die den Abgrund der lebensfeindlichen Doktrin, welche während ihrer Kindheit die Welt gebildet hatte, überbrückten, und beide mußten über ihre leiblichen Väter hinweg in die Vergangenheit zurückreichen. Jehudas und Volkers Behandlung zeigen, was >Bewältigung der Vergangenheit< wirklich bedeutet, und sind daher von mehr als individueller Bedeutung. Doch während für die jüdische Seite in der Zwischenzeit ein neuer Faktor wirksam wurde — die Realität des Staates Israel und, für viele, eine bedeutsame religiöse und historische Tradition (auch hatten sie den Norteili, >nur< die Verfolgten zu sein), ist das deutsche Problem der Bewältigung sehr verschieden davon. Trotz oft ehr-licher oder gewollter Bemühungen mancher Kreise blieb eine weitgehende Erbschaft anscheinend unberührt respektive wurde >umfunktioniert<. Der oft demonstrierte und unkritische Philosemitismus darf nicht mißverständlich als Maßstab für tiefen Wandel angesehen werden. Doch muß man begreifen, wie schwer es ist, mit dem Erbe nach solchem Geschehen jenseits des Vorstellbaren eine authentische Beziehung zu finden. Die Beziehung zwischen dem Mörder und dem Gemordeten ist eine der intensivsten und pflegt weiterzuschwelen, bis eine Lösung gefunden ist. Ich bin überzeugt, daß die Geschichte der ungewöhnlichen Beziehung zwischen Deutschen und Juden nicht beendet ist — ob man es will oder nicht.

Schließlich noch ein Wort zu meiner Situation als Therapeutin, die ohne Präzedenz war. In beiden Fällen war ich durch die besonderen Umstände erstens Therapeut, zweitens Werkzeug der Veränderung meiner Patienten, da sie mich als solches betrachteten, und drittens ein Mensch schlechthin, betroffen von den sich ereignenden Vorgängen. Aber bewußt und dazu bereit, erlaubte ich keiner der drei Haltungen, autonom zu werden oder mich hinter der einen oder der andern zu isolieren, sondern war bewußt bereit, als ganze Person dreifach ungeteiltes Gegenüber zu sein. Das lernte ich nicht in meinem psychologischen Training. Das lernte ich durch Martin Buber, der eine neue Dimension von Beziehung eröffnete. In einer seiner Chassidischen Geschichten berichtet er die Erklärung des Zaddik Moshe Leib, wozu selbst >die Gottesleugnung( geschaffen sei: »Denn wenn einer zu dir kommt und von dir Hilfe fordert, dann ist es nicht an dir, mit frommem Mund zu empfehlen: >Habe Vertrauen und wirf deine Not auf Gott<, sondern dann sollst du handeln, als wäre da kein Gott, sondern auf der ganzen Welt nur einer, der diesem Menschen helfen kann, du allein. « Es ist die schonungsloseste Anforderung. Und so gewann ich neben psychologischer Zeugenschaft die wandelnde Kenntnis, daß selbst noch in den zerrüttetsten Seelen verborgen neue Unschuld liegen kann, wenn ein Funke zum Entzünden verblieb."

Die Autorin

Anna Maria Jokl, Anna Maria Jokl (* 23. Januar 1911 in Wien, Österreich-Ungarn; † 21. Oktober 2001 in Jerusalem) war eine österreichisch-israelische Schriftstellerin, Journalistin und Jungianisch orientierte Psychotherapeutin.

Anna Maria Jokl kam in einem assimilierten jüdischen Elternhaus in Wien zur Welt. 1927 siedelte die Familie nach Berlin über. Jokl arbeitete als Dramaturgin für die UFA, als Journalistin und als Drehbuchautorin. Bei der Uraufführung ihres Experimentalfilms Tratsch im Mai 1933 in Berlin durfte ihr Name als Autorin bereits nicht mehr genannt werden.1933 ging sie mit der ersten Flüchtlingswelle ins Exil nach Prag, wo ihre beiden bekanntesten Kinderbücher ´Die wirklichen Wunder des Basilius Knox` (1937) und ´Die Perlmutterfarbe` entstanden.

Als am 15. März 1939 die „Rest-Tschechei“ besetzt wurde, floh Jokl über Polen nach England. In London engagierte sie sich in sozialen Projekten, setzte sich etwa für die Errichtung eines Heims für Flüchtlingskinder ein, schrieb und inszenierte mit der Gruppe Young Czechoslovakia Theaterstücke für Kinder und begann 1945 mit dem Studium der Tiefenpsychologie, das sie 1949/50 am C. G. Jung-Institut in Zürich fortsetzte. Das Nichtbestehen ihrer Prüfung am Institut führte Anna Maria Jokl auf antisemitische Tendenzen bei Carl Gustav Jung und dessen Mitarbeiterin Toni Wolff zurück. Obwohl sie das angestrebte Diplom des Jung-Institutes nie erhielt, arbeitete sie später als Therapeutin, unter anderem für das Jüdische Krankenhaus in Berlin.

Erst 1948 erschien ihr Roman Die Perlmutterfarbe. Ein Kinderroman für fast alle Leute. 1950 zog Jokl aus Anlass einer geplanten Verfilmung der Perlmutterfarbe nach Ost-Berlin, wurde jedoch schon nach kurzer Zeit ohne Angabe von Gründen aus der DDR ausgewiesen. Das von Jokl verfasste Drehbuch wurde abgelehnt. Erst 2008 wurde das Buch von Regisseur Marcus H. Rosenmüller in Die Perlmutterfarbe filmisch umgesetzt, 2013 wurde es in einer Dramatisierung von Christoph Nußbaumeder für das Düsseldorfer Schauspielhaus auf die Bühne gebracht. - Von 1951 bis 1965 lebte und arbeitete Jokl als Psychotherapeutin und Publizistin in West-Berlin, bis sie „in historischer Konsequenz“ (Jokl) 1965 nach Jerusalem zog. (Quelle: Wikipedia, gekürzt)

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