Details

Autor Zaretsky, Eli
Verlag Brandes u. Apsel
Auflage/ Erscheinungsjahr 29.09.2021
Format 24 × 17 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 252 Seiten
ISBN 9783955583088

Zu diesem Buch

In seinem vorliegenden Buch demonstriert Eli Zaretsky das Potenzial des freudianischen Denkens, längst nicht nur individuelle Konflikte zu erkennen und zu behandeln; vielmehr auch den tiefenscharfen Blick auf gesellschaftlich relevante und internationale Konflikte zu lenken. Mithilfe des von ihm entwickelten Konzepts des politischen Freudianismus durchleuchtet er, wie Radikale, Aktivisten und Intellektuelle psychoanalytische Ideen im 20. Jahrhundert nutzten, um Konsumkapitalismus, rassistisch motivierte Gewalt, Antisemitismus und Patriarchat zu erklären und zu kritisieren. Er hebt auch den nach wie vor lebendigen Einfluss und das kritische Potenzial dieser Ideen für die Gegenwart hervor.

Inhalt

  • Einleitung: Der politische Freud
  • 1. Kapitel:Die Psychoanalyse und der Geist des Kapitalismus
  • 2. Kapitel: Jenseits des Blues. Das rassische Unbewusste und das kollektive Gedächtnis
  • 3. Kapitel: Im Schatten des Holocaust. Freuds Moses – neu gelesen
  • 4. Kapitel: Das Ich im Krieg. Von der Todestriebtheorie zu Judith Butlers Precarious Life
  • 5. Kapitel: Von der Ethik der Reife zur Psychologie der Macht. Die Neue Linke, der Feminismus und die Wiederkehr der »gesellschaftlichen Realität«
  • Nachwort: Freud im 21. Jahrhundert
  • Literatur

Aus der Einleitung:

"Die Verbreitung der analytischen Haltung repräsentierte einen bedeutsamen Fortschritt des moralischen Denkens, weil die kritische Selbstreflexion nicht länger auf Handlungen beschränkt blieb, sondern auf Gedanken und Wünsche ausgedehnt wurde. Dieses Buch vertritt die These, dass eine ähnliche Erweiterung oder Neuorientierung auf das Innere auch in der radikalen Politik eingesetzt hatte. Während sich die Mainstream-Liberalen in den Jahren des Kalten Kriegs als Gegner des Faschismus oder »Totalitarismus« verstanden, übten die Radikalen auch am Kapitalismus Kritik. In den Augen der Liberalen wurde der Fortschritt durch äußere antiliberale Kräfte blockiert, während die demokratische Linke gesellschaftsinterne Faktoren wie Klassenausbeutung und ideologische Mystifizierung als fortschrittswidrige Kräfte identifizierte. In entsprechender Weise hatte Freud die Widerstände gegen Rationalität und Fortschritt nicht etwa auf äußere Erschwernisse wie mangelnde Bildung oder Unwissenheit zurückgeführt, sondern auf Kräfte, die dem Bewusstsein und dem Ich inhärent sind. Was den politischen Freudianismus auszeichnete, war also der Versuch, die Fortschrittsblockaden innerhalb der Fortschritts-bewegung selbst aufzudecken. Afroamerikanische Freudianer zeigten, dass Sklaverei und ethnozidale Gewalt keine marginalen oder kontingenten Entwicklungen waren, sondern dem Liberalismus und sogar der schwarzen Befreiungsbewegung innewohnten; feministische Freudianerinnen deckten Misogynie in der Familie und im Denken und Fühlen der Frauen selbst auf; die Freudianer, die sich in Antikriegsbewegungen engagierten, zeigten, dass Gewalt in Massendemokratien und modernen Nationalstaaten entsteht. Somit beruht eine wichtige Unterströmung der radikalen Tradition des 20. Jahrhunderts auf kollektiven Selbstreflektionsprozessen, die über das, was Kommunisten oder Mainstream-Liberale anstrebten, hinausgingen. Wie können wir den politischen Freudianismus in der Gegenwart bewahren und für die Zukunft erhalten?

Heute müssen nur noch wenige Menschen davon überzeugt werden, dass das Maß an Kooperation und Umsicht, für das sich frühere liberale Gesellschaften eingesetzt haben, nicht ausreicht, um Probleme wie die soziale Ungleichheit, die die jahrzehntelange Vorherrschaft des Neoliberalismus begleitete, oder die Gefahren des Klimawandels lösen zu können. Was nach Erklärung verlangt, sind die inneren Blockaden, die es uns verwehren, das notwendige Maß an Kooperation und Umsicht zu realisieren. Ebenso wie in der Vergangenheit wurzeln diese Hindernisse nicht nur in dem mitunter kleingeistigen Eigeninteresse der Eliten, sondern auch in der Oberflächlichkeit der progressiven Bewegungen selbst. Damit die radikale Tradition in eine neue Phase eintreten kann, muss sie sich mit ihrer eigenen Geschichte und Identität auseinandersetzen. Dann wird deutlich werden, dass das heutige Selbstverständnis des Radikalismus, sich vor nur einer Generation aus eigener Kraft hervorgebracht zu haben, keine Illusion ist, sondern, schlimmer, das Resultat einer Verdrängung, die bewirkte, dass weder die politischen Freudianer jener Vergangenheit noch die allgemeine Krise des 20. Jahrhunderts, deren Erben wir sind, Anerkennung finden. Dieses Versäumnis macht es wahrscheinlicher, dass wir die blinden Flecken der Vergangenheit wiederholen, statt die regressiven Kräfte unserer Gegenwart, die sich wie üblich als die fortschrittlichsten ausgeben, zu identifizieren. (...)"

Stimmen zum Buch

»Ein konsequentes, überzeugendes Plädoyer […] für die auch in der Welt des frühen 21. Jahrhunderts fortdauernde Relevanz Freuds und der freudianischen Psychoanalyse.«

in: Times Literary Supplement

»Eine faszinierende und überzeugende Darstellung der kulturellen und philosophischen Einflüsse der Psychoanalyse […], die zeigt, dass psychoanalytisches Denken tief mit US-amerikanischen politischen Bewegungen – konservativen und progressiven - verwoben ist. Unverzichtbar für jeden, der sich für das Denken und die Politik im 20. Jahrhundert interessiert.«

in: Choice

Der Autor

Eli Zaretsky promovierte 1978 an der Universität Maryland. Er ist Professor für Geschichte an der New School University in New York City, Autor und Psychoanalytiker. Sein Buch Capitalism, the Family, and personal Life (Die Zukunft der Familie, dt. 1978) wurde in viele Sprachen übersetzt. Im deutschsprachigen Raum wurde Zaretsky bekannt durch sein Buch "Freuds Jahrhundert. Die Geschichte der Psychoanalyse", welches im Paul Zsolnay Verlag erschienen und nur noch in wenigen Exemplaren vorrätig ist.

Die Übersetzerin

Elisabeth Vorspohl lebt und arbeitet als Übersetzerin, Lektorin und Rezensentin in Bonn. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Psychoanalyse und Geschichte. Zu den von ihr übersetzten Autoren zählen u. a. Wilfred R. Bion, Shmuel Erlich, Peter Fonagy, Anna Freud, Patrick Geary, Melanie Klein, Ilany Kogan, Thomas Kohut, Mark Solms und Joel Whitebook.

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