Details

Herausgeber Ash, Mitchell G. (Hg.)
Verlag Brandes u. Apsel
Auflage/ Erscheinungsjahr 2010
Format 20.7 × 14.5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 344 Seiten
SFB Artikelnummer (SFB_ID) SFB-011163_AC

Zu diesem Buch

Die Vermutung liegt nahe, dass eine der Aufklärung verpflichtete Wissenschaft und Therapie wie die Psychoanalyse in einer Diktatur schlechterdings kaum möglich ist. Dennoch hat sie sich auch in diversen autoritär geführten und diktatorischen Regimen - wenn auch unter schwierigen Rahmenbedingungn - etablieren und erhalten können, wenn auch unter Bedingungen, die sich von denen psychoanalytischer Arbeit in liberaler geprägten Ländern grundlegend unterscheiden.

Wie dies möglich war und ist und welche Formen dieses »Überleben« annehmen kann, möchten die Beiträge dieses Bandes zeigen: Angefangen mit Beispielen aus Deutschland, Österreichund Italien nach der Maxchtübernahme der Nazis und Faschisten, ebenso aus den von Nationalsozialisten besetzten Ländern Norwegen und Belgien sowie aus der Zeit der kommunistischen Sowjetunion. - Mit Blick auf den weltweit aktuell zu beobachtenden Rechtsruck und das Aufleben einer Sehnsucht der Massen nach einfachen Antworten und vermeintlich starken Führern könnte das in diesem Buch behandelte Thema aktueller sein als vielen lieb sein mag.

Inhalt

Danksagung / Christine Diercks: Vorwort

I. Allgemeine Problemeinführungen

  • Mitchell G. Ash: Psychoanalyse unter nicht-demokratischen Herrschaftsverhältnissen
    Einführende Bemerkungen
  • Geoffrey Cocks: »Rechts um die Ecke rum«: Wichmannstraße, Berggasse, Keithstraße, 1933 -– 1945
  • Elisabeth Brainin: Träumen in der NS-Zeit

II. Das Ende der Psychoanalyse in Wien 1938? – Neue Forschungen

  • Christiane Rothländer: »Arisierung«, Beschlagnahmung und Verbleib des Eigentums der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1938
  • Birgit Johler: Zur Praxis August Aichhorns 1938 -– 1944
    Entwurf eines »Soziogramms« auf Grundlage seiner Patientenkalender

III. Psychoanalyse und Diktaturen: Faschismus und Nationalsozialismus

  • Jacqueline Amati Mehler: Psychoanalyse und Faschismus in Italien
  • Michael Schröter: »Wir leben doch sehr auf einer Insel…«
    Psychoanalyse in Berlin 1933 -– 1936

IV. Unter nationalsozialistischer Besatzung

  • Susann Heenen-Wolff: Psychoanalyse und Besatzungsregime in Belgien
  • Håvard Friis Nilsen: Widerstand in der Therapie und im Krieg 1933 -– 1945
    Die Psychoanalyse vor und während der Besatzung Norwegens durch die Nationalsozialisten

V. Unter Diktaturen im östlichen Europa und Lateinamerika

  • Igor M. Kadyrov: Psychoanalyse in der UdSSR und in Russland nach dem Ende der Sowjetunion
  • Hans Füchtner: Psychoanalyse und autoritäre Herrschaft in Brasilien 

VI. Die Folgen in Wien nach 1945

  • Thomas Aichhorn: Blicke zurück und nach vorne
    Aus der Korrespondenz August Aichhorn -– Anna Freud nach 1945
  • Samy Teicher/Elisabeth Brainin: Psychoanalyse nach der Nazizeit
    Die Wiener Psychoanalytische Vereinigung und ihr Umgang mit dem Nationalsozialismus nach 1945

VII. Ausblick

  • Werner Bohleber: Psychoanalyse, Diktatur, Professionalität -– Implikationen
    Die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Psychoanalyse in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
  • Daphne Stock: Psychoanalyse und demokratisches Bewusstsein

Liste der Abbildungen / Die Autorinnen und Autoren des Bandes / Namensverzeichnis

Aus dem Vorwort

Im Namen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und der Wiener Psychoanalytischen Akademie freue ich mich sehr, ein Grußwort zu einem Band formulieren zu dürfen, der sich mit dem Schicksal der Psychoanalyse in totalitären und autoritären Regimes auseinandersetzt. Hier kommen Erfahrungen aus aller Welt zur Sprache und setzen sich ins Verhältnis mit dem Besonderen der Geschichte der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, der Erfahrung ihrer Auslöschung, den Versuchen, in Zeiten unfassbarer Zerstörung Psychoanalyse am Überleben zu halten.

Die Sonderstellung unserer Vereinigung ist Sigmund Freud geschuldet, der hier in Wien lebte, arbeitete, forschte und jenen Kreis um sich versammelte, der sich vor hundert Jahren am 15. April 1908 als Psychoanalytische Gesellschaft konstituierte. Damit war Wien bis zur Vertreibung und Verfolgung Freuds und seiner Mitglieder Zentrum der psychoanalytischen Welt. Die Identifizierung mit dieser großen Vergangenheit, die besondere Nähe, Verbundenheit und Treue zu Freud, die gewaltsame Auslöschung der organisierten Psychoanalyse, die Auswirkungen des Terrors, ein damit sehr brüchiger Faden der Kontinuität sowie die schwierige Zeit des Wiederanfangs inmitten einer zerstörten, schuldbeladenen Gesellschaft sind Besonderheiten der Nachkriegsgeschichte der Wiener Vereinigung. Hier hatte sich etwas in extremer Zuspitzung ereignet, aber die Beiträge dieses Bandes zeigen uns, dass viele psychoanalytische Gesellschaften unter Bedingungen von Diktaturen und Terror versucht hatten zu überleben und weiter zu arbeiten.

Die Tagung, aus der dieser Band hervorgegangen ist, wurde von einer Arbeitsgruppe geplant, die vor drei Jahren vom Vorstand der Vereinigung mit der Zielsetzung initiiert wurde, eine kontinuierliche, breit angelegte Arbeit an und zur Geschichte der Psychoanalyse zu befördern und die dafür notwendige Infrastruktur aufzubauen. Inzwischen ist parallel dazu das Archiv der WPV in Aufarbeitung und im Ausbau, eine Gruppe von Kolleginnen arbeitet an Biographien und Bibliographien von Vereinsmitgliedern, der Rekonstruktion der Ausbildungslehrgänge und der Vereinsaktivitäten; ein elektronisches Dokumentationsprojekt soll helfen, die vielen versprengten historischen Quellen und Arbeiten zu sammeln und zugänglich zu machen. [...]

Der Herausgeber

Mitchell G. Ash Prof. Dr., unterrichtete von 1984-1997 Geschichte an der University of Iowa, Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin (1990-1991); Gastprofessuren in Göttingen, Wien und Jerusalem; seit 1997 ordentlicher Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien; 2002-2007 Präsident der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte. Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

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