Details

Autor Emmerling, Leonhard
Verlag Verlag Turia + Kant
Auflage/ Erscheinungsjahr 01.11.2022
Format 24 × 16 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Einband - flex. Paperback
Seiten/ Spieldauer 290 Seiten
Gewicht 561
ISBN 9783985140527

Zu diesem Buch

Der Idiot ist einerseits eine Figur der Gegenwart: der dumpf seine Interessen verfolgende, verstandesferne Primitivling, dem jeder Sinn dafür fehlt, was es heißt, sich in Gesellschaft als ein ihr würdiges Mitglied zu erweisen. Andererseits aber steht hinter ihm eine Geschichte, die vom griechischen Idiotes über den Idiota der Apostel, des Franz von Assisi und des Nikolaus von Kues bis an die Schwelle zur Neuzeit reicht, an der er zum Trottel degradiert wird. Was ihn auszeichnet – das Privileg der Intuition, eine Weisheit jenseits der Schriften, die Kraft der Selbst- und Weltverwerfung, das Wissen um ein Drittes jenseits der Dialektik – wird im medizinischen Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts als Nullität verworfen, der Nietzsches Sympathie allein noch gilt.

Seine Wiederauferstehung feiert der Idiot als Zerrbild seiner Selbst in den plumpen, aber durchtriebenen Figuren des politischen Lebens, die der kognitive Kapitalismus und die Konjunktur der Sozialen Medien an die Oberfläche spülen. Der Idiot von heute zerstört jede sinnvolle Unterscheidung von Privat und Öffentlich. Der Anspruch des Idiota, über ein drittes Wissen zu verfügen, pervertiert in der Megalomanie des Idioten zur Behauptung, alles besser zu wissen und alles besser zu können als der Rest der Welt. War er wie der Jurodivyj der Ostkirche eine Figur seliger Apatheia, ist er heute eine Figur des Bösen.

Aus der Einleitung des Autors

"Die folgende Erzählung handelt von einer flüchtigen und unansehnlichen, manchmal abstoßenden, verstockten und doppelgesichtigen, trickreichen und zugleich schrecklich humorlosen Figur: dem Idioten. Seine Geschichte – vom idiōtes der griechischen Polis über den Idiota des Christentums zum Idioten der Neuzeit – ist eingebettet in eine größere Rahmenhandlung, in der es um das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Masse, um den Außenseiter und sein Verhältnis zur Gesellschaft geht. In dieser Erzählung tauchen, wie in jedem guten Drama, Nebenfiguren wie der Narr und der Irre, der Priester und der König auf, und sie handelt, wie jede gute Geschichte, von Aufstieg und Fall, von gebrochenen Versprechen und uneingelösten Ambitionen, von Hoffnung und Versagen. Die Figur des Idioten und seiner Brüder, des idiōtes und des Idiota, taucht gelegentlich dort auf, wo sich die Verhältnisse zwischen Individuum und Gesellschaft neu ordnen.

Sie ist aber weit davon entfernt, eine treibende oder maßgebliche Rolle in diesen Prozessen der Verschiebung zu spielen. Es scheint vielmehr, als laufe sie durch die Geschichte dieser Wandlungen als Projektions- oder Reflexionsfigur, an welcher sich die Ziele und Absichten jener ablesen lassen, die sich ihrer bedienen. So repräsentiert der Idiota, dem man in der Apostelgeschichte, in den Schriften des Franziskus und des Nikolaus von Kues begegnet, eine Form des gesellschaftlichen Außenseiters, der sich, ausgestattet mit einem Wissen der dritten Art, der gesellschaftlichen Dialektik von Inklusion und Exklusion, Affirmation und Protest zu entziehen versucht und dies, nicht selten um den Preis großer Entsagungen, tatsächlich vermag. (...)"

Inhalt

Einleitung - Eine Geschichte der Nullitäten

Die Schöpfung aus dem Nichts

Die Verwerfung der Welt

  • Zur Wortgeschichte des Idiota
  • Umwertung der Werte
  • Die Aufhebung der Zeit

Narren

  • Das Narrenschiff
  • Lob der Torheit
  • Opicinus de Canistris und Hugo van der Goes

Jurodivy

Zu einigen Filmen von  Andre Tarkovskijs

Der Idiot Im Asyl

Der Erlöser
Der Idiot in der Revolte

  • Kunst des Vergessens
  • Der Kranke als Motiv und projektiver Stimulus
  • Kunst der Geisteskranken
  • Aktionismus, Fluxus und Pop
  • Performanz der Regression
  • Kritik und Schamanismus
  • Kynismus
  • Indifferenz und Subversion

Punk

  • Vorläufer
  • Punk, Industrial und Geniale Dilletanten

Die Gegenwart des Idioten

Anhang: Dank / Index der Namen / Index der Begriffe

Der Autor

Leonhard Emmerling studierte Germanistik, Kunstgeschichte, Christliche Archäologie und Musikwissenschaft in Heidelberg. Seine Dissertation widmete sich der Kunsttheorie Jean Dubuffets. Er arbeitete in verschiedenen Funktionen als Lehrer und Ausstellungsmacher in Deutschland und im Ausland. Zurzeit (2022) ist er als Leiter des Goethe-Instituts Chicago tätig.

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