Details

Autor Münch, Volker
Verlag Springer
Auflage/ Erscheinungsjahr 01.05.2024
Format 23.5 × 15.5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer XIII, , 197 Seiten
Abbildungen Mit 3 Abb., 1 Abb. in Farbe.
ISBN 9783662682449

Zu diesem Manual

Dieses Fachbuch für Psychotherapeuten und Gruppentherapeuten möchte seine Leserinnen und Leserin anregen, entlang des eigenen Lebenslaufs an, eigene Gruppenerfahrungen neu zu reflektieren – und diese Einsichten in Beziehung zu Therapieprozessen zu setzen.

Psychisches Leben und persönliche Entwicklung entsteht immer in Netzwerken. Analytische Gruppentherapie nutzt dies und macht psychische Vorgänge sichtbar, die in Einzelbehandlungen zu oft unklar bleiben. Unser Bild der psychischen Entwicklung des Menschen wandelt sich angesichts neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und vor dem Hintergrund komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen unserer Zeit in ein Bild des Menschen als Social Animal. Wir sehen einen Aufschwung für die Gruppentherapie und eine Öffnung gegenüber Theorien, die unsere gegenseitige Abhängigkeit in einem positiven Sinn betonen. Zusammengehörigkeit und Solidarität können so gemeinschaftlich eingeübt werden und transformatorische Kraft für Veränderung beim Einzelnen, aber auch für dieGesellschaft entfalten. Viele lebensnahe Beispiele vor allem aus therapeutischen Gruppen illustrieren dies.

Vorbemerkung des Autors

"Die Gruppenerfahrung im eigenen Leben ist eine wichtige Größe für einen Menschen, der psychotherapeutisch arbeitet. Sie kann hilfreich nicht nur im Kontext seiner Gruppenarbeit, sondern auch dann sein, wenn es darum geht, Menschen in einer Einzeltherapie wieder mehr auf Kontakte mit anderen Menschen zu beziehen. Negative Erfahrungen mit Gruppen, vor allem in der ersten wichtigen Gruppe, der Primärfamilie, sind es, die oft entscheidend am Zustandekommen von Depressionen und Angsterkrankungen, an Zwängen und Persönlichkeitsakzentuierungen beteiligt sind. Gute Gruppenerfahrungen hingegen tragen das Individuum auch durch schwierige Zeiten und stellen eine Ressource dar, innerlich wie auch in der äußeren Realität.

Farhad Dalal arbeitet in seinem Buch Taking the group seriously bereits Ende der 1990er-Jahre heraus, dass es seiner Meinung nach einen Paradigmenwechsel in der Art geben müsse, wie Gruppen verstanden werden sollten und wie in Gruppen gearbeitet werden müsste. Unsere aus der Einzelbehandlung stammende Sicht auf den Menschen als ein von seiner Umwelt und den anderen getrenntes Wesen lässt seiner Meinung nach allzu schnell vergessen, dass die menschliche Psyche immer vernetzt gedacht werden sollte mit den Gruppen, in denen sie lebt. Bereits die sog. intersubjektive Wende in der Psychoanalyse hat uns gelehrt, dass jeglicher Versuch, seelisches Leiden als getrennt von seiner Umgebung entstanden zu denken, als nicht mehr adäquat angesehen werden muss. Jedwede Behandlungsansätze, auch jene in Gruppen, sollten sich daran orientieren. Sowohl die aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen und Spaltungsprozesse wie auch die immer offener zutage tretenden Folgen des Umgangs von uns Menschen mit der natürlichen Umwelt verweisen darauf, dass wir systemischer und komplexer denken lernen sollten. Dies betrifft auch die Modelle über unser eigenes Zusammenleben. Das Denken vom Menschen als vereinzeltem Wesen steht somit bislang auch wenig überraschend in einer Linie mit einseitigen gesellschaftlichen Vorstellungen und Ideologien der Selbstbestimmtheit und Autonomie, wie sie sich auch im neoliberalen Menschenbild wieder finden lassen. Hier sind Korrekturen vonnöten, die auch das Arbeiten von Psychotherapeut*innen betreffen.(...)"

Was sind Gruppen?

Gruppen sind ein merkwürdiges Phänomen. Es gibt Theoretiker, die davon ausgehen, dass Gruppen immer nur ein mentales Ereignis sind. Gruppen an sich gibt es vielleicht nicht, jedenfalls nicht so, wie wir sie uns angesichts der Individuen, die sich zu einer Gruppe zusammenschließen, vorstellen. Gruppen sind immer mehr als die Summe ihrer Teilnehmer*innen, sie atmen einen Geist, sie haben einen je eigenen Charakter. Gruppen und Gruppenerfahrungen sind zunächst eine Idee, eher etwas Abstraktes und doch gleichzeitig etwas Erfahrbares und Fühlbares. Woran das liegt? Vielleicht könnte man es so formulieren, dass Gruppen einen partizipieren lassen an dem Größeren, in das wir eingebunden sind. Damit ist Gruppen aber auch eine transzendente, eine transpersonale und sogar eine spirituelle Dimension zu eigen. In Gruppen kann man Ungewöhnliches und über einen Hinausgehendes erleben, Gruppen sind dann sehr real im psychischen Empfinden und sie haben nachhaltigen Einfluss auf unser Gefühl dafür, dass und wo wir einen Platz in der Welt haben und ob wir uns in ihr zuhause fühlen können.

Das Erleben der Verbundenheit

Im Zusammenhang mit dieser Verbundenheitserfahrung können wir auch angesichts von Schwierigkeiten auf damit in Verbindung stehende innere Ressourcen zurückgreifen. Diese Ressourcen selbst sind nicht nur „Eigentum“ des Einzelnen, sondern der Menschen an sich und verweisen wiederum auf die Anderen in diversen Gruppenkontexten. Mit anderen Worten: Das Bild der Anderen in mir ist ganz entscheidend, ob und wie ich mich selbst finde. Um diesen Gedanken wird dieses Buch immer wieder kreisen. Und es wird darum gehen, inwiefern Gruppenerleben einen „Schatz“ für die Psychotherapie darstellt, aber eben nicht nur in Bezug auf diese selbst. Gruppentherapie kann auch eine gesellschaftliche Funktion zu eigen sein.

Bei allen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen muss ich mich entschuldigen. Da ich selbst weder theoretisch noch praktisch über Erfahrungen mit Gruppen mit Kindern oder Jugendlichen verfüge, muss ich mich dieses Themas leider enthalten. Da ich im ersten Teil des Buches ausführlicher auf jene Lebensphasen eingehe, können sicherlich einige der Schlussfolgerungen, zu denen ich gelange, auch auf diese Arbeit angewandt werden. Gruppen mit Kindern und Jugendlichen erfordern noch einmal ein Mehr von dem, was ich auch für Erwachsenen-therapeut*innen als Notwendigkeit erachte, nämlich persönliche Kreativität, Flexibilität und Engagement.

Ich danke allen Menschen, die mir geholfen haben, herausfordernde und hilfreiche Gruppenerfahrungen zu sammeln: Inge Hallmann-Daum und Ulrich Stuck, dass sie mich auf sehr unterschiedliche Weise, aber jeweils sehr nachhaltig mit mir und dem Gruppenwesen Mensch bekannt gemacht haben. Meinen Patient*innen, die mich in meinen Gruppen herausfordern, mich beschenken und immer wieder Neues lehren. Meinen Kolleg*innen in den Intervisionsgruppen, im Gruppendozententeam der MAP und im Gruppenforum der DGAP, die mich bereichern, anregen und kritisieren. Mein Dank gilt auch meinen Kolleg*innen Claudine Schauer, Joachim Weimer und Sebastian Kudritzki, die Teile des Manuskripts gründlich mitlektoriert haben. Schließlich meine Partnerin, die das mit den Gruppen so selbstverständlich in sich selbst und auch in unser gemeinsames Leben zu integrieren wusste, dass unser Freundeskreis heute zum großen Teil ein gemeinsamer und geteilter und so umgekehrt ein wichtiger Aspekt unserer Beziehung ist. Schließlich gebührt ein besonderer Dank Monika Radecki vom Springer-Verlag, die mich, wie in der Vergangenheit schon, immer behutsam und gleichzeitig motivierend auch mit diesem Gruppenbuch begleitete. Derselbe Dank geht an Rahul Ravindran und Omika Mohan, die den Produktionsprozess professionell und stets freundlich vorangebracht haben.

München, Volker Münch im März 2024

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

  • 1.1 Unser Leben in Gruppen
  • 1.2 Leben ist ein Gruppenereignis
  • 1.3 Gruppentherapie und Ethik
  • 1.4 Die Matrix
  • 1.5 Die Gesellschaft im Einzelnen
  • 1.6 Der Aufbau des Buches
  • Literatur

Teil I Psychische Entwicklung als Gruppenereignis

2 Die soziale Natur des Menschen und die neuen Medien

  • 2.1 Narzisstische Bestätigung
  • 2.2 Beruhigung statt Objektkonstanz
  • 2.3 Aufmerksamkeit in die Breite statt in die Tiefe
  • 2.4 Virtuelle Gruppen vs. leibliche Präsenzgruppen
  • 2.5 Verstehen statt Abwehr
  • 2.6 Individuationskonzepte
  • 2.7 Aus allen Gruppen gefallen: Einsamkeit
  • 2.8 Zugehörigkeit und das archetypische Erbe
  • Literatur

3 Die ersten Gruppen: Pränatale Entwicklung, Geburt, frühe Kindheit, Latenzzeit

  • 3.1 Ersatzkinder
  • 3.2 Die Geburt
  • 3.3 Die frühe Kindheit
    3.3.1 Geschwister
    3.3.2 Frühes Trauma und die Abwehr
    3.3.3 Kinderverschickungsheime
    3.3.4 Der Elterntrugschluss bei Hillman
    3.3.5 Aggressives Verhalten bei Kindern
    3.3.6 Gruppen triangulieren
  • 3.4 Peers - die Gruppe der Gleichaltrigen
  • 3.5 Latenzzeit
  • 3.6 Destruktivität in der Familie
  • Literatur

4 Jugend

  • 4.1 Regression in der Gruppe
  • 4.2 Die zweite Familie
  • 4.3 Noch einmal: Schule, Freizeit und Interessen
  • 4.4 Schlechte Gesellschaft
  • 4.5 Ausbildungs- und Studierendengruppen
    4.5.1 Ausbildung
    4.5.2 Studium
  • Literatur

5 Junges Erwachsenenalter

  • 5.1 Junge Paare
  • 5.2 Verlängerte Adoleszenzkrisen
  • 5.3 Jetzt schon binden, jetzt schon ein Kind?
  • Literatur

6 Die Lebensmitte und der Beginn der zweiten Lebenshälfte

  • 6.1 Die Lebensmitte als Wendepunkt
  • 6.2 Paare brauchen Gruppen
  • 6.3 Alleinstehende und kinderlose Menschen
  • 6.4 Zu viel oder zu wenig Einsamkeit
  • Literatur

7 Generativität in Gruppen

  • 7.1 Frühberentung
  • 7.2 Generativität und die Weitergabe von Wissen und Erfahrung ....
  • 7.3 Das Alter
  • 7.4 Wettbewerb und Kooperation
  • 7.5 Abschiedlichkeit leben
  • Literatur

Teil II Gesund werden mit der Gruppe als Ressource

8 Die Gruppe als Ressource

  • 8.1 Einladung zum Perspektivenwechsel in der Psychotherapie
  • 8.2 Die Wechselwirkung zwischen Einzelnen und Gruppen
  • 8.3 Die Gruppe als Erfahrungsraum für Überpersönliches, Kollektives
  • Literatur

9 Selbsterfahrungsgruppen

  • 9.1 Eine weite Definition des Begriffs Selbsterfahrung
  • 9.2 Milieutherapie
  • 9.3 Selbsthilfegruppen
  • Literatur

10 Therapiegruppen

  • 10.1 Einzel- und Gruppentherapie
    10.1.1 Gruppenaspekte in der Einzelbehandlung
  • 10.2 Gruppenfähigkeit
  • 10.3 Der Einfluss der einzeltherapeutischen Denkweise
    10.3.1 Abgrenzung und Individuation
  • 10.4 Unterschiede Einzelanalyse - Gruppenanalyse: Die Gruppe deutet
  • 10.5 Kombinationstherapie
  • 10.6 Dyadische und triangulierte Beziehungen in der Kombinationsbehandlung
  • 10.7 Schwierige Fälle: Wenn Einzeltherapie nicht genügt
  • Literatur

11 Spezielle Patient*innengruppen

  • 11.1 Narzisstische Patient*innen in Gruppen
  • 11.2 Trauma und Gruppe
  • 11.3 Suchtkranke Patient*innen in Gruppen
  • Literatur

12 Gruppenentwicklungen

  • 12.1 Der Verlauf von Gruppen
  • 12.2 Die Anti-Group
  • 12.3 Fehlgeschlagene Kommunikation
  • 12.4 Ängste und ihre Abwehr in Gruppen
  • 12.5 Interpersonale Verwicklungen und Schamangst
  • 12.6 Sexualität
  • 12.7 Ideale und deren Uneinholbarkeit
  • 12.8 Treffen der Gruppe außerhalb des therapeutischen Rahmens ....
  • Literatur

13 Gruppenleitung

  • 13.1 Die verbindende Funktion der Leitenden
  • 13.2 Die Gruppe-Objekt-Relation der Leitenden
  • 13.3 Die Angst und die Hoffnung des Gruppenleiters
  • 13.4 Leiterinnen brauchen Gruppen
  • Literatur

14 Wie wirken Gruppen?

  • 14.1 Heilung durch Liebe?
  • 14.2 Deutung oder Amplifizierung?
  • 14.3 Wie passiert Veränderung?
  • 14.4 Theoretische Aspekte der Transformation
  • 14.5 Der gelungene Gruppenprozess
    14.5.1 Die Überwindung der Angst vor Fremdem
    14.5.2 Die archetypische Ebene
    14.5.2.1 Die Dissoziabilität der Psyche
    14.5.2.2 Die Wirkung des Gruppenselbst in der analytischen Psychologie
  • Literatur

15 Die Gruppe in der Analytischen Psychologie

  • 15.1 Abschied von der rein introvertierten Individuation
  • 15.2 Noch einmal: die Ebene der Archetypen
  • 15.3 Die Zusammenstellung von Gruppen: die Anwendung der Typologie der Analytischen Psychologie
  • Literatur

16 Großgruppen

  • 16.1 Gruppen und Ideologie
  • 16.2 Therapeut*innen lernen in Gruppen
  • 16.3 Gesellschaftliche Spaltungen und ein Gegenmittel
  • Literatur

17 Die Gesellschaft in der Gruppe

  • 17.1 Soziale Herkunft und Gruppe
  • 17.2 Kulturelle Komplexe
  • Literatur

18 Grenzen der Wirksamkeit von Gruppentherapien

  • 18.1 Gruppe ist nicht gleich Gruppe
  • 18.2 Ein gewissermaßen gruppenloses Menschenbild
  • Literatur

Der Autor

Dipl. Psych. Volker Münch, Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis in München. Einzel- und Gruppenanalytiker. Lehranalytikerin, Supervisorin und Dozent an der MAP, München. Veröffentlichungen zu den Themen Therapeutische Haltung, Digitalisierung, Krise in der Lebensmitte.

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