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Autor Lorenzer, Alfred (1922-2002)
Herausgeber Reinke, Ellen (Hg.)
Verlag Psychosozial-Verlag
Auflage/ Erscheinungsjahr 06.2022
Format 21 × 14,8 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 229 Seiten
Gewicht 391
ISBN 9783837931624

Zu diesem Buch

Mit dem Anspruch, einen Zugang zu Freuds metapsychologischen Schriften zu ermöglichen, hielt Alfred Lorenzer im Wintersemester 1985/1986 eine Reihe von Vorlesungen an der Frankfurter Goethe-Universität.

Anschaulich und zugleich theoretisch fundiert lotet er dabei Verhältnisse von Trieb, Affekt und gesellschaftlicher Bestimmung aus und vermittelt Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Mensch und Tier und ihren jeweiligen Entwicklungen. Ausgehend von Freuds Metapsychologie öffnet sich dabei ein Panorama diverser Anknüpfungspunkte – von der Ethologie Konrad Lorenz’ über die Hermeneutik Paul Ricœurs bis hin zur Naturphilosophie und Biologie Adolf Portmanns. Sein Ziel, eine Art Gefüge von Interaktionstheorien zu entwickeln, ermöglicht gleichzeitig einen neuen und frischen Blick auf die Grundideen Freuds.

Aus der Einleitung

Im Wintersemester 1985/1986 hielt Alfred Lorenzer eine Vorlesungsreihe
ab, die er unter dem Titel »Freuds metapsychologische Schri!en« ange-
kündigt hatte. (...)

Was verstehen wir nun unter Freuds metapsychologischen Schri!en?
Wie Ilse Grubrich-Simitis darlegt, hatte Freud »vom November 1914 bis
in den Sommer 1915 an einer Folge von Abhandlungen gearbeitet, die er
ursprünglich unter dem Titel Zur Vorbereitung einer Metapsychologie in
Buchform veröffentlichen wollte« (Grubrich-Simitis, 1985a [1915], S. 7).
Es handelt sich dabei um folgende Texte:
1. »Triebe und Triebschicksale« (1915c)
2. »Die Verdrängung« (1915d)
3. »Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre« (1917d [1915])
4. »Trauer und Melancholie« (1917e).
Die von Grubrich-Simitis edierte fün!e Abhandlung galt bis zu deren Auf-
$nden durch die Editorin als verloren. Es handelt sich um Freuds
5. »Übersicht über die Übertragungsneurosen« (1985a [1915]).1
Von sieben weiteren erwähnten metapsychologischen Schri!en fehlt noch
immer jede Spur, sie müssen wohl als verloren gelten.
Auf die verfügbaren metapsychologischen Schri!en 1. bis 5. kann
Alfred Lorenzer seine Vorlesung stützen. Er spannt dabei den Bogen seiner
Ausführungen vom Triebbegriff, vom biologischen Pol, vor allem anhand
der Ethologie von Konrad Lorenz, bis zur hermeneutischen Philosophie
Paul Ricœurs oder der Naturphilosophie Adolf Portmanns. Er spricht seine
Zuhörer an und bereichert seine Ausführungen mit zahlreichen eingängigen Beispielen und auch längeren Zitaten seiner Referenzautoren. Allmäh-
lich, Schritt für Schritt, führt er seine Zuhörer dann so weit, dass er sein
Ziel anpeilen kann, die von ihm als Interaktionstheorie – als Gefüge von
Interaktionstheorien – bestimmten Verhältnisse zwischen Trieb und Affekt
einerseits, gesellscha!licher Bestimmung andererseits. Es gelingt ihm auch,
die Ähnlichkeiten wie die Unterschiede in der tierischen wie menschlichen
Entwicklung überzeugend darzulegen, wobei die Besonderheit der Verhält-
nisse der intrauterinen und postnatalen Entwicklung des Menschenkindes
herausgearbeitet wird.
Diese Überlegungen dienen insbesondere den Fragen einerseits einer
biologischen Bestimmung und andererseits besonderer Freiheitsgrade im
Anpassungsvermögen des Menschen. Hier bezieht er sich vor allem auf die
Fähigkeiten des Menschen zur Anpassung an die extremsten Lebensumwel-
ten, sowohl was die materielle als auch die gesellscha!liche Umwelt angeht.
Immer wieder wird deutlich, dass bei aller »Bestimmtheit« die Freiheits-
räume des menschlichen Subjekts zwar eingeschränkt, jedoch nicht voll-
ständig vernichtet werden können. Er zeigt, dass das Widerstandspotenzial
in dieser Hinsicht zwar nicht grenzenlos, jedoch durchaus beachtlich ist.
Bis Lorenzer schließlich in der 12. Vorlesung bei seinem Zentralthema,
dem Gefüge der Interaktionsformen direkt angekommen ist, hat er also ein
Panorama entworfen, dem jede Dichotomisierung in Richtung einer etwai-
gen Entweder-oder-Mentalität fehlt. Allein damit macht Lorenzer seinen
Zuhörern ein unermessliches Geschenk für ihren wissenscha!lichen Wer-
degang, wie es auch mir gegeben wurde, als am Beginn der 1970er Jahre
mein Humangenetik-Lehrer zu uns sagte: »Lassen Sie sich nicht von den
Anlage-oder-Umwelt-Propheten in die Irre leiten. Es ist Interaktion von
Anfang an.« Das ist natürlich nicht neu, dieser Bewusstseinsstand muss
jedoch immer wieder erobert werden, geht immer wieder verloren. Daran
arbeitet Lorenzer 1985 mit gutem Grund, denn immer noch wollen die
Anlage-oder-Umwelt-Propheten den Ton angeben. Eine der merkwür-
digsten Geschichten in diesem Zusammenhang ist der »Fund« des nach
England ausgewanderten deutschstämmigen Psychologen Hans Jürgen
Eysenck (1916–1997), der den Nachweis erbracht haben will, dass zum
Beispiel die Intelligenz zu 70 bis 80 Prozent ererbt ist.
Die zentrale Besonderheit von Lorenzers Ansatz – gerade auch in diesen
Vorlesungen – besteht in der sorgfältigen Darlegung der Psychoanalyse als
einer Wissenscha! eigenen Typs, die weder schlicht den Geisteswissenscha!en und der Hermeneutik zugeschlagen werden kann, noch allein den
Naturwissenscha!en mit ihrem Erklärungsansatz. Verstehen und Erklären
spielen beide ihre Rolle, in der wechselseitigen Verflochtenheit dessen, was
er als Gefüge von Interaktionsformen herausarbeiten wird. (...)"

Der Autor

Alred Lorenzer, Prof. Dr. med., geboren 1922, war langjähriger Mitarbeiter an psychiatrischen Einrichtungen, arbeitete dann mit Alexander Mitscherlich an der Psychosomatischen Universitätsklinik in Heidelberg, danach als Oberassistent am Sigmund-Freud-Institut und zuletzt als Professor für Sozialpsychologie in Frankfurt am Main. Lorenzer verstarb im Jahr 2002 in seinem Altersdomizil in Perugia, Italien.

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