Details

Autor Zapperi, Roberto
Verlag Berenberg Verlag GmbH
Auflage/ Erscheinungsjahr 09.2016
Format 22,8 × 16,4 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Halblwd.
Seiten/ Spieldauer 152 Seiten
SFB Artikelnummer (SFB_ID) SFB-005852_MA

Zu diesem Buch

Warum nur ließ Sigmund Freud 1933 Benito Mussolini ein Buch mit einer freundlichen Widmung zukommen? Hatte er nicht so genau hingeschaut? Und falls ja: Was waren Freuds Überlegungen bei dieser Sache? Und war diese Geste seinen - Freuds - Absichten hilfreich, haben Sie seiner Sache genützt?

Roberto Zapperi, prominenter Ideenhistoriker, hat genau hingeschaut und eine Geschichte gefunden, die mitten hineinführt in das Europa zur Zeit des Faschismus und das antisemitisch unterlegte Moralkorsett von Kirche und Vatikan offenlegt. Den Kirchenmännern galt die Psychoanalyse als Teufelszeug, und so versuchten sie, die italienischen Behörden vor den Karren einer schmutzigen Kampagne zu spannen: gegen Freud und vorwiegend jüdischen Apostel. Am Ende musste der greise Freud das apostolische Österreich in Richtung London verlassen. Welche erstaunliche Melange an Personen aber sich vorher in dieser Sache beim Duce in Rom die Tür in die Hand gab, das lohnt wahrhaftig die Lektüre dieser glänzenden Fallstudie.

Textprobe - Aus der Einleitung

Unter dem Datum des 25. April 1933 verzeichnete Sigmund Freud in seinem Tagebuch zwei Namen: »Dr Ed Weiss – Forzano«. Diese beiden Personen, so die Bedeutung der Notiz, hatten ihn in Wien in seiner Wohnung in der Berggasse 19 aufgesucht. Es handelte sich um den Triester Psychoanalytiker Edoardo Weiss, einen alten Schüler Freuds, und den italienischen Theaterschriftsteller und Librettisten Giovacchino Forzano. In Wirklichkeit jedoch waren es drei Besucher, denn mit dabei war auch die Tochter Forzanos, Concetta, eine Patientin von Weiss. Dieser hatte keine gute psychoanalytische Beziehung zu ihr herstellen können und sie deshalb zusammen mit ihrem Vater zum verehrten Meister nach Wien gebracht. Weiss hatte an Freud geschrieben und um eine Konsultation gebeten, positive Antwort erhielt er am 13. April 1933.2 Die drei Italiener machten sich daraufhin auf die Reise von Rom nach Wien, wo sie an einem Tag, dessen Datum leicht unterschiedlich angegeben wird, von Freud empfangen wurden: Während Freud im Tagebuch den 25. April eintrug, datierte Weiss das Treffen auf den 26. April. Bei dieser Gelegenheit schenkte Forzano Freud die deutsche Übersetzung eines der drei Dramen, die er zusammen mit Mussolini geschrieben hatte, und zwar jenes über die letzten hundert Tage Napoleons vor seiner Verbannung nach St. Helena. Auf italienisch hatte das Stück den Titel Campo di maggio (Maifeld), in der deutschen Übersetzung lautete er dagegen Hundert Tage. Anders als im italienischen Original wird auf dem Titelblatt der deutschen Übersetzung neben Forzano auch Mussolini als Autor genannt. Die vollständige bibliographische Angabe lautet: »Hundert Tage (Campo di Maggio). Drei Akte in neun Bildern von Benito Mussolini und G. Forzano, Paul Zsolnay Verlag, Berlin / Wien / Leipzig 1933. Autorisierte Übersetzung von Géza Herczeg.« Einer Anmerkung in dem von mir eingesehenen Exemplar zufolge war das Drama am 30. Dezember 1930 im römischen Teatro Argentina uraufgeführt worden. Die erste Aufführung außerhalb Italiens fand in der ebenfalls von Géza Herczeg besorgten ungarischen Übersetzung (Zsáz nap) am 4. Juni 1931 im National-Theater von Budapest statt. Es folgten Aufführungen in französischer Sprache (Les Cent Jours) am 9. November 1931 im Théâtre Ambigu in Paris, auf deutsch am 30. Januar 1932 im Deutschen Nationaltheater in Weimar, in englischer Fassung (Hundred Days) am 14. April 1932 im New Theater in London und schließlich, wiederum auf deutsch, aber diesmal mit dem Titel Napoleon, Ostern 1932 im Burgtheater in Wien unter der Regie von Werner Krauss, dem Géza Herczeg seine Übersetzung gewidmet hatte. Damit aber noch nicht genug. Das Freud überreichte Exemplar enthält auf dem Titelblatt eine bombastische Widmung im Namen beider Autoren:

»A Sigmund Freud / che renderà migliore il mondo, / con ammirazione e / riconoscenza / Vienna 26 aprile 1933 XIo Benito Mussolini und G. Forzano« (Für Sigmund Freud, der die Welt besser machen wird, mit Bewunderung und Dank, Wien, den 26. April 1933, XIo [11. Jahr der faschististen Ära], Benito Mussolini und G. Forzano). Das Exemplar ist erhalten und befindet sich heute in Freuds Bibliothek in London. Freud selbst fügte auf dem Titelblatt das Datum 26. April hinzu, das um einen Tag von dem im Tagebuch gegebenen abweicht. Die Erinnerungen von Weiss klären diese chronologische Diskrepanz nicht. Weiss nennt ebenfalls den 26. und schreibt dazu im Rückblick:

»Freud hatte diese Kranke nur einmal in meiner Gegenwart in seinem Behandlungszimmer gesehen, er zog seine Folgerungen lediglich auf der Basis meiner schriftlichen Berichte«. Weiss erwähnte diese Konsultation erst viele Jahre später – 1966, wie es scheint6 – und erinnerte sich im Abstand von so vielen Jahren offenbar nicht mehr genau an das Datum. Wahrscheinlich sah Freud die Patientin am 25. April, und erst am Tag darauf übergab ihm Forzano das Drama mit der doppelten Widmung. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß Mussolini davon wußte; allem Anschein nach handelte es sich um eine persönliche Initiative Forzanos. Er war mit Mussolini gut bekannt und glaubte deshalb, sich solches erlauben zu können, zumal er gleichzeitig Freud um eine Gegengabe bat: Freud möge Mussolini eines seiner eigenen Bücher mit einer möglichst ebenso huldigenden Widmung schenken. Merkwürdigerweise schweigt sich Weiss in seinen Erinnerungen über Forzanos Geschenk aus, obwohl er mit Sicherheit davon wußte. Der Vater seiner Patientin konnte nämlich kein Deutsch, so daß er für ihn dolmetschen mußte, denn auch Freud hatte nur geringe Italienischkenntnisse.

Aus dem gleichen Grund muß er auch bei der Konsultation anwesend gewesen sein. Damit stellt sich nun die viel diskutierte Frage von Freuds Widmung an den Duce. Freud wählte unter seinen Publikationen die neueste aus, die Schrift Warum Krieg ?, die er gemeinsam mit dem berühmten deutschen Physiker Albert Einstein verfaßt hatte. Sie war im März 1933 in Paris zugleich auch auf französisch mit dem Titel Pourquoi la guerre ? und auf englisch (Why War ?) erschienen (die deutsche Ausgabe wurde schon kurze Zeit später, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, verboten). 1931 hatte das »Comité permanent des Lettres et des Arts« des Völkerbunds die »Internationale Kommission für geistige Zusammenarbeit« aufgefordert, eine briefliche Debatte zwischen zwei herausragenden Persönlichkeiten der Kultur über ein Thema von allgemeinem Interesse anzuregen. Der erste dazu Eingeladene war Albert Einstein, der seinerseits Freud als Diskussionspartner vorschlug.

An Mussolini schickte Freud die deutsche Ausgabe dieser Schrift, denn der Duce konnte passabel Deutsch, er sprach es und las es noch besser. Das Exemplar mit der handschriftlichen Widmung Freuds befindet sich heute unter den wenigen erhaltenen Büchern Mussolinis im Zentralen Staatsarchiv in Rom. Freud hatte Einstein 1926 kennengelernt, als dieser, damals Professor an der Berliner Universität, zusammen mit seiner Frau ihn im Haus seines Sohnes Ernst in Berlin besuchte. Die Unterhaltung verlief in freundschaftlichem Ton. Einsteins Wertschätzung für Freud war offensichtlich, Freuds Einstellung dem Physiker gegenüber nicht ebenso wohlwollend. Aber davon später mehr. Der briefliche Dialog über den Krieg fand im Sommer 1932 statt, nachdem Freud am 6. Juni die Einladung des Sekretärs des »Instituts für geistige Zusammenarbeit«, Leon Steinig, mit Einstein über das diesem vorgeschlagene Thema zu diskutieren, sofort freudig angenommen hatte.10 Den Anfang machte Einstein, der Freud am 30. Juli aus Caputh bei Potsdam einen langen Brief schrieb, worin er ihm mitteilte, für diese Diskussion das dringlichste Thema für den Bestand der Zivilisation gewählt zu haben, nämlich: »Gibt es einen Weg, die Menschen von dem Verhängnis des Krieges zu be freien ?« Er habe an Freud gedacht, da dieser, anders als er selbst, »die tieferen Schichten des menschlichen Seelenlebens« kenne und deshalb zu einer Lösung dieses Problems beitragen könne. Einstein wünschte die Schaffung einer legislativen und gerichtlichen Behörde »zur Schlich tung aller zwischen den Staaten entstehenden Konflikte«. Sein Brief ist Ausdruck eines überzeugten, leidenschaftlichen Pazifismus, der in einem Europa, das soeben einen mörderischen Krieg hinter sich hatte, geradezu utopisch erscheinen mußte. Einstein machte sich denn auch kaum Illusionen über die Realisierung seines Ideals, aber er glaubte, daß doch ein Anfang gemacht und wenigstens die »sogenannte Intelligenz«, die geistige Elite, von diesem Ideal überzeugt werden müsse, da sie, wie er meinte, mehr noch als die ungebildete Mehrheit dazu neige, den Suggestionen der Kriegstreiber zu erliegen. Er fragte sich, ob eine psychische Erziehung den »Psychosen des Hasses und des Vernichtens« vorbeugen könnte. Eine Anwort auf seine drängenden Fragen seien in den Schriften Freuds zu finden. Dessen Forschungen über das menschliche Seelenleben könnten zweifellos neue wirksame Handlungsanweisungen für den Erhalt des Weltfriedens geben. In seiner Antwort stimmte Freud mit Einstein überein, daß eine sichere Verhütung von Kriegen nur möglich sei, »wenn sich die Menschen zur Einsetzung einer Zentralgewalt einigen, welcher der Richtspruch in allen Interessenkonflikten übertragen wird.« Diese Rolle sei heute dem Völkerbund übertragen, der jedoch keine eigene Macht besitze und diese nur erhalten könne, wenn die Mitglieder der neuen Vereinigung, die einzelnen Staaten, sie ihm abträten. Dafür bestehe aber wenig Aussicht. Freud räumte indes ein, daß man die Bedeutung des Völkerbunds unterschätze, »wenn man nicht wüßte, daß hier ein Versuch vorliegt, der in der Geschichte der Menschheit nicht oft – vielleicht noch nie in diesem Maß – gewagt worden ist. Es ist der Versuch, die Autorität – d. i. den zwingenden Einfluß –, die sonst auf dem Besitz der Macht ruht, durch die Berufung auf bestimmte ideelle Einstellungen zu erwerben.« Freud, viel pessimistischer noch als Einstein, war der Überzeugung, »daß es keine Aussicht hat, die aggressiven Neigungen der Menschen abschaffen zu wollen«. Jedoch lasse sich mit Hilfe der »mythologischen Trieblehre« eine Möglichkeit für in direkte Wege zur Bekämpfung des Krieges finden: »Wenn die Bereitwilligkeit zum Krieg ein Ausfluß des Destruktionstriebs ist, so liegt es nahe, gegen sie den Gegenspieler dieses Triebes, den Eros, anzurufen. Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muß dem Krieg entgegenwirken.« Aber auch dies sei schwer zu verwirklichen. Eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen den »Führern« (den Inhabern der Autorität) und den »Abhängigen« könnte indessen, wie er glaubte, der »Kriegsneigung« und dem Mißbrauch der Macht entgegenwirken.

Auch Freud favorisierte zu diesem Zweck eine Erziehung der Eliten.Man müsse »mehr Sorge als bisher aufwenden, um eine Oberschicht selbständig denkender, der Einschüchterung unzugänglicher, nach Wahrheit ringender Menschen zu erziehen, denen die Lenkung der unselbständigen Massen zufallen würde.« Der ideale Zustand war für ihn »eine  Gemeinschaft von Menschen, die ihr Triebleben der Diktatur der Vernunft unterworfen haben«. Er verhehlte indessen nicht, daß es sich dabei um »eine wahrscheinlich utopische Hoffnung« handelte: Der Krieg sei offenbar »naturgemäß, biologisch wohlbegründet, praktisch kaum vermeidbar«, was aber die von vielen und auch von Einstein und ihm selbst geteilte Empörung darüber nicht mindere: »Ich glaube, der Hauptgrund, weshalb wir uns gegen den Krieg empören, ist, daß wir nicht anders können. Wir sind Pazifisten, weil wir es aus organischen Gründen sein müssen« – aber auch aus psychischen: »Den psychischen Einstellungen, die uns der Kulturprozeß aufnötigt, widerspricht nun der Krieg in der grellsten Weise, darum müssen wir uns gegen ihn empören, wir vertragen ihn einfach nicht mehr, es ist nicht bloß eine intellektuelle und affektive Ablehnung, es ist bei uns Pazifisten eine konstitutionelle Intoleranz, eine Idiosynkrasie gleichsam in äußerster Vergrößerung«.

Doch zurück zu Freuds Widmung der Schrift an Mussolini. Sie lautet: »Benito Mussolini mit dem ergebenen Gruß eines alten Mannes der im Machthaber den Kultur-Heros erkennt. Wien 26. 4. 1933.Freud«. Es handelt es sich um eine sehr schmeichelhafte Zueignung, und man muß sich fragen, welches die Beweggründe dafür waren. Freud fühlte sich zweifellos verpflichtet, eine Höflichkeitsgeste zu erwidern, die Forzano auch dem Duce zugeschrieben hatte. Indessen war Mussolini einer der Protagonisten der internationalen Politik und dazu der Regierungschef und der Diktator des faschistischen Italien, das an Österreich grenzte, was Freud bekannt sein mußte. Darum erscheint seine Widmung geradezu kompromittierend, wird Mussolini hier doch mit einem Epithet versehen, das Freud in seiner im Jahr zuvor veröffentlichten Schrift Die Gewinnung des Feuers dem Prometheus zugeschrieben hatte. Ein Verdacht mehr oder weniger eingestandener Sympathien für den Duce des italienischen Faschismus ließe sich leicht daraus ableiten.

Der erste, der eine Erklärung für diese merkwürdige Widmung gab, war Freuds Biograph Ernest Jones, einer seiner treuesten Schüler, der für seine dreibändige Biographie unveröffentlichte Korrespondenzen Freuds und zahlreiche mündliche Zeugnisse der Schüler verwerten konnte. Der uns hier interessierende dritte Band erschien 1953 in
englischer Sprache. Was die Widmung anbetrifft, beruft Jones sich auf eine vertrauliche Mitteilung von Edoardo Weiss. Diesem zufolge sollten die zahlreichen von Mussolini finanzierten archäologischen Ausgrabungen in Italien und in den italienischen Kolonien am Mittelmeer Freud zu dieser Widmung bewogen haben.12 Weiss war mit dieser Darstellung jedoch überhaupt nicht einverstanden. Er protestierte heftig und beschuldigte Jones später in seinen Erinerungen, seine vertrauliche Mitteilung gegen alles Versprechen publik gemacht zu haben. In diesem Zusammenhang gibt er auch eine genaue Beschreibung von Forzanos Besuch im April 1933. Er schreibt, daß Forzano Freud ausdrücklich um die Widmung an Mussolini gebeten und ihn selbst, Weiss, damit in große Verlegenheit gebracht habe: »Ich war in großer Verlegenheit, denn ich wußte, daß Freud unter diesen Umständen das Ansuchen nicht verweigern konnte. Er fühlte sich verpflichtet, die Bitte meinethalben und der Italienischen Psychoanalytischen Vereinigung wegen zu gewähren.« (...)

Pressestimmen

»Zapperi lässt die komplexe Geschichte lebendig werden.«

in: Nürnberger Zeitung

»Zapperis Miniatur [lässt] die Begriffe tanzen.«

Alan Posener, in: Die Welt

»Der Kulturhistoriker Roberto Zapperi fällt in seiner ebenso klugen wie schlanken – und bisweilen herzhaft meinungsstarken – Studie (…) ein differenziertes Urteil.«

Joachim Leitner, in: Tiroler Tageszeitung

Der Autor

Roberto Zapperi, geboren 1932 in Catania auf Sizilien, studierte Geschichte und Kulturanthropologie. Er war Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin und Warburg-Professor in Hamburg und lebt heute als Privatgelehrter in Rom. Seine großen kunst- und kulturhistorischen Studien erscheinen im C.H. Beck Verlag, zuletzt "Die Päpste und ihre Maler" (2014).

Die Übersetzerin

Ingeborg Walter, ist die Ehefrau von Roberto Zapperi, dessen Bücher sie gewöhn­lich aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt. Sie ist selbst Autorin zahlreicher Studien und Bücher, vornehmlich zur Geschichte und Kunstgeschichte der italienischen Renaissance. Zuletzt erschien von ihr im Verlag C.H. Beck das Buch »Die Strozzi. Eine Familie im Florenz der Renaissance«, München 2011.

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