Details

Autor Balázs, Béla (1884-1949)
Herausgeber Lesznai, A (Buchschmuck) (Hg.)
Verlag Zsolnay, Paul
Auflage/ Erscheinungsjahr 1925, EA
Format 18,5 × 11,8 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung OKart.
Seiten/ Spieldauer 99 Seiten
SFB Artikelnummer (SFB_ID) SFB-011249_AQ

Aus dem Ersten Kapitel

"Es gilt da deutlich zu unterscheiden, denn es gibt sehr viele Arten des menschlichen Ortswechesel auf dieser Erde. Der „Spaziergänger" kommt eigentlich, gar nicht in Betracht. Er macht nur Körperbewegungen der besseren Verdauung wegen. Und maschiert er auch kilometerweit, so bleibt es doch nur Gymnastik. Weder geht er weg, noch kommt er an. Seine Position in der Welt und sein Verhältnis zu ihr blieb unverändert. Er ist eben zuhause geblieben.

Der „Tourist", der einen „Ausflug" macht, der hat, wie dies schon der Name seiner Bestätigung besagt, ein Nest, aus dem er ausfliegt, ein Heim, in das er zurückkehrt. Er hat gelegentlich seinen Schwerpunkt verschoben, der ihn nach dem Gesetz des Pendalschlags zum tiefsten Stand der Ruhe zurückführt. Dies gilt nicht nur für seine körperlichen ,sondern auch, für seine geistigen und Gefühlsexkursionen. Es sind nur Zwischenfälle und alles bleibt beim Alten.

„Reisen" heißt soviel wie ein Ziel haben, an dem man ankommen, eine Absicht haben, die man verwirklichen will. Ob diese Absicht ein Geschäft, wissenschaftliche Erkenntnis, Erholung oder Zerstreuung sei, es bleibt gleich. In jedem Fall ist das Fahren nur ein Verfahren, es ist ein Mittel zum Zweck, der außerhalb des Reisens liegt. Und wäre er anders zu erreichen, kämen etwa die Berge zu ihnen, nie würden diese Globetrotter einen Weg machen. Denn sie kennen ihr Ziel, und ihre Absicht steht schon fest, bevor sie noch ihre Reise antreten. Nichts hat sich geändert. Auf einem Umweg rund um die Erde kommen sie zu ihren unbewegten Wurzeln. Und sie haben nichts verlassen.

„Der Wanderer" ist aber anders. Er hat kein Heim, aus dem er einen Ausflug macht, und auch nicht, wie der Reisende, ein Ziel auf dieser Erde, die darum so schön ist. Gleich fremd sind ihm alle Orte. Er kennt kein Ankommen und kein Erreichen und nie werden ihm Menschen zur Familie. Doch ist er — um noch einen letzten Unterschied zu machen — kein Vagabund, der herumstreift. (...)"

Inhalt

  • Wandern
  • Urlaub
  • Wieder Reisen
  • Nachts im Zug
  • Des Morgens im Bett
  • Die Schwimmschule
  • Weiteres über die Schwimmschule
  • Sommerbekanntschaften
  • Auf dem Wasser zu singen
  • Hier wird gelebt
  • Die Stille
  • Eine Stunde vor Nacht
  • Nacht ohne Grenzen
  • Von Raum und Zeit und Ewigkeit
  • Sinnlose Schönheit
  • Gefährliche Schönheit
  • Reiner Himmel — Kosmische Nacktheit
  • Sonnenkoketterie
  • Die befreite Erde
  • Die Bäume bäumen sich
  • Wolken in der Gasse
  • Sturm
  • Erinnerung
  • Herbstvariationen
  • Letzte Bemerkungen
  • Zu Fuß

Aus einer Rezension von Oliver Pfohlmann in der TAZ zu diesem Juwel der Essayistik,

die anläßlich des Erscheinens der (inzwischen vergriffenen) Neuausgabe am 11.08.2004 in der Tageszeitung veröffentlicht wird:

Die Berührung in der Tiefe

"(....) Märchenhafte Wanderung: Der ungarische Dichter Béla Balázs ist im deutschsprachigen Raum fast nur als Autor der ersten, 1924 erschienenen Filmtheorie „Der sichtbare Mensch“ bekannt. Zurzeit aber werden auch seine vielen brillanten literarischen Texte wiederentdeckt. Ein Porträt (...)

Für Béla Balázs heißt Reisen „sich darbieten“ und „sich aufsparen“„Unsere Verkehrsmittel haben den Raum gefressen, ihn zur Zeit verdaut“ (...)

Dieser Tage lassen sie sich wieder weit weg transportieren, die Millionen nach Urlaub und Sonne hungernden Seelen, nach Ibiza, Mallorca oder auf die Kanarischen Inseln. Man möchte ihnen allen Béla Balázs’ Fantasie-Reiseführer ins Gepäck geben, in dem es heißt: „Unsere schnellen Verkehrsmittel haben den Raum gefressen und ihn zur Zeit verdaut. Unser Leben ist abstrakter, wir sind um eine Dimension ärmer geworden.“

Ein Ankommen in der Ferne kennt dieser 1925 erschienene „Baedeker der Seele“ für Sommerfrischler nicht, und wer nach zwei oder drei Wochen den Rückflug antritt, den straft er mit Verachtung. Dagegen lobt er den Zustand eines unaufhörlichen Unterwegsseins, ein Leben wie auf ewiger Wanderschaft durch freundliche Weiten. Solch ein „geborener Fremdling“ und „Wanderer“, der sich allem gleich fern hält und daher „Menschen und Dinge bedeutsamer und tiefer erlebt als die andern“, müsste gar nicht wirklich reisen; ja, er bräuchte nicht einmal sein Zimmer zu verlassen, schreibt Balázs: Nur „Menschen, die nicht die Vitalität aufbringen, über jede Stunde wie über ein neues Wunder zu staunen, brauchen den äußeren Reiz, die Injektionen der Reiseeindrücke, um nicht einzuschlafen. Der stumpfste, phantasieloseste unter allen Menschen muß der Globetrotter sein.“ Angst hat Balázs’ Wanderer nur vor einem: Dass er die Menschen und Dinge einmal nicht mehr auf schützende Distanz halten kann. Denn ein solcher Flaneur des Lebens „verhält sich anders zur Außenwelt. Man hat die Scheuklappen der vorgesteckten Ziele abgeworfen […] Man hat sich entblößt vor Zufall und Möglichkeit, in verliebter Sehnsucht.“ Für Balázs heißt Reisen „sich darbieten“. Heißt ein anhaltendes „sich Aufsparen“ und frühlingshaftes Warten. (....)"

Allzu wörtlich brauchte man es ja nicht zu nehmen: Notorisch treulos, wie der Wanderer nun einmal ist, stürzte sich Balázs, der Schwärmer und Erotomane, in immer neue Affären und lebte zeitweilig mit zwei Frauen zusammen. Er pries die Überwindung überkommener Beziehungsformen – und ernüchterte angesichts der Unmöglichkeit, neue zu verwirklichen. Im Tagebuch von 1914 schreibt er: „Man kann in einem Moment nur in ein Augenpaar schauen, deshalb blickt man zu dritt immer nach oben. Die Ekstase zu dritt kann nur religiös sein.

Vielleicht veranschaulicht eines seiner schönsten Feuilletons, „Nachts im Zug“, am besten, was mit einem Leben, das seine „Ruhe nur im Wechsel“ findet, gemeint ist: In der schaukelnden Dämmerung des Abteils sieht Balázs fremde Menschen schlafen. Sieht eine erschöpfte Frau ihre Schuhe ausziehen und ihren Kopf auf die Schulter ihres Mannes betten. Die Intimität der Situation lässt im heimlichen Beobachter ein melancholisches Gefühl von Solidarität entstehen, von Schicksalsgemeinschaft. Und die Gewissheit, sich ganz einer sorgenden, gütigen Macht anvertrauen zu können. „Und wenn der Morgen dämmert, schaut man auf neblige, nasse Felder und ist woanders. Man ist nicht gefahren. Man ist eingeschlafen und woanders aufgewacht. Wie im Märchen.“ (....)

Der Autor

Béla Balázs, (geboren als Herbert Bauer) am 4. August 1884 in Szeged, Österreich-Ungarn; gestorben 17. Mai 1949 in Budapest) war ein ungarischer Filmtheoretiker, Filmkritiker, Ästhetiker, Drehbuchautor, Regisseur, Schriftsteller und Dichter.

Herbert Bauer war der Sohn des Gymnasiallehrers Simon Bauer, der Vater war ungarisch-jüdischer, die Mutter deutsch-jüdischer Herkunft. Seine Geschwister waren die Schriftstellerin Hilda Bauer (1887–1965) und der Biologe Ervin Bauer (1890–1938). In der Familie wurde Deutsch gesprochen, er selbst wollte dagegen ungarischer Schriftsteller werden und magyarisierte seinen Namen. Er besuchte die deutsche Elementarschule in Lőcse und die Mittelschule in Szeged. Er studierte in Budapest, Berlin (unter anderem bei Georg Simmel und Wilhelm Dilthey) und Paris (bei Henri Bergson) und begann eine Laufbahn als ungarischer Schriftsteller (Dramen, Lyrik, Märchen und Novellen).

Béla Balázs schrieb unter anderem die Libretti für das Ballett Der holzgeschnitzte Prinz und für die Oper Herzog Blaubarts Burg, die von Béla Bartók vertont wurden, sowie den Märchenzyklus Der Mantel der Träume. Ab 1915 fanden in seiner Budapester Wohnung Treffen des informellen „Sonntagskreises“ (Vasárnap-Társaság) statt, die von seinem Freund György Lukács dominiert wurden, unter den Teilnehmern waren Karl Mannheim, Béla Fogarasi, Frederick Antal und seine damalige Freundin Anna Lesznai.

1918 wurde er Mitglied der Ungarischen Kommunistischen Partei, 1931 Mitglied der KPD. 1919 floh er nach der Niederschlagung der kurzlebigen Räterepublik, in der er Mitglied des Direktoriums der Schriftsteller und Volkskommissar für das Schulwesen und Volkskultur gewesen war, nach Wien, wo er zunächst als Dramatiker und Märchenautor Fuß zu fassen versuchte. Es folgte ein drei Jahrzehnte währendes Exil, in dem er gezwungen war, in seinen Veröffentlichungen zur deutschen Sprache zurückzukehren, derweil er weiterhin belletristische Literatur auf Ungarisch verfasste.

Der Zufall führte ihn mit dem neuen Medium des Films zusammen. Für die Zeitung Der Tag begann er regelmäßig Filmkritiken zu schreiben und machte sich zugleich als Drehbuchautor einen Namen. Sein erstes in Wien erschienenes filmtheoretisches Werk Der sichtbare Mensch (1924) begründete die moderne Filmtheorie, in der sich romantische Motive einer Sehnsucht nach Überwindung der Entfremdung in einer visuellen Kultur mit politischen Hoffnungen auf ein populäres Medium der Aufklärung mischten.

1926 wechselte Balázs nach Berlin, wo sein zweites filmtheoretische Buch Der Geist des Films (1930) entstand. Auch in Berlin arbeitete Balázs zugleich als Drehbuchautor, z. B. für die Verfilmung der Dreigroschenoper (durch G. W. Pabst), die zu einer heftigen Kontroverse mit Bertolt Brecht führte. 1931 schrieb er für Leni Riefenstahl das Drehbuch zu ihrem Regiedebüt Das blaue Licht (1932). Während der Fertigstellung des Films, an dessen Regie[1] er ebenfalls beteiligt war, wurde er nach Moskau eingeladen, um einen Film über die „Räte-Revolution“ in Ungarn zu drehen. 1933 war für ihn als Jude und Kommunist eine Rückkehr nach Deutschland unmöglich und er blieb in Moskau.

1945 nach Budapest zurückgekehrt, konnte er noch einen seiner bekanntesten Filme realisieren: Irgendwo in Europa, 1947. Im selben Jahr erschien sein autobiografischer Roman Die Jugend eines Träumers. 1949 erhielt er die höchste Auszeichnung Ungarns, den Kossuth-Preis, und nach ihm wurde 1958 der Béla-Balázs-Preis für Verdienste in der Filmkunst benannt. Das Studio für künstlerischen Film in Budapest trägt ebenfalls seinen Namen." (Quelle: Wikipedia)

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Das Klassische Antiquariat der SFB verfügt über ein besonders gut erhaltenes Exemplar dieser seltenen Erstausgabe; im Inneren frisch und ohne Anstreichungen, Anmerkungen o.Ä. - Sehr selten!

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