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Herausgeber Hutfless, Esther; Zach, Barbara (Hg.)
Verlag edition assemblage
Auflage/ Erscheinungsjahr Nachdruck 07.2022 d. EA 2017
Format 20,2 × 13,2 × 4,6 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 642 Seiten
ISBN 9783960421399

Zu diesem Reader

Die Psychoanalyse mit ihren divesitfizierten Ansätzen und Schulen stellt im Feld des booemden Psychomarktes immer noch eine bedeutende Behandlungsmethode dar und ist eine einflussreiche Stimme in den kultur- und geisteswissenschaftlichen Diskursen unserer Zeit.

Kritische Auseinandersetzungen, insbesondere ausgehend von feministischen und queeren Theorien, werden von VertreterInnen der Psychoanalyse kaum aufgegriffen und es gibt innerhalb der psychoanalytischen Theorie und Praxis wenig Bewusstsein für die in ihr wirkenden patriarchalen und hetero­normativen Diskurse. Die Psychoanalyse wird daher in den aktuellen Debatten um Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen längst nicht mehr als adäquater theoretischer Zugang und Diskurspartner wahrgenommen.

Dieser Sammelband möchte einen produktiven Dialog zwischen Psychoanalyse und queeren Theo­rien im deutschsprachigen Raum initiieren, die unhinterfragten heteronormativen Paradigmen innerhalb der Psychoanalyse dekonstruieren, aber auch wichtige Impulse für das Aufgreifen psychoanalytischer Ansätze in queeren Theorien liefern.

Aus dem Vorwort der Herausgeberinnen

"Dieser Band entstand ausgehend von einer in Wien gegründeten Forschungsgruppc mit dem gleichnamigen Titel „Queering Psychoanalysis" und dem Anliegen, längst überfällige theoretische und klinische Auseinandersetzungen an der Schnittstelle von Queer-Theory und Psychoanalyse im deutschsprachigen Raum anzustoßen. Wir haben uns daher entschieden, deutschsprachige AutorInnen zu dieser produktiven Auseinandersetzung einzuladen, zugleich war es uns wichtig, den sehr vielfältigen und schon länger bestehenden angloamerikanischen Diskurs zu Queer-Theory und Psychoanalyse auch im deutschsprachigen Raum einer breiteren LeserInnenschaft zugänglich zu machen.

Die Auseinandersetzung zwischen Queer Theory und Psychoanalyse scheint uns vor allem aus zwei Perspektiven wichtig und produktiv: Einerseits geht es uns darum, das schwierige Verhältnis zwischen queern Lebens- und Begehrnsweisen und der Psychoanalyse zu problematisieren und Vorurteile — die auf beiden Seiten bestehen — abzubauen. So wird etwa die Psychoanalyse in aktuellen Diskursen der
Queer Theory und Gender Studies bis auf einige Ausnahmen - z. B. die theoretischen Arbeiten von Judith Butler, Tim Dean, Lee Edelman, Antke Engel und Teresa de Lauretis - oft nicht als adäquater Zugang betrachtet, um über Geschlechtsidentitäten bzw. -fluiditäten, sexuelle Orientierungen, Transidentitäten, die Dekonstruktion der binären Geschlechterordnung, die Genese des Subjekts etc. nachzudenken (vgl. dazu auch de Laurctis 2017).

Das kommt nicht von ungefähr: Theoretisch wie klinisch hat sich die Psychoanalyse lange Zeit durch pathologisierende und abwertende Diskurse nicht unbedingt als Zugang der Wahl angeboten. Bis in die 1990er-Jahre haben die meisten Ausbildungsvereine keine offen schwulen oder lesbischen AusbildungskandidatInnen aufgenommen und heute scheint die frühere durchaus offene Homophobie oftmals durch eine Transphobie ersetzt worden zu sein (vgl. dazu auch Drescher 2008: 452; Quindeau 2017:182; Rauchfleisch 2001:139 ff.; Rudolf-Petcrsen 2017:504; Pula 2017).

Viele potenziell an der Psychoanalyse Interessierte ziehen für sich eine Analyse aus Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung nicht in Betracht oder begegnen ihr mit großer Skepsis. Diese Skepsis ist oft nicht unbegründet. Stereotype über LGBTIQ's werden in Vorträgen, Ausbildungsseminaren, Supervisionen, aber auch in der klinischen Arbeit mit AnalysandInnen oftmals noch immer unhinterfragt reproduziert. Auch die Queer Theory bzw. queere Theorien werden von der psychoanalytischen Theoriebildung meist nicht als ernstzunehmendes Feld der Auseinandersetzung wahrgenommen. Vom psychoanalytischen Mainstrcam wird ihre kritische Haltung gegenüber der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit und der Kritik an Identitätslogiken (vgl. dazu auch Engel 2017; Edclman 2017; Hansbury 2017; Zach 2017) oft pathologisiert und u. a. als Verleugnung der Kastration gedeutet.

Darüber hinaus führt „diese sehr politische Auseinandersetzung mit Identität, die Dekonstruktion der Zweigcschlechtlichkeit, die Auseinandersetzung mit nicht-normativen Sexualitäten von Seiten queerer Theorie und Praxis [...] in psychoanalytischen Diskussionen oft dazu, dass eine Verwechslung von Politischem mit Psychischem unterstellt und die queere Kritik an Identität in Zusammenhang mit psychischer und geschlechtlicher Kohärenz sowie an der Heteronormativität" (Hutfless 2017)
zurückgewiesen wird.

In Absetzung von dieser psychoanalytischen Kritik stellt aus unserer Perspektive jedoch die oft vereinfachte — das Unbewusste außer Acht lassende — Auseinandersetzung mit der Subjektgenese und der Performativität von Geschlecht eine Schwäche vieler queer-theoretischer Zugänge dar (vgl. dazu auch Dean 2017; Watson 2017; Sulyok 2017); dies wird allerdings von der psychoanalytischen Kritik an queeren Ansätzen selten herausgearbeitet. Für queere Ansätze kann die Auseinandersetzung mit dem Unbewussten aus unserer Perspektive sehr bereichernd sein, denn nicht nur gesellschaftliche Diskurse, sondern auch intrapsychische Strukturen, unbewusste Ängste, Wünsche, Phantasien, Konflikte, Triebe, Abwehrmechanismen ... beeinflussen die Genese sowie die geschlechtlichen Scins-und die sozialen Handlungsweisen eines Subjekts. (...)"

Die Beiträge des Bandes

  • Esther Hutßess; Barbara Zach: Queering Psychoanalysis. Vorwort
  • Esther Hutßess: Queer |Theory]: Annäherungen an das Undarstellbare. Einleitung
  • Jack Drescher: Von Bisexualität zu Intersexualität: Geschlechterkategorien neu denken
  • Susann Heenen-Wolff: Unbehagen in der Tradition: Kritische Anmerkungen zu normativen Konzepten von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Psychoanalyse
  • Esther Hutßess: Die Zukunft einer Illusion: Eine queer-psychoanalytische Kritik am Identitätsdenken der Psychoanalyse
  • llka Quindeau: Geschlechtervielfalt und polymorphes Begehren: Queere Perspektiven in der Psychoanalyse
  • Teresa de Lauretis: Der queere Trieb: Rereadlng Freud mit Laplanche
  • Antje Engel: Multiplizität und Serendipität des Begehrens: Queere Rekonzeprualisierungcn psychoanalytischer Begehrenstheorien.
  • Lee Edelman: Der grausamste Schnitt: Queerness und die Psychoanalyse
  • Tim Dean: Lacan und Queer Theory
  • Eve Watson: Queenng Psychoanalysis und Psychoanalysing Queer
  • Anne Worthingion: Warum Lacan? Psychoanalyse und Queer Theory
  • Christoph Sulyok: Grenzgänge: Perversionen queeren?
  • Almut Rudolf-Petersen: Neue Übertragungskonstellationen
  • Barbara Zach: Über den freien Fall und die sichere Landung: Zum Erleben der Psychoanalytiker*in in der Arbeit mit Trans'genders und Genderqueers
  • Griffin Hansburg King Kong und Goldlöckchen: Transmännlichkeiten vor dem Hintergrund der Trans-Trans-Dyade
  • Jack Pula: Gender aus der Perspektive der Transgender- Erfahrung

AutorIinnen / Drucknachweise

Die Herausgeberin

Esther Hutfless arbeitet als Philosophn und freie Wissenschaftlerin in Wien. Sie ist Lehrbeauftragte am Institut für Philosophie der Universität Wien und Psychoanalytiker*in in Ausbildung unter Supervision beim Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse. Sie* arbeitet in freier Praxis in Wien. Ihre Forschungsfelder beinhalten: Poststrukturalismus, Dekonstruktion, Feministische Philosophie, Psychoanalyse und Queer Theory. Esther Hutfless beschäftigt sich intensiv mit Fragen von Körper, Geschlecht, Begehren, der Dekonstruktion von Identitätskategorien, dem Verhältnis von Queer Theory, Psychoanalyse und Philosophie sowie queerenden Praktiken und neuen Ästhetiken des Schreibens.

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