Details

Autor Schimang, Dieter
Verlag Büchner-Verlag
Auflage/ Erscheinungsjahr 07.06.2023
Format 20.5 × 14.5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 274 Seiten
ISBN 9783963173608

Zu diesem Buch

Mit seiner provozierenden Begriffsbildung der »Scheinmündigkeit« platzt der Kulturanthropologe Dieter Schimang mitten hinein in die große Party des Libertären, welche die seit dem 18. Jahrhundert erzielten Errungenschaften der Aufklärung noch immer selbstvergessen besingt, während antiauffklärerische, antiemanzipative Bestrebungen in den USA, Frankreich, in Deutschland und anderswo längst fröhliche Urstämde feiern. Diese autoritativ-restaurativen Bestrebungen sind populär und höchst wirkmächtig bei ihrem Projekt zur freiwilligen Selbstentmündig verunsicherter, von permanenten Krisen und schlechter Regierungskunst enttäuschter Menschen. -  Mündigkeit bedeutet die Befähigung zur vernunftgeleiteten Selbstbestimmung, sie meint Mut und die Fähigkeit, dem eigenen Verstand zu folgen, Verantwortung für sich selbst und die Gesellschaft zu übernehmen.

An zahlreichen Beispielen und in historischer Herleitung führt Schimang vor, wie man sich der Mündigkeit politisch entledigt hat, indem man sie durch eine leere, rein formale Bestimmung ersetzt hat: eine Scheinmündigkeit, die uns mit 18 Jahren zugesprochen wird und uns vor allem als Konsument_innen meint. Er zeigt: Eine inhaltlich gefüllte Mündigkeit aller ist unvereinbar mit einem Regime des privaten Gewinnstrebens, sie ist für ein solches nachgerade gefährlich. Es ist vor allem die ökologische Krise, die nun lautstark an die Türen dieses Selbstbildes klopft und neue Chancen eröffnet: diese Fehlentwicklung nachzuvollziehen und sie zu korrigieren.

Inhalt

Einleitung

  • Krisen 
  • Eine Stunde der Wahrheit?
  • Unser Spatz in der Hand: Der Anspruch auf Mündigkeit
  • Ökologische Unmündigkeit als Menschheitsproblem
  • Gegen allen Mündigkeits-Anspruch: Bürgerliche Unmündigkeit
  • Mündigkeit ist eine soziale Kompetenz
  • Unsere anthropologische Basis: Die Conditio Humana
  • Zurück ins Konkrete – Zurück zur Gegenwart
  • Das Besondere einer kulturanthropologischen Herangehensweise

Teil I: Die kulturanthropologische Ebene
1 Das Individuum – nachhaltig sozialisiert

  • Sozialisation: Warum Worte allein nicht genügen
  • Anthropologie: Des Menschen größter Mangel und wie er sozial bewältigt wird 
  • Eine anthropologische Entfremdung: Tod, Transzendenz und »re-entry« 

2 Raum und Grenzen der Individualisierung

  • Wie die Kultur der Individualität den Boden bereitet
  • Die kulturellen und sozialen Grenzen der Individualisierung
  • Das Individuum als Treiber der Individualisierung 
  • Individualisierung oder Emanzipation?
  • Individuum, Tod und Transzendenz: Aller Sinn ist sozial
  • Die Symbiose aufkündigen? Nicht ohne Not!
  • Doch in der Krise gilt: »Not kennt kein Gebot!«

Teil II: Europas »Sonderweg« der Individua lisierung
3 Eine anthropologische Fehlkonstruktion und ihre historischen Konsequenzen

  • Die »Königsfrage der Weltgeschichtsschreibung«: Europas Sonderweg
  • Der Bankrott aller Autorität: »Kaiser und Papst sind nichts« 
  • Die Säkularisierung Scheinmündig und »Demokratisierung« von Wissen und Bildung
  • Die Individualisierung der Transzendenz 
  • »Du bist Mensch als wol als ich«: Gleichheit und Individualität
  • Warum Luther nicht verbrannt wurde 

4 Was nun – ohne kulturelle Autorität?

  • Der »Uomo singolare« – Das Individuum aristokratisiert sich selbst
  • Das prometheische Individuum verachtet die »Masse«
  • Halt und Sinn ganz materiell: Der »Besitz-Individualismus«
  • Eine Vorschule des Kapitalismus
  • Auch Privateigentum stiftet Identität, Halt und Unvergänglichkeit
  • Ein Angebot für alle? Die Aufklärung: Vernunft und Mündigkeit
  • Die kulturanthropologische Perspektive auf die Anderen
  • Nebenprodukt der Aufklärung: Der Fall aus dem System 

Teil III: Bilanz eines Erbes: Die Bürgerlichen Werte
5 Des Bürgers Selbstbild

  • »Das Individuum, der Mensch an sich«
  • Bezugspunkt von Recht und Menschenrechten: Das Individuum
  • Der Weg zum Extrem – Der Uomo singolare gegen die »Masse«
  • Eine kulturspezifische, eine bürgerliche Entfremdung
  • Individualismus oder die Ideologie der radikalen Individualisierung
  • Das Männliche im Begriff von der individuellen Freiheit 

6 Ein kulturprovinzieller »Universalismus«

  • Nun »wissenschaftlich« unterfüttert: Unsere Welt ist »die« Welt
  • Ein seltsamer »Universalismus«: Bürgerliche Menschenrechte 

7 Bürgerliche Mündigkeit als Schein-Mündigkeit

  • Allgemeine Mündigkeit und Bürgerliche Mündigkeit 
  • Mut allein ist nicht genug: Mündigkeit ist eine Kompetenz
  • Mündigkeit ist eine Kompetenz und ohne materielle Basis nicht zu haben
  • Volljährigkeit allein macht nicht »per se ausreichend mündig«
  • Ein bürgerliches Tabu: dass Mündigkeit eine Kompetenz ist
  • Exkurs I: Viel Effizienz-Wissen, wenig Vorstellungskraft
  • Exkurs II: Der Unterschied von individueller und sozialer Erkenntnis
  • Als Mündigkeit gefordert war: »Die Kraft zum Nicht-Mitmachen«
  • Schein-Mündigkeit – Provokation und Zeitbombe
  • Die Unmündigkeit der Privat-Macht: Alle Mündigkeit ist sozial
  • Die »Offene Gesellschaft«: Alle Entgrenzung braucht Mündigkeit 

8 Kapitalismus: Schein-Mündigkeit rechnet sich

  • Wo Selbst-Unterwerfung als »individuelle Freiheit« gilt
  • »Erwerbstrieb« – Diese Individualisierung will Privateigentum
  • »Individuelle Freiheit« zum Gewinn: Die Freiheit von aller Mündigkeit
  • Wo alle tun, »als ob«: Ohne Schein-Mündigkeit kein Kapitalismus
  • »privat enterprise« – Die Gesamt-Rechnung geht an die Gesellschaft 

9 Die Welt der Abgehängten

  • Wie »Die Gesellschaft der Individuen« ihr Gegenstück erzeugt
  • Wenn das Soziale pervertiert – zur anti-individualistischen Despotie
  • Warum die reaktionäre De-Individualisierung auf die Frauen zielt
  • Die »De-Individualisierung« an der Macht
  • Ausblick: »Wo die menschheit als gesamt subjektsich konstituiert« – das gattungs bewustsein

10 Nur mit einer »Mündigkeit als Kompetenz«

  • Ein Fazit – und »Das Ende des Individuums«
  • Ein kurzer Blick 50 Jahre zurück: Ausbildung zur Unmündigkeit
  • »Die Art, wie wir produzieren und konsumieren«, ist lebensfeindlich
  • Sozial, individuell frei und verantwortlich: Das Gattungsbewusstsein
  • Von der »Hüterin des Lebens« 

Literatur

Der Autor

Dr. Dieter Schimang (geb. 1942 nahe Torgau/​Elbe) hatte sein akademisch-politisches Erweckungserlebnis im Rahmen einer ethno­grafischen Feldforschung in Madagaskar. Dort erlebte er 1964, wie die brutale polizeiliche Durchsetzung des Bürgerlichen Rechts und Begriffs von Privateigentum die von ihm erforschte Gruppe und ihre Traditionen rigoros zerstörte. Ihm wurde klar, dass seine von der Volkswagenstiftung finanzierten Forschungseinsichten Konzernen wie Shell und Coca Cola den Weg bahnen würden. Seitdem ist ihm die alles überwältigende Kultur, aus der er selbst stammt, Problem und Thema zugleich geworden. Er war in der Vergangenheit unter anderem als Dozent am Goethe-­Institut, an der VHS Frankfurt sowie der Marmara-Universität in Istanbul tätig. Schimang publiziert und trägt vor zu den Themen Rassismus und Diskriminierung und engagiert sich in antirassistischen und interkulturellen Projekten, teilweise gemeinsam mit seiner Frau Berrin Nakipoğlu-Schimang.

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