Details
Autor | Pohlen, Manfred |
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Verlag | Rowohlt |
Auflage/ Erscheinungsjahr | 2006 |
Format | 21,5 × 14 cm |
Einbandart/ Medium/ Ausstattung | gebunden |
Seiten/ Spieldauer | 399 Seiten |
Abbildungen | mit zahlr. Faks. |
SFB Artikelnummer (SFB_ID) | SFB-001370_AC |
«Die Tür öffnet sich. Freud steht da, nicht imponierend, wartend. Er streckt die Hand nicht zum Gruß. Rechtswinklig gebeugt nach unten <bietet> sich die Hand zum Gruß der einen Möglichkeit, meine Hand in die seine zu schieben. Und da liegt man schon, von der begrüßend abgewinkelten Hand nun auf die Couch verwiesen - es gibt keinen anderen Weg. Er bleibt zurück, und man weiß, er sitzt und ich liege. Sonst ist zu sagen nichts, und ich hab zu sagen viel.» Ernst Blum, «RÜCKBLICK UND AUSBLICK»
Zu diesem Buch
Dieses Buch wurde schon Anfang der achtziger Jahre bei den legendären Seminaren des Autors zur psychoanalytischen Behandlungstechnik und Diagnostik an der Universität Marburg angekündigt. Aber erst viele Jahre später, nach seiner Emeritierung, konnte das spannende Projekt tatsächlich abgeschlossen werden. Manfred Pohlen hat sich noch einmal mit Vehemenz an die Arbeit gemacht, das Material gesichtet, mit neueren Erkenntnissen der Freud-Forschung verglichen und also auf den Stand der Dinge gebracht.
Pohlens Arbeit gründet auf einem spektakulären Nachlass, der das wohl einzige umfassende Protokoll einer Analyse bei Sigmund Freud beinhaltet und dokumentiert. Unmittelbar nach jeder Sitzung im Jahr 1922 notierte Ernst Blum deren Verlauf. Von keinem anderen Analysanden Freuds ist ein vergleichbares Dokument überliefert, einmal abgesehen von den fragmentarisch-polemischen Skizzen des Joseph Wortis »Meine Analyse bei Freud«.
Die über Jahrzehnte unter Verschluß gehaltenen Aufzeichnungen Blums, welcher er nach langen Jahren der Bedenkzeit schließlich Manfred Pohlen anvertraute, dokumentieren dezidiert, wie Freud bei seiner analytischen Arbeit vorgegangen ist. Noch nie gab es eine derart authentische Nahaufnahme der Freudschen Behandlungspraxis, die über einen längeren Zeitraum dokumentiert worden wäre.
Manfred Pohlen berichtet über die Entstehung der Protokolle und die Lebensgeschichte ihres Verfassers Ernst Blum. Dabei ordnet er die aus den Aufzeichnungen zu gewinnenden Erkenntnisse über Freuds Vorgehen in die Ideen- und Kulturgeschichte der Psychoanalyse ein. 150 Jahre nach Freuds Geburt, über 60 Jahre nach seinem Tod: ein einzigartiges Dokument seines Denkens und Wirkens und begehrenswerte Lektüre gleichermaßen für jeden hellwachen Analytiker und alle anderen am Thema Interessierte.
Aus dem Inhalt
Die Blum-Analyse
- Zur Vorgeschichte
- Über Ernst Blum
- Einführung in die Blum-Analyse
Freuds Arbeit aus dem Blick von Analysanden
- Die freudianische Tradition und der unfreudianische Freud
- Blanton und Doolittle: «europäische Amerikaner bei Freud»
- Kardiner: ein Anwalt der amerikanischen Ich-Psychologie
- Wortis: ein amerikanischer Vertreter der biologischen Psychiatrie
- Freuds sympathetische Einstellung und aktivistische Einmischung
- Apostolischer Auftrag und Häresie
- Ein Licht auf tatsächliche Praxis
- Die Emanzipation der Juden und der Frauen bei Freud
Dokumente der Analyse Ernst Blums
- Einführung und Darstellung der Dokumente
- Die originalen Sitzungsprotokolle von 1922
- Die Aufzeichnungen nach den stenographischen Protokollen von 1972/1973
- Aus den Tonbandtranskriptionen von 1973
- Rückblick und Ausblick der Analyse von 1972/1973
Die Protokolle: eine authentische Quelle Freud'scher Theorie und Praxis
- Vom Aalschwindel Freuds zur Wahrheit von Shylock
- Vom Heiratsangebot Freuds und den vergessenen Erinnerungen Blums
- Vom Paradigma der geistigen Führung Freuds
- Der «Mann Moses»: eine Geschichte jenseits der Psychologie
4.1 Von der Differenz zwischen christlichem und jüdischem Denken
4.2 Vom biblischen Gebot: zu erinnern und nicht zu vergessen
4.3 Von den christlichen Wurzeln des Antisemitismus
4.4 Von den jüdischen Wurzeln der Psychoanalyse
Psychoanalyse Nach-Freud: die vaterlose Psychoanalytische Gesellschafft
- Über die Unvernunft im Vernunftkonzept und vom Anderen der Vernunft auf der Couch
- Von der Verschwörung des Schweigens über Freuds Analyse
- Die Wieder-Erinnerung Freuds durch Blums Analyse
- Die neueren Entwicklungen: Rückgang zu den Müttern oder Transformation der Geschlechter
Epilog
- Ernst Blum: der Rabbi Freuds, ein Shylock in der Schweiz und am Ende ein Joshua Freuds
Stimmen zu diesem Beitrag
"(...) Pohlen hat gut begründet starke Thesen vorgetragen: über die jüdischen Wurzeln der Psychoanalyse, den Diskurs des aufbegehrenden, emanzipatorischen jüdischen Geistes in der Psychoanalyse, zur Stellung Freuds zum Christentum und zu seinem Rückgriff auf die humanistische Tradition, um einen „Gegenentwurf“ zur christlichen Weltauffassung zu erarbeiten. Pohlen hat den Mut, das Thema einer Verstrickung des Christentums mit seinem „strukturell inhärenten Antisemitismus“ in das Grauen der nationalsozialistischen Verbrechen aufzuwerfen. Die Ebene des S y m b o l i s c h e n (man denke an die Karfreitagsfürbitte für die „Erleuchtung der Juden“, deren ältere Fassungen bis 2008 von den „treulosen bzw. verblendeten“ Juden sprach) war unter Hitler, Himmler und all den anderen Schlächtern in die F a k t i z i t ä t blutigen Handelns, die Shoa, überschritten worden. „Christlicher“ Antisemitismus findet sich bekanntlich massiv bei Luther („Von den Jüden und iren Lügen“ 1543) und in den Äußerungen vieler Päpste (Gregor XVI, Leo XIII usw.). Verkappter Antisemitismus wird neuerlich von Alan Posner wieder einmal Benedikt XVI angelastet.
Pohlen spricht also kein veraltetes Thema an, wenn er von einer „Rezeptionsverweigerung des anderen Freud“ durch die institutionalisierte Psychoanalyse schreibt. Sie wolle sich nicht „mit den verstörenden Momenten des Jüdischseins, des jüdischen Geistes, und der jüdischen, antichristlichen Wurzeln der Psychoanalyse auseinandersetzen“ (S. 10). Das sind
starke Thesen und Pohlen unterstreicht sie, wenn er ausführt: „solange nicht der Antisemitismus als wesenskonstitutiv für das Christentum im Bewusstsein der Christen angekommen ist und ausgehalten wird“, könne es nicht zu einem aufgeklärten und praktizierten Humanismus und zu einer Auflösung des Antisemitismus kommen. Er spricht der deutschen psychoanalytischen Bewegung heute eine verdeckte „Arisierung“ der Psychoanalyse zu. Das alles geschieht nicht in billiger Polemik (man kennt Pohlen als streitbar, flach ist er nie!), sondern in einem ernsten, tiefgründigen Engagement für das, was ihm die Psychoanalyse ist, und was sie seiner Auffassung nach sein könnte, ja müsste. All diese Thesen sind eine Herausforderung an die etablierte Psychoanalyse, die sie eigentlich nicht einfach auf sich beruhen lassen kann. Und doch tut sie es – es kommen keine fundierten, niveauvollen Reaktionen (wie übrigens auch auf das „Schwarzbuch der Psychoanalyse“ von Meyer et al. 2005 nicht oder auf Leuschners Darstellung des frauenfeindlichen und reaktionär-konservativen Freud ). Sollte Pohlen also mit seiner Kritik Recht haben? Das Schweigen ist immerhin kein offener Angriff ad hominem, wie man das ja zur genüge bei solchen Konflikten kennt (etwa auf die Homosexualität des Psychoanalyse-Kritikers Foucault). Aber es ist auch eine Aussage: „Mit Dir nicht, nicht über diese Themen!
Eine niveauvolle Aufnahme des Diskurses wäre aber angezeigt und müsste in den Fragen zentrieren: „Wo hat Pohlen Recht, und was müssten wir dann tun?“ Nur das führt letztlich weiter (....) - Hilarion G. Petzold, aus: Überlegungen zu Manfred Pohlen: Freuds Analyse. Die Sitzungsprotokolle Ernst Blums von 1922, in: Textarchiv H. G. Petzold et al. Jg 2009
Der Autor und Herausgeber
Prof. Dr. Manfred Pohlen, Psychoanalytiker, ist emeritierter Direktor der Klinik für Psychotherapie der Philipps-Universität Marburg. «Freuds Analyse» ist der letzte und entscheidende Schritt zur Selbstaufklärung der Psychoanalyse nach den vorausgehenden Veröffentlichungen (mit Margarethe Bautz-Holzherr) über den Charakter und das Schicksal der Psychoanalyse und ihres Gründers («Eine andere Aufklärung - das Freudsche Subjekt in der Analyse», 1991; «Psychoanalyse - das Ende einer Deutungsmacht», 1995; «Eine andere Psychodynamik - Psychotherapie als Programm zur Selbstbemächti-gung des Subjekts», 2001).
Lieferbarkeitshinweis
Bei der SFB in 3 Varianten - verlagsfrisch, vom Autor signiert oder als Archivexemplar in sehr gutem Zustand mit dezentem "Mängelexemplar" Stempel am unterem Buchschnitt; beim Verlag vergriffen.
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