Details

Autor Benyamini, Itzhak
Herausgeber Engelmann, Peter (Hg.)
Verlag Passagen
Auflage/ Erscheinungsjahr 05.04.2024
Format 23.5 × 14 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 144 Seiten
Gewicht 237
Reihe Passagen - Thema
ISBN 9783709205846

Zu diesem Beitrag

Das von der Hamas am 7. Oktober 2023 im Süden des Landes an Israelis - großteils waren die Opfer araberfreundliche und eher politisch links stehende KibbuzbewohnerInnen und libertäre, wenig religiös belastete junge Menschen - angerichtete Massaker, dem das sonst omnipräsente Militär und die politische Führung über 24 Stunden nach diesem Anschlag hinweg weitgehend hilf- und tatenlos, geradezu wie im Stupor, zusahen, hat Israels Bevölkerung traumatisiert; eine Bevölkerung, die in ihrer Heterogenität und in ihren Identiätskonflikten und Ambivalenzen kaum unterschiedlicher, diverser, sein könnte. Das mit der Staatsgründung gegebene Versprechen, für alle Jüdinnen und Juden weltweit jederzeit ein sicherer Hafen zu sein, enthüllte sich von einer Minute auf die andere als ein - eben nur frommer - Wunsch.

Auch schon vor dieser historischen Zäsur vermeint der renommierte israelische Philosoph und Lacan-Kenner in diesem in vielerlei Hinsicht gespaltenen und zerrissenen Land längst bei allen Beölkerungsgruppen - religiösen und säkularen - eine Art eine kollektiv-seelischen Ausnahmezustand beobachten zu müssen.

Seit Benjamin Netanyahu 1996 das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, habe dieser eine gezielte Politik des Angstschürens betrieben, um seinen eigene Machterhalt zu sichern. Dabei verstand und verseht es Netanyahu, die spezifischen Ängste unterschiedlicher Gemeinschaften und die Spannungen innerhalb der Bevölkerung für seine eigennützigen Zwecke zu nutzen. Gleichzeitig ermutigt er seine Unterstützer, sich gegen jeden zu stellen, der seine Position zum Krieg ablehnt oder es wagt, eine Mitverantwortung der aktuellen rechtspopulistischen Regierung Israels für die derzeitigee Eskalation und deren Folgen zu benennen. Für Itzhak Benyamini liegt das Objekt der israelischen Angst nicht nur außerhalb, sondern innerhalb Israels: Es ist das von Netanyahu und seiner Gefolgschaft lange herangezüchtete Stereotyp des säkularen, liberalen, aschkenasischen Tel-Avivers, dem großstädtischen Sodom.

Inhalt

  • Vorwort
    Netanyahus Angstmaschine
  • Vorwort des Übersetzers
  • 1. Grundlegende Einführung in die ausländische Ausgabe von Die israelische Angst
  • 2. Das Unbehagen des Staatsbürgers: Der Zeltlagerprotest und das Theopolitische
  • 3. Etwas vom Mizrachi-Sein: Über den Identitätskern infolge von Freuds Nachträglichkeit
  • 4. Die israelische Angst
    Mit Freud, Heidegger, Lacan, Netanyahu
  • Interview in der israelischen Zeitung Jedi’ot Acharonot
  • Anmerkungen

Aus der Zusammenfassung des 3. Kapitels

3. Etwas vom Mizrachi-Sein: Uber den Identitätskern infolge von Freuds Nachträglichkeit

Zusammenfassung: Der politische Zwist der letzten Jahre in Israel hängt mit der Frage nach der Definition der Mizrachi-Identität zusammen. Es geht also um die Identität der aus islamischen Ländern stammenden Juden, die als „Mizrachim“ konstruiert werden, während die aus Europa stammenden Juden als „Aschkenasim“ bezeichnet werden.

Diese Frage spitzt die Spannung zwischen einer linken und rechten Mizrachi-Auffassung zu, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zwischen aktuellem Mizrachi-Sein mit seiner Tendenz zum gemäßigten Traditionalismus sowie zum Arabismus auf der einen Seite - und der politischen Tendenz auf der anderen Seite, rechts zu wählen. In diesem Essay möchte ich die Perspektive von Freud und Lacan auf die „Nachträglichkeit“ heranziehen, um die These aufzustellen, dass die Mizrachi-Identität — wie jede Identität, auch wenn sie ideologisch konstruiert ist — über eine gegenwärtige Wirklichkeit verfugt. Diese Wirklichkeit ist trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Fiktionalität effektiv, und zwar deswegen, weil sie affektiv ist. Ihre Wahrheit liegt in einem gegenwärtigen Kern, der vor allem auf den Signifikanten „Mizrachi“selbst zurückgeht. Wir können das Phänomen erklären, indem wir das Mizrachi-Sein nachträglich zurückverfolgen. Diese gegenwärtige Identität schreibt rückwirkend ihre eigenen „Quellen“, wie es auch die arabische und traditionalistische Identität tun. So gesehen ist der jüdische Traditionalismus keine Quelle, aus welcher das Mizrachi-Sein entstand, sondern eine aktuelle Gegebenheit, die in den Macht- und Partnerschaftsverhältnissen innerhalb der gegenwärtigen sephar-dischen Synagogen verkörpert ist, und zwar vor dem Hintergrund der aktuellen „Shas“-Partei, die aujgrund der Selbst- und Fremddarstellung als ultraorthodox den Traditionalismus nachträglich als gemäßigt erscheinen lässt. Desgleichen mit dem Arabisch-Sein: Die Mizrachim sind ursprünglich keine „arabischen Juden“, weil sie in ideologischer Verleugnung stecken. Die Leugnung an sich liegt der Identität zugrunde. Darum schlage ich die folgende Formulierung vor: Der Mizrachi ist ein arabischer Jude abzüglich des Arabisch-Seins. Die Gegenwart des Minuszeichens ist die Grundlage, anhand deren wir die Beziehung des Mizrachi zu seinem eigenen Arabisch-Sein sowie zu den anderen Elementen seiner Identität nachträglich entziffern.

Stimmen zu diesem Buch

"(...) Das Unheimliche im eigenen Staat gründe sich auf der stetigen Vergegenwärtigung des Erzfeinds - "den Nazi", "den Araber" oder "den Iraner" -, um das Nichts verdrängen zu können. Daher der Dauerausnahmezustand: "Die Kriege gegen den Feind sind nur Tarnung für eine noch größere Angst. Darum gilt es, eine andauernde kleine Kriegsführung aufrechtzuerhalten, ohne dass diese in einen zu großen Krieg übergeht, denn damit ginge die Tarnung verloren." Diese Tarnung verhülle zuerst sich selbst und verberge erst danach ihr Objekt. Deswegen dürfe der Krieg nicht übertrieben werden. "Erst auf dieser Grundlage kann er das noch schrecklichere Nichts tarnen, das die Angst zu bewältigen hat" (107).

Bedeutet die Zäsur vom 7. Oktober 2023 die endgültige Enttarnung des besagten Nichts und damit zugleich die israelische Erkenntnis, das zionistische Staatsprojekt einer sicheren Heimat für die Juden sei gescheitert? Sind sämtliche Verdrängungsmechanismen nun unwiderruflich zunichtegemacht worden? Der Autor verwendet Jacques Lacans Begriff jouissance, um eben das Illusionäre, das Überzeichnete am israelischen Glücknarrativ zu unterstreichen. Sein Argument: Gerade aus der Dialektik zwischen dem Angst- und dem Glücks-Diskurs resultiere Netanyahus Macht: Die Angst vor dem ewigen Krieg und vor dem Zerfall Israels begünstige im Verein mit der Illusion, Israel sei eine normale westliche Demokratie, den Politikertypus des Zauberer-Erlösers, wie ihn Netanyahu verkörpere. (...)" 

Aus einer umfassenden Rezension von Tamar Amar-Dahl, publiziert auf: https://www.sehepunkte.de/2024/09/39273.html

Der Autor

Itzhak Benyamini, geboren 1968, lehrt an der Universität Tel Aviv sowie an der „Bezalel“-Akademie der Künste in Jerusalem.

Der Herausgeber

Peter Engelmann ist Philosoph, Herausgeber der französischen Philosophen der Postmoderne und der Dekonstruktion und Leiter des Passagen Verlages.

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