Details

Herausgeber Aebi Schneider, Elisabeth; Kittler, Erika; Schlüter, Sabine (Hg.)
Verlag Klostermann
Auflage/ Erscheinungsjahr 2018
Format 24,0 × 16,0 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 230 Seiten
Reihe Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis
ISSN 0169-3395_TP_1/2018

Aus dem redaktionellen Vorwort

"(...) Und worum geht es diesmal? - Unter dem Titel »Wissen und Forschen« versammelt, scheinen die Texte  dieses Heftes alle auf die Fragestellung hinauszulaufen, was Psychoanalyse ist, wie man sie entwickeln und sich in ihr verständigen kann. Dass diese Fragestellung die Analytiker offenbar bewegt, kann man verschieden deuten. Zum einen natürlich aktuell, etwa vor dem Hintergrund der in der IPA gerade laufenden, sehr emotional geführten Debatte darüber, welche Stundenfrequenz notwendig oder unumgänglich ist, um den Ausbildungskandidaten ausreichend raum für eine angemessene Erfahrung des psychoanalytischen Prozesses zu geben – was ja damit zusammenhängt, wie man die Psychoanalyse versteht. Um zu einer Position und vor allem zu einem Gespräch zwischen den einzelnen Positionen zu finden, mag es hilfreich sein, sich darauf zu besinnen, was Psychoanalyse eigentlich ist. Auch die gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die in mehreren Hinsichten quer zum Projekt der Psychoanalyse stehen, muss man – obwohl ihre Diskussion mittlerweile schon Jahrzehnte andauert – wohl unter dem Stichwort der Aktualität verzeichnen. Hier geht es um jene alten Bekannten, von denen sich die Community nicht sicher ist, ob sie Freunde oder Feinde, Entwicklungshelfer oder als Entwicklungshelfer getarnte Kolonialherren sind: die Psychoanalyse als kassenfinanzierte Heilmethode und ihre Einordnung in den Kanon der auf Empirie zugeschnittenen (natur-)wissenschaftlichen Methoden. Besonders diesen letzten Aspekt nehmen unsere Beiträge auch mehrmals explizit auf. Befeuert wird gerade dieses Thema im Hintergrund wohl auch durch die europaweiten Bemühungen, die Psychotherapie als Ganzes und damit auch die Psychoanalyse zu akademisieren. (...)"

Inhalt

Robert Heim: »Starke Dichter« nach Freud: Melanie Klein, Jacques Lacan. Ein wissenschaftshistorisches Modell für die Psychoanalyse

Der Autor thematisiert die Frage, wie sich folgenreiche »wissenschaftliche Revolutionen« in der Geschichte der Psychoanalyse ereignen können. Dafür nimmt er ein Modell des Literaturtheoretikers Harold Bloom in Anspruch: Für ihn sind es sogenannte »starke Dichter«, die den Formenkanon und die poetische Expressivität der Dichtungstradition in einem Akt der kreativen Neuschöpfung bereichern. Aufgrund ihrer Nähe zur Dichtung und ihrer Einsicht in die unbewusste Metaphernbildung macht der Autor dieses Modell für die Wissenschaftsgeschichte der Psychoanalyse geltend. Der »starke Dichter« im Sinne Blooms leidet unter »Einflussangst« und schöpft aus der Abwehr dieser Angst ein Werk von wirkungsgeschichtlicher Bedeutung. In der Geschichte der Psychoanalyse nach Freud porträtiert der Autor Melanie Klein und Jacques Lacan als zwei einflussreiche Gestalten, die prägnant die Züge des »starken Dichters« tragen.

Giovanni Vassalli: Epistemologische Grundzüge der Psychoanalyse im Vergleich mit der neuzeitlichen Wissenschaft

Der Aufsatz ist aus dem Bestreben entstanden, die oft zu beobachtenden Verwischungen zwischen der Psychoanalyse und der Wissenschaft zu klären. Während die heutige, auf Evidenz beruhende Wissenschaft ihre Legitimität im Laufe der Neuzeit durch die Mathematik und ihre exakten Berechnungen erworben hat, geht die Psychoanalyse auf einen artisanalen Ursprung zurück und ist dementsprechend von Freud als Technik bezeichnet worden. Dieser Begriff hat für ihn die Bedeutung eines Kunsthandwerks erhalten, wie sie in der griechischen téchnê-Tradition bekannt war. In ihrer sprachlichen Ausbildung wurde sie biszum Beginn der Neuzeit durch die aristotelische Rhetorik vertreten. Als im 20. Jahrhundert die Psychoanalyse geschaffen wurde, ist diese in der neuzeitlichen Kultur verständlicherweise als eine unzeitgemässe Erscheinung empfunden worden. Dies vor allem deshalb, weil sie als Erforschung des Unbewussten nicht einem rationalen, sondern einem vermutenden, konjekturalen Vernunftbegriff folgen musste. Einige ihrer Positionen versucht nun dieser Aufsatz hervorzuheben und der »evidence based science« gegenüber zu stellen. Dadurch soll die originelle, epistemologische Achse der Psychoanalyse ein deutlicheres Profil bekommen. Die Diskussion über das Verhältnis von Psychoanalyse und Wissenschaft steckt aber auf beiden Seiten immer noch in den Anfängen.

Erwin Kaiser: Von der Angst zur Methode – und zurück. Drei Arten von psychoanalytischem Wissen

Der Autor sieht eine zunehmende Verwirrung in der psychoanalytischen Gemeinschaft bezüglich der Natur psychoanalytischen Wissens und der entsprechenden Forschungsmethodik. Ausgehend von Wallersteins (2009) Artikel in diesem Journal zeigt der Autor, dass die einheitswissenschaftliche Forschung, wie Wallerstein sie propagiert, (1) zu fragmentierten und wirklichkeitsfremden Mini-Theorien geführt hat und (2) für die psychoanalytische Praxis völlig irrelevant ist. Es werden die epistemologischen Gründe für dieses Problem diskutiert, und es werden Gründe genannt, weswegen diese Art von Forschung niemals zu einem Zugewinn an psychoanalytischem Wissen führen kann. Ausgehend von einem epistemologisch anderen Ansatz, dem der sprachanalytischen Philosophie von Donald Davidson, wird gezeigt, dass sich die Probleme der einheitswissenaftlichen Forschung aus dieser Perspektive erklären lassen. Es wird eine alternative Form von Handlungserklärungen, wie sie in Deutungen verwendet werden, vorgeschlagen und es wird gezeigt, dass diese Form mit psychoanalytischen Theorien und psychoanalytischem Wissen kompatibel ist. Am Schluss werden drei Formen von psychoanalytischem Wissen unterschieden: (1) das Gesetzes-Wissen, wie es Wallerstein vorschwebt und das seit über 100 Jahren nur als Programm existiert, (2) Effizienz-Wissen, wie es in Gruppen-Untersuchungen der Wirksamkeit von Psychotherapie erzeugt wird, das aber im Behandlungsraum mit einem einzelnen Patienten nicht hilft, und (3) psychoanalytisches Wissen im engeren Sinn, wie es im Behandlungsraum entwickelt und angewandt wird. Es wird versichert, dass die Vermengung dieser drei Arten von Wissen der Psychoanalyse als Theorie und als Therapie schadet.

René Roussillon: Die Psychoanalyse des Narzissmus und die unvermeidlich »postmoderne« Psychoanalyse

Die postmoderne Psychoanalyse ist mit einer unvermeidlichen Vielfalt von Positionen konfrontiert, die von jenen »Theorien« abhängen, die sich die Analytiker von den »Bedürfnissen« ihrer Patienten aus deren Frühzeit zurechtgelegt haben. Dieser postmoderne Standpunkt ist wenig komfortabel, weil die Deutungstechnik sich heute nicht mehr zurücklehnen kann an Modelle, die für die klassiche Analyse von Neurosen galten. Da konnte der Patient als getrenntes Wesen mit eigener Identität gelten, der in gewisser Weise das Deutungsangebot des Analytikers verwerten, auswählen, gegensteuern und auch nein sagen konnte. Bei den heutigen narzisstisch-identitären Störungen jedoch wird die abwartend deutende Haltung des Analytikers obsolet, da ein solcher Patient angewiesen ist auf identitäre Abstützung und sich dazu jedwede Regung des Analytikers aneignet oder sich eben ganz einfriert. Der Autor schlägt einen »exploratorischen« Stil vor, der an der Oberfläche arbeitet, und appeliert an die Kreativität des Analytikers, im Wissen, dass keine Theorie, obwohl sie der Komplexität des Lebendigen Rechnung tragen muß, eben dieser Komplexität ganz gerecht werden kann.

Gerhard Dammann: Einige Überlegungen zu René Roussillon und einer von Pluralität gekennzeichneten, spätmodernen Psychoanalyse

Der französische Psychoanalytiker René Roussillon hat sich in den letzten Jahren in verschiedenen Texten, die breite Resonanz in der internationalen psychoanalytischen Welt erhielten, mit der Frage der Pluralität in der heutigen Psychoanalyse befasst. In sehr komplexen Essays, die sich auf eine Fülle von ideengeschichtlichen Bezugspunkten stützen, die aber teilweise nicht direkt genannt werden, entwirft Roussillon sein Modell einer tragfähigen, pluralistischen spät- bzw. postmodernen Psychoanalyse, die von Klammern gehalten wird und sich nicht in Beliebigkeit oder patientenfernen Theoriediskussionen verliert. Sein wichtigster Gewährsmann bleibt dabei Freud, auf dessen Narzissmus-Konzept Roussillon sich unter anderem beruft. In der vorliegenden Arbeit werden die wichtigsten Überlegungen Roussillons zusammengefasst, einige psychoanalysegeschichtliche, insbesondere französische Wurzeln beleuchtet und einzelne Aspekte seines Vorschlags kritisch diskutiert und mit eigenen Überlegungen ergänzt.

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