Details

Autor Schildknecht, Doris
Verlag VTA-Verlag für Tiefenpsychologie und Anthropologie
Auflage/ Erscheinungsjahr 01.06.2016
Format 24 × 16 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Hardcover
Gewicht 550
ISBN 9783981667097

Zu diesem Buch

Dieses Buch ist für PsychotherapeutInnen gedacht, die sich für die Anfänge der Psychoanalyse und Herausbildung des psychotherapeutischen Verstehens interessieren.

Theodor Reik (1888-1969) war einer der engsten Mitarbeiter Freuds und hat ein umfangreiches, psychotherapeutisches Schrifttum hinterlassen. Das Buch rezipiert die Theorie des Zuhörens und Verstehens, wie sie Reik in seinem Hauptwerk Hören mit dem dritten Ohr (1948) entwickelt hat. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft mußte er in die USA emigrieren, wo er sich in New York niederließ und sein Buch bald ein großer Erfolg wurde. Reik entwickelte Freuds Kommunikation zwischen zwei Unbewussten weiter, indem er eine intuitiv-hermeneutische Verstehensweise als Grundprozess annahm. Sein Ansatz läßt sich auch in die Gegenübertragungs- und Mentalisierungstheorie einordnen. In dem Buch werden diese Theorieansätze vor dem Hintergrund seiner wechselhaften Biografie differenziert dargestellt.

Die Autorin in ihrer Einleitung

»Als ich das Buch Hören mit dem dritten Ohr des Psychoanalytikers Theodor Reik las (der Ausdruck „drittes Ohr" stammt von Nietzsche und meint sinngemäß „feinsinniges Erfassen"; Nietzsche 1886, Jenseits von Gut und Böse), wurde mir klar, daß hier ein wichtiger Zugang zum Verstehen entwickelt war. Reiks Selbst- und Menschenkenntnis sowie seine Fähigkeit zur Intuition, die sich in der Haltung der freischwebenden Aufmerksamkeit und in Schweigesituationen entfaltet, beeindruckten mich sehr. In einem umfangreichen schriftstellerischen Werk hat er sein Theoriegebäude dargelegt und anhand von Fallbeispielen gut veranschaulicht. Er hat dabei viel von dem geistigen Erbe seiner Zeit (Literatur, Theater, Musik etc.) in seine Arbeit einfließen lassen. Dieser Ansatz, Kulturwissenschaften in die psychotherapeutische Arbeit mit einzubeziehen, der ursprünglich von Freud kommt, ist heute aktueller denn je.

Hervorzuheben ist, daß Reiks Werk in der letzten Zeit eine Renaissance erlebt. Psychoanalytische Autoren wie Susann Heenen-Wolff und Klaus Grabska greifen seinen Verstehensansatz Hören mit dem dritten Ohr in neuen Publikationen auf, um die Grundlagen der Psychoanalyse mit Hilfe Reiks Kategorien, nämlich der Haltung der gleichschwebenden Aufmerksamkeit und des zurückhaltenden Zuhörens zu umreißen. Die Wiederbeschäftigung mit dem Verstehen geht darauf zurück, dass tiefenpsychologische/psychoanalytische Richtungen der letzten Jahre, die stark den Einsatz von direktiven Interventionen verlangten, an ihre Grenzen stießen und nun die Methode des zurückhaltenden Zuhörens wieder verstärkt diskutiert wird. Wichtige Beiträge zu diesem Ansatz sind in Vorträgen enthalten, die 2013 auf der Jahrestagung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) zu dem Thema Unerhört: Vom Hören zum Verstehen in Bremen gehalten wurden. [...]

Verstehen hat seine Wurzeln in der Intuition, einem sehr elementaren Vorgang, der seit der Antike thematisiert wird. In dieser Arbeit wird die Bedeutungsentwicklung dieses Begriffs von der Antike bis zur Neuzeit aufgezeigt. Reiks Verstehen, das in hohem Maße eine erahnende Vorgehensweise umfasst, basiert auf vier Grundelementen der lntuition, die zusammenfassend dargestellt werden.

Verstehen ist eng mit Hermeneutik verwandt. Die Hermeneutik wird in ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt, die als klassische Form mit der Bibelexegese begann und sich über Schleiermacher, Dilthey und Gadamer von einer universellen Auslegungslehre zu einer Philosophischen Hermeneutik entwickelte.

Wichtig ist der Vergleich zwischen Reiks Verstehensansatz und der psychoanalytisch-kritischen Theorie. Alfred Lorenzer und Jürgen Habermas, die eine Psychoanalyse vertreten, die auf Vergleich von ähnlicher Interaktionsmustern (Szenen), Wiederherstellung der Sprache und umfassender Selbstreflexion sowie auf Förderung der Bildung beruht, haben eine tiefenhermeneutische Methode des Verstehens entwickelt. Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Reiks „emotionalem Verstehen" und Lorenzers "szenischem Verstehen"

In Reiks Ansatz Hören mit dem dritten Ohr spielt der in allen hermeneutischen Positionen vorhandene hermeneutische Zirkel eine maßgebliche Rolle. Durch Integration von Einzelerkenntnissen ins Ganze (als Persönlichkeit) und umgekehrt, sowie durch Einbeziehung von Vorwissen (Vorannahmen, bei Reik „Vor-Wissen") und Selbsterkennrnissen  findet der Verstehensprozess zirkelhaft stat. Herauszuheben ist Reiks Forderung, dass die lebenslange Selbstanalyse für die psychotherapeutische Arbeit mit PatientInnen unabdingbar ist, da das Wissen und das Einbringen der eigenen Persönlichkeit wesentlich zum Verstehen des Anderen beiträgt. Selbst- und Fremdverstehen sind nach Reik eng miteinander verknüpft. Reiks Verstehensvorgang ist dialogisch und vollzieht sich vorwiegend im unbewussten Bereich in Form einer auf emotionaler Ebene stattfindenden, kurzzeitigen Ich-Umwandlung. Er fordert auch Mut zum Nicht-Verstehen und thematisiert dies im Rahmen eines produktiven Schweigens, das ein voreiliges Deuten ausschließt.

Reiks Werk hat eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Psychoanalyse in den USA, speziell in den Jahren 1945 bis 1965, als viele psychoanalytische Richtungen entstanden, getragen vor altem von Emigranten aus Europa. Man nennt diese Phase daher auch "Golden Ages" der Psychoanalyse. Interessant ist Reiks Position in der psychoanalytischen Fachwelt, in der ihm hohe Anerkennung durch sein Schaffen, insbesondere durch sein Buch Hören mit dem dritten Ohr zuteil wurde. Er strebte Berühmtheit an, was ihm jedoch nicht in dem Maße gelang wie einigen seiner psychoanalytischen Kollegen.  [...] «

Doris Schildknecht

Aus dem Inhalt

Grundzüge der Lebensgeschichte Reiks

  1. Entwicklungsbedingungen für die neue Wissenschaft Psychoanalyse
  2. Kindheit und Jugend
  3. Goethe in Zusammenhang mit dem Tod des Vaters und seiner Liebe zu seiner ersten Frau Ella
  4. Studienbeginn an der Wiener Universität
  5. Dreißigjährige Verbundenheit mit Freud
  6. Zeit in der Österreichischen Armee (1915-1918)
  7. Wiener Schaffenszeit (1918-1928)
  8. Berliner Schaffenszeit (1928-1933/34)
  9. Holländisches Exil (1934-1938)
  10. Leben und Wirken in den USA
  11. Grundzüge seines umfangreichen Werkes - Spiegelung seines Lebens

Werkanalyse I: Reiks Werk Hören mit dem dritten Ohr vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeit

  1. Reiks Selbsteinschätzungen
  2. Beurteilung durch Andere
  3. Der Kern des Verstehens Hören mit dem dritten Ohr
  4. Der "Januskopf" der analytischen Arbeit

Werkanalyse II: Hören mit dem dritten Ohr als intuitiv-hermeneutische Methode

  1. Anlehnung an Nietzsches "drittes Ohr"
  2. Freuds Theorie als Ausgangspunkt
  3. Reiks "analytische Antwort" als Gegenübertragung
  4. Gegenübertragung als Mentalisierung: Reiks "wiederholte Spiegelung"
    und "Antizipation von Reaktionen"
  5. Hören mit dem dritten Ohr als intuitives Verstehen
    5.1 Der Begriff der Intuition in der geschichtlichen Entwicklung
    5.2 C. G. Jungs Intuitionsbegriff
    5.3 Der Begriff Intuition in der aktuellen Diskussion und Darstellung von vier Grundelementen
    5.4 Reik: Intuition ist "unmittelbares Erkennen durch inneres Sehen"
    oder "Geburt einer Idee"
    5.5 Beispiele für intuitive Analysen, die Reik durchgeführt hat
  6. Hören mit dem dritten Ohr als hermeneutisches Verstehen
    6.1 Grundlagen der Hermeneutik
    6.2 Philosophen der Hermeneutik (Friedrich Schleiermacher, Wilhelm Dilthey, Hans Georg Gadamer, Alfred Lorenzer und Jürgen Habermas)
    6.3 Reiks tiefenhermeneutische Vorgehensweise
    6.4 Reiks hermeneutischer Zirkel
    6.5 Reiks erahnender und verstehender Prozess - Schleiermachers divinatorisches und komparatives Vorgehen
    6.6 Reik: „Verstehen ist ein Wiederfinden des Ich im Du"
    6.7 Ein Fallbeispiel Reiks bezüglich wechselseitigem Fremd- und
    Selbstverstehen - Darstellung der Wechselseitigkeit unter Einbeziehung einer Analyse eines Theaterstückes
    6.8 Reiks "Mut, nicht zu verstehen"  

Reiks Wirken vor dem Hintergrund der Hauptströmungen der Psychoanalyse

  1. Rezeption seines Ansatzes
  2. Rattner: Hören mit dem dritten Ohr als künstlerische Methode

Über die Autorin

Doris Schildknecht, Dr. phil, lebt und arbeitet als tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin in eigener Praxis in Berlin.

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