Details

Autor Censebrunn-Benz, Angelika
Verlag Verlag Herder
Auflage/ Erscheinungsjahr 14.02.2022
Format 20,5 × 12,5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Hardcover
Seiten/ Spieldauer 240 Seiten
Gewicht 358
ISBN 9783451390111

Zu diesem Buch

Von den Eltern im Stich gelassen oder vernachlässigt. An den Rand gedrängt, weil sie politisch oder sozial nicht angepasst waren – knapp 500.000 Kinder und Jugendliche haben das Heimsystem der DDR durchlaufen. Ihre Erfahrungen sind oftmals von Gewalt und Unterdrückung geprägt. Angelika Censebrunn-Benz befasst sich seit Jahren mit der Geschichte der Jugendhilfe in der DDR. Sie hat zahlreiche ehemalige Heimkinder getroffen und interviewt. In ihrem Buch gibt sie einen Überblick über die Geschichte der Zwangserziehung in der DDR und zeichnet in einfühlsamen Porträts Lebenswege ehemaliger Heimkinder nach.

Aus dem Vorwortvon Wolfgang Thierse

"(...) Die DDR war gewiss Verschiedenes: SED- und Stasi-Staat, ökonomisch gescheitertes Planwirtschaftssystem, vormundschaftlicher Staat und weltanschauliche Erziehungsdiktatur. Sie war sozialer Fürsorgestaat und Ort widersprüchlicher und deshalb lebendiger Kultur. Vor allem aber war sie auch eine Solidargemeinschalt ihrer Bürger gegen die obrigkeitlichen Zudringlichkeiten und Zwänge, gegen die Einschränkungen und Beschränkungen, gegen die Mangelwirtschaft. An diese Solidargemeinschaft können und sollten wir Ossis uns gerne erinnern. - Selbst in der engen DDR waren die Biografien vielfältig und nicht nur Täter- oder Opfergeschichten, nicht nur Schurken- oder Heldengeschichten. In ihr gab es den Witz, die Intelligenz und auch die Würde des gelebten menschlichen Lebens der Vielen, gab es - wie anderswo auch - Mut und Feigheit, Tapferkeit und Opportunismus, Widerstand und Unterwerfung. (...)

So verständlich die Verteidigung der eigenen Biografie gegen flotte abwertende Urteile sein mag, so sehr bleibt der kritisch-selbstkritische Blick auf die 40 Jahre DDR notwendig. Sie bietet Stoff genug dafür. - Zu den bisher eher beschwiegenen, dunklen Kapiteln gehört das System der Heimerziehung in der DDR, gehören deren Opfer: die Stiefkinder der DDR. Eine halbe Million Kinder und Jugendliche waren es, die dieses System in den vier Jahrzehnten von 1949 bis 1990 durchliefen, durchlitten. Ein System, das eine eigene »Hierarchie« darstellte: vom Normalheim über das Durchgangsheim, das Spezial-Kinderheim bis zum Jugendwerkhof (für die sogenannten Schwererziehbaren), dessen schrecklicher Inbegriff der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau war. Wer dieses System nicht selbst erlebt hat, der kann nicht ermessen, welche Leidenserfahrungen die Wirklichkeit drinnen ausmachten. Wir DDR-Bürger draußen wussten nichts Genaues darüber. Aber dass es dieses System gab, daran erinnere ich mich als Drohung in der Schule: »Wenn du dich weiter so benimmst, dann kommst du ins Heim« - so die Warnung gegenüber besonders ungefügigen Schulkameraden. - Auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist das Thema Heimerziehung viel zu wenig beachtet. (...)"

Inhalt

  • Vorwort von Wolfgang Thierse
  • Einleitung

Rahmenbedingungen staatlicher Fürsorge

  • Die DDR als Wohlfahrtsstaat
  • »Umerziehung« im Spezialheim - Jugendhilfe in der DDR
  • Zum Umdenken bewegen - den Willen brechen
  • Theoretische Grundlagen der Erziehung: Das Idol Makarenko
  • Gewalt als Erziehungsmethode: Das Heimpersonal
  • Alles für das Kollektiv - Demütigung und Verlust der Privatheit
  • Das Leben nach dem Heim

Schicksale und Leidensorte

  • »Von Natur aus bin ich nicht aggressiv«
    Die unfreiwillige Karriere zum kriminellen Gewalttäter
  • Das Jugendhaus Wriezen: Ein Gefängnis für junge Menschen
  • »Das hätte sie gar nicht sehen sollen«
    Die lebenslange Suche nach der Schwester
  • Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau: Endstation der DDR-Jugendhilfe
  • »Weil wir uns alle geschämt haben dafür«
    Im Heim wegen versuchter Republikflucht der Eltern
  • Das Spezialkinderheim Ernst Schneller in Eilenburg:
    Jugendwerkhof, Aufnahmeheim, Durchgangsheim
  • »Dresche wollte ich nicht kriegen, bin lieber stiften gegangen« Erziehungsziel erreicht.
    Im Heim missbraucht. Lebenslang beschädigt
  • Der Jugendwerkhof Neues Leben in Wolfersdorf
  • »Nie wieder mit dem Vater allein«
    Vom Versagen des Elternhauses
  • Der Jugendwerkhof August Bebel in Burg bei Magdeburg
  • »Indira Ghandi ist schwanger«
    Die Entwicklung eines Hochbegabten zum Störenfried
  • Das Durchgangsheim Bad Freienwalde
  • »Die Dämonen wird man nicht los«
    Die Überwindung der Vergangenheit im beruflichen Erfolg
  • Das Kinderheim Makarenko in Königsheide, Berlin-Treptow
  • »Habe oft Suizidgedanken, aber ich will leben«
    Über die Aufarbeitung der Traumata
  • Jugendwerkhof Ernst Thälmann in Lutherstadt Wittenberg
  • »Das ganze Leben bestand aus Strafe«
    Stasitauglich nach der Umerziehung?
  • Der Jugendwerkhof Lilo Hermann in Rödern
  • »Du bist gebrochen worden, egal wie«
    Wenn Heim und Elternhaus kein Zuhause bieten
  • Das Normalkinderheim Anna Schumann in Großdeuben
  • »Ich führe ein gutes Leben. Mit vielen Schatten«
    Als Trennungskind im Heim
  • Der Jugendwerkhof Clara Zetkin in Crimmitschau
  • »Wenn ich mich aufhänge, haben sie weniger Mühe mit mir«
    Mit Medikamenten ruhiggestellt

Schwierigkeiten des Überlebens und der Umgang mit zerstörter Kindheit und Jugend

  • Ein Fazit

Anhang

  • Karte der genannten Jugendhilfeeinrichtungen der DDR
  • Bildnachweise
  • Anmerkungen

Die Autorin

Angelika Censebrunn-Benz, Dr. phil., geb. 1981, Studium der Neueren deutschen Geschichte und Philologie an der TU Berlin; Forschung und Publikationen zur Geschichte des NS, insbesondere zum KZ-System; 2011-2017 Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag, mehrere Jahre im Büro von Iris Gleicke, Ostbeauftrage der Bundesregierung; seit 2018 Initiatorin und Projektleiterin des Projektes „Zeitzeugenarchiv ehemaliger Heimkinder der DDR“, Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau, 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Heimerziehung in Spezialheimen der DDR“.

Der Autor des Vorwortes

Wolfgang Thierse, geb. 1943, war von 1998 bis 2005 Präsident und seit 2005 Vizepräsident des Deutschen Bundestags. Mitglied des Zentralkomitees deutscher Katholiken.

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