Details

Autor Alt, Peter-André
Verlag C.H.Beck
Auflage/ Erscheinungsjahr 19.09.2016
Format 21,7 × 13,9 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Hardcover
Seiten/ Spieldauer 1036 Seiten
Abbildungen Mit 42 Abbildungen
Gewicht 1195
ISBN 9783406696886

Freuds Botschaft ist klar: Hinab zu den Kloaken, an die Düsterorte des Verdrängten und der seelischen Not! - Dort findet sich der Dienstort der Psychoanalyse als einer angewandten Therapeutik für den einzelnen und daraus abgeleitet für die Untersuchung gesellschaftlicher Irrungen und Wirrungn und von Massenphänomenen: Nur in und an diesen (Ab-)Gründen läßt sich die Unterwelt des an sich Leidenden vielleicht milde erhellen und millimeterweise bewegen, nur von dort aus, im Tiefpaterre des ´eigenen Hauses`, ist Klärung, Analyse, vielleicht Sanierung möglich.

Wer traut sich dort hinab? Wer begleitet Menschen mit ihren vielfältigen Ausdrucksformen psychischen Elends, in ihrem selbst- oder fremdverschuldeten Schlamassel ans Licht der Erkenntnis und zu mehr (Selbst-)Bewußtheit? - Wer hält das aus? Wer schafft das? Wer kann das? Wer will das? - Und wo erhält man die Zurüstung, diesen Drecksjob zu tun, ohne selbst im Sumpf unterzugehen?, zum Zyniker zu werden, oder der verständlichen Versuchungen zu erliegen, den oft so unappetitlichen, anstrengenden Arbeitsort zu meiden, durch hübschere, unverfängliche - jedoch recht belang- und folgelose - Behandlungs(t)räume auszutauschen ....?  

... Und wer ist, wer war der Mensch, der diese für so viele bis heute höchst befremdlichen Einsichten er- und ausgearbeitet hat? - Freud, der ›gottlose Jude‹? 

"Keine Wissenschaft der Moderne ist auf derart erbitterten Widerstand der Zeitgenossen gestoßen wie die Psychoanalyse. Sigmund Freud selbst hat seine Lehre als Auslöser einer Kränkung beschrieben, die dem Ich die unerfreuliche Einsicht vermittelt, dass es nicht Herr im eigenen Haus ist. Diesem Bild gemäß setzt die Psychoanalyse die Enttäuschungserfahrungen fort, die neuzeitliche Wissenschaften dem Menschen bereiteten: mit Kopernikus ist die kosmische Zentralposition der Erde, mit Kant die Zuverlässigkeit unserer sinnlichen Wahrnehmung, mit Darwin die Sonderstellung des Individuums in der Schöpfung fraglich geworden. Freuds Lehrsystem beseitigt nun die letzte der modernen Illusionen, den Glauben an die Reinheit des menschlichen Seelenlebens und die Dominanz unseres Bewusstseins.

Was es zutage fördert, sind Ansichten aus dem Souterrain der Psyche. Das Wissen über das Unbewusste offenbart eine unerfreuliche Botschaft: wer Traum und Neurose, die krankheitsbildende Macht der Verdrängung und die Ursprünge des moralischen Kontrollsystems, die Anatomie von Angst und Wahn, die Spannung zwischen Vernunft und Sexualität, zwischen Lebens- und Todestrieb untersucht, der erkennt, dass der rationale Mensch eine Erfindung von eindrucksvoller Wirkungsmacht, aber geringer psychologischer Stimmigkeit ist. (...)"

Aus einem Beitrag Peter-André Alts für den Berliner TAGESSPIEGEL
(Sigmund Freud und die Psychoanalyse - Aus dem Souterrain der Psyche, Beitrag vom 8.10.2013)

Zu dieser Arbeit

Kaum jemand hat eine ganze Epoche durch sein Denken und Werk so tiefgreifend verändert wie Sigmund Freud: Nach Freud träumen, lieben, denken und phantasieren Menschen anders.

Die mit größtem Sachverstand und in einer eleganten Sprache geschriebene Biographie beschreibt Freuds Leben und die Entwicklung der Psychoanalyse als großen Roman des Geistes. Obschon es in der Natur des von so vielen zuvor schon an- und ausgeleuchteten Freud-Themas liegt, daß die Rahmenhandlung soweit bekannt ist, ist diese umfassende Arebit dennoch weit davon entfernt, in ihren ganz wesentlichen Teilen vermeintlich Altbekanntes im neuen Sprachgewand nur einmal mehr in schöne Prosa zu bringen: Nein. - Die Querverbindungen, die Verweise auf Literatur und Kulturbezüge, auf die Rezeptionsgeschichte Freuds, die aktuellen Forschungsstände ... bieten der Leserin, dem Leser, - insbesondere auch der mit Freud besser vertrauten Leserschaft -, einen  inhaltlichen und intellektuellen Gewinn.

Wien im sinkenden 19. Jahrhundert: Eine bessere Kulisse für die Seelenleiden des modernen Menschen, für seine Existenzlügen und zerbrechenden Selbstbilder, als die prachtvoll morbide Hauptstadt des k.u.k.-Reiches ist kaum vorstellbar. Hier arbeitet der Nervenarzt Sigmund Freud an seinen bahnbrechenden Theorien zu Sexualität und Neurose, Traum und Unbewusstem, Familie und Gesellschaft, Märchen und Mythos. Peter-André Alt erzählt, gestützt auf unveröffentlichtes Material, von der Bewegung der Psychoanalyse, ihrem Siegeszug und ihren Niederlagen, und er portraitiert Freud als selbstkritischen Dogmatiker und wissenschaftlichen Eroberer, als jüdischen Atheisten und leidenschaftlichen Familienvater, als eminent gebildeten Leser und großen Schriftsteller, nicht zuletzt als einen Zerrissenen, der die Nöte der Seele, von denen die Psychoanalyse befreien sollte, selbst aus dunkler Erfahrung kannte.

Aus dem Inhalt

Familienroman (1856–1873)

  • Ein schwacher ‹Riesenkerl›
  • Die Mutter und der dunkle Kontinent
  • Wien in der Epoche des Liberalismus
  • Primus ohne Prüfungen

Im Labyrinth des Studiums (1873–1881)

  • Atheistischer Mediziner
  • Wissenschaft als Weltanschauung
  • Brückes Labor
  • Nicht enden können

Arzt auf der Suche (1881–1885)

  • Martha Bernays, ‹my sweet darling girl›
  • Erst Physiologe, dann Chirurg
  • Krankenhaus-Tristesse
  • Kokain
  • Diktatur der Enthaltsamkeit

Von der Klinik zur Praxis (1885–1892)

  • Privatdozent für Nerven-Pathologie
  • Charcots großes Seelentheater
  • Pariser Leben
  • Niederlassung und Heirat
  • Im Behandlungszimmer

Geburt der Psychoanalyse (1891–1898)

  • Geheimnisse mit Fließ
  • Kunstfehler und verdrängte Liebe
  • Über Sprachstörungen
  • Die kathartische Technik
  • Hysterie-Studien
  • Krankengeschichten als Novellen
  • Formen der Neurose zwischen Trieb und Angst
  • Ein sanfter Patriarch

Die Dunkelkammer des Traums (1895–1900)

  • Sich selbst analysieren
  • Erschriebenes Denken
  • Tiefenstrukturen des Träumens
  • Interpretationskunst
  • Hinab in den Maschinenraum der Seele
  • Kränkungen
  • Die Schwägerin

Landschaften im Unbewußten (1901–1905)

  • Die Theorie erreicht den Alltag
  • Sexualität unter Beobachtung
  • Ökonomie des Witzes
  • Alte Irrtümer, neue Therapien
  • Als Tourist in Italien und Griechenland
  • Ausklang eines Wunder-Jahrzehnts

Unerhörte Entdeckungen (1903–1913)

  • Leistungsethik
  • Ein detektivischer Leser
  • Enthüllung des Genies
  • Der Prophet in Rom
  • Nervöse Moderne 

Wahn und Methode (1900–1914)

  • Verstörende Fallgeschichten
  • Vom gespaltenen Ich
  • Frondienst an Patienten
  • In Europa unterwegs

Bewegte Forschung (1902–1914)

  • Der Mittwochskreis
  • Verbündete in der Schweiz
  • Schüler aus aller Welt
  • Eine emanzipierte Frau
  • Vereine, Konferenzen, Intrigen

Expansion und Verrat (1907–1914)

  • C. G. Jung, ein schwieriger Kronprinz
  • Nach Amerika 
  • Zerwürfnis mit Adler und Stekel
  • Die Verbannung des Joshua

Psychologische Grenzgänge (1912–1919)

  • Wilde Völker und verbotene Wünsche
  • Psychoanalyse zwischen Kriegsfronten
  • Narzißmus, Verdrängung und Unbewußtes
  • Meister im Hörsaal
  • Seelenarbeit in dunkler Zeit
  • Aus den Zonen des Unheimlichen 

Thanatos-Vorahnungen (1919–1924)

  • Die große Furcht 
  • Wieder Normalität und doch anders
  • Hiobs Heimsuchungen
  • Anna wird eingeführt

Letzte Fragen (1920–1930)

  • Zweierlei Triebe
  • Vor der Sumpfl andschaft des Es 
  • Religion entlarven
  • Die kulturellen Zumutungen
  • Großvater und Familienoberhaupt

Wissenschaft auf der Weltbühne (1923–1930)

  • Ärzte oder Laien Internationale Wirkungen 
  • Rank, der gefallene Engel 
  • Analytischer Betrieb 
  • Aufbau des Berliner Instituts
  • Das fremde Geschlecht

Spiegelungen der Lehre (1924–1933)

  • Charismatiker, Magier, Scharlatane
  • Neugierde
  • Jüdische Identität?
  • Ruhm und Enttäuschung 
  • Späte Vorlesungen, unveränderte Grundsätze

Endzeit in Wien (1930–1937)

  • Unbehagliches Altern
  • Gewitterwolken der Politik
  • Bilanzen, auch für die Zukunft
  • Die unabschließbare Analyse

Emigration und Tod (1938–1939)

  • Vertreibung aus dem Gefängnis
  • Refugium London
  • Die Moses-Akte
  • Ein Testament des Exils
  • Im Harnisch sterben?

Der Autor

Peter-André Alt, geb. 1960, ist Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin, die er seit 2010 als Präsident leitet.

Akademischer Werdegang: Studium der Germanistik, Politischen Wissenschaft, Geschichte und Philosophie in Berlin (FU) (1979-1984). Promotion 1984, Habilitation 1993. Lehrbeauftragter und Wissenschaftlicher Mitarbeiter FU Berlin (1985-1992), Habilitationsstipendium (1992-1993), Lehrstuhlvertretung Universität Rostock (1993/94), Heisenberg-Stipendiat der DFG (1994-1995), o. Professor Universität Bochum (1995-2002), Universität Würzburg (2002-2005), FU Berlin (seit 2005). Marbacher Schiller-Preis (2005). Mai 2008 Zuerkennung eines Opus-magnum-Stipendiums der Stiftungen Volkswagen und Thyssen für den Abschluss eines Projekts zur "Ästhetik des Bösen".

Geschäftsführender Direktor Germanistisches Institut Ruhr-Universität Bochum (1996-1997); Mitglied des Konvents der Ruhr-Universität Bochum (1997-2000); Geschäftsführender Vorstand Institut für deutsche Philologie Universität Würzburg (2005). 2006-2007 Studiendekan des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität, 2007-2009 Dekan; Mitglied des Akademischen Senats. 2007-2010 Sprecher der Friedrich Schlegel Graduate School of Literary Studies. 2008-2010 Direktor der Dahlem Research School (Center for Graduate Studies). Seit Juni 2010 Präsident der Freien Universität. Seit Juli 2012 Präsident der Deutschen Schillergesellschaft. (Quelle: FU Berlin)

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