Details

Autor Hirsch, Mathias
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
Auflage/ Erscheinungsjahr 7., überarbeitete Aufl. 10.2017
Format 20.2 × 14.6 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 324 Seiten
Abbildungen mit 5 Abb.
Gewicht 488
ISBN 9783525014738

Zu diesem Buch

Seit biblischen Zeiten sind Schuld und das Gefühl von Schuld ein zentraler Topos der menschlichen Existenz. In der Mythologie, in der Dramatik, im täglichen Umgang zwischen Menschen – überall gilt Schuld wie ein Kompass für das Verhalten. Selbstverständlich hat sich Sigmund Freud beim Entwurf seiner Tiefenpsychologie von Anfang an der Schuld und des Schuldgefühls angenommen und in dieser Differenzierung bereits die Dialektik von Schuld und Schuldgefühl deutlich gemacht: Schuldgefühl ist nicht nur ein Problem des Täters, sondern, im Ödipus-Konflikt etwa, das untätige Fühlen und Wünschen allein bringt das Gefühl von Schuld hervor. Das Gewissen, bei Freud das Über-Ich, konstituiert sich aus Schuldgefühlen und macht so den Menschen erst schuldfähig, aber dadurch auch fähig zu reifen.

In der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie kann die Schuld des Täters als eine Seite des Traumas gesehen werden, das durch Gewalttätigkeit gegen das Opfer, ihrer Annahme und Introjektion und schließlich Identifikation zum Schuldgefühl des Opfers geworden ist. Wenn die Psychoanalyse die so beschaffene Schuld des einstigen Opfers erkennt, muss sie in der Therapie zwischen Schuld und Schuldgefühl sorgfältig unterscheiden. Mathias Hirsch stellt in diesem grundlegenden Werk erstmalig eine Systematik des Schuldgefühls vor, die ein differenziertes Feld erschließt:

  • ein Basisschuldgefühl (aufgrund der bloßen unerwünschten Existenz),
  • ein Vitalitätsschuldgefühl (aufgrund behinderter vitaler Bedürfnisse),
  • ein Trennungsschuldgefühl (wegen verspäteter Autonomiebestrebungen),
  • ein traumatisches Schuldgefühl (aufgrund der Internalisierung traumatischer Gewalt).

Aus dem Vorwort des Autors

"Schuld isi ein Grundphänomen menschlicher Existenz, das Schuldthema durchzieht das menschliche Leben, es ist unerschöpflich und findet sich überall in Mythologie. Kunst und Dichtung sowie im Alltag. Insofern ist jeder Mensch sein eigener Experte auf diesem Gebiet, jeder hat seine persönliche Auffassung, was Schuld bedeutet und von wann an sie beginnt. Auch Schuldgefühl ist ein ubiquitäres Phänomen, unentbehrlich für die Regulation menschlichen Zusammenlebens, bei jeder psychischen Störung ins Pathologische gesteigert anzutreffen.

Wenn es so viele individuelle Auffassungen über Schuld und Erfahrungen mit Schuldgefühl gibt, muß auch das vorliegende Buch ein sehr persönliches sein. Meine Ansichten über das Schulderleben spiegeln sich in der Beziehungsarbeit in den Therapien, aber auch in der Beschäftigung mit ganz bestimmten Bereichen der Kunst und Literatur sowie in der Lileraturauswahl. Meine vorliegende Arbeil hat zwei Zielsetzungen: einmal die Verbindung von psychoanalytischer Theorie und realer Schuld zu untersuchen, zum anderen eine Systematik des Schuldgefühls zu schaffen. Solange die Psychoanalyse das Intrapsychische in den Mittelpunkt stellte, war Schuld nicht ihr Gegenstand. Bezieht sie aber die Dialektik von äußerer (traumalischer) Beziehungserfahrung und intrapsychischer Phaniasie-(Trieb-)Welt mit ein, gibt es »Täter«, also auch Schuld. Heule wird immer mehr angenommen, daß schweren psychischen Störungen, verbunden mit Ich-Schwäche und Dissozialionserseheinungen reale Traumata zugrunde liegen. Seit Ferenczi wissen wir von den Introjeklionsmechanismen traumalischer Gewalt, die auch im Wiederholungszwang zu erneuier Täterschaft, also Schuld, führen.

Vielleicht ist es die noch immer wirksame Treue Freud gegenüber, der Schuldgefühl immer nur im ödipalen Zusammenhang gesehen hat, daß der Differenzierung und Systematisierung des Schuldgefühls so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Mit dem vorliegenden Buch will ich zeigen, daß Schuldgefühl auf die verschiedensten Lebens- und Identitätsbestrebubgen und ihre oft traumalische Behinderung zurückgeführt werden kann."

Inhalt

Einleitung

I. Schuld

  • Schuld fängt »bei Adam und Eva« an
  • Schöpfungsmythen als Bild für die Phylogenese
  • der Menschen
  • Die Schöpfungsgeschichte als Bild für die Ontogenese
  • Überblick über den Schuldbegriff
  • Schuld und Gewissen
  • Kritik des psychoanalytischen Gewissensbegriffs
  • Der Schuldbegriff der Daseinsanalyse
  • Schuld und Gewissen im Kontext von Beziehung
  • Kollektivschuld und Generationenhaftung
  • Christliche Religion
  • Schulddialektik und Schulddilemma
  • Schuldbewältigung
  • Schuldbewusstsein und Reue
  • Schuldanerkennung, Umkehr und Vergebung
  • Juristische Schuldbewältigung
  • Schuldabwehr
  • Schuldzuweisung
  • »Schuld der Mütter«
  • Psychoanalyse und Schuld

II. Schuldgefühl

  • Überblick
  • Über-Ich
  • »Frühes« Über-Ich
  • »Reifes« Über-Ich
  • Abwehr von Schuldgefühl
  • Regression
  • Identifikation
  • »Verbrechen aus Schuldgefühl«
  • Introjektion
  • Unbewusstes, entlehntes Schuldgefühl (Freud 1923)
  • Das Introjekt
  • Ferenczi -  »Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen
  • und dem Kind« (1933)
  • Identifikation mit dem Introjekt
  • Identifikation mit dem Aggressor
  • Subtile Traumata
  • Sexualisierung
  • Wiederholungszwang
  • Erste Gruppe der Schuldgefühle: Basisschuldgefühl
  • Die Existenz des Kindes ist nicht gewollt
  • Rollenumkehr
  • Die Existenz ist gewollt, aber das Kind ist nicht »richtig«
  • Die »tote Mutter« als eigenes basales Falsch-Sein erlebt
  • Adoption
  • Familiengeheimnisse
  • Zweite Gruppe der Schuldgefühle: Schuldgefühl aus Vitalität
  • Ödipales Schuldgefühl
  • Sexualität und Schuldgefühl I
  • Scheitern am Erfolg I – Erfolg bedeutet Übertreffen
  • »Terrorismus des Leidens«
  • Geschwisterrivalität
  • Überlebendenschuldgefühl
  • Dritte Gruppe der Schuldgefühle: Trennungsschuldgefühl
  • Trennungsschuldgefühl
  • Sexualität und Schuldgefühl II – Sexualität bedeutet
  • Trennung
  • Scheitern am Erfolg II – Erfolg bedeutet Trennung
  • Vierte Gruppe der Schuldgefühle: Traumatisches Schuldgefühl
  • Familiäre Traumata
  • Verluste
  • Folter und KZ-Haft
  • Transgenerationale Weitergabe

III. Schuld und Schuldgefühl

  • Das Schuldgefühl ist mehrfach determiniert
  • Die Schuld des Opfers
  • Überschneidung von Schuld und Schuldgefühl
  • Abwehr von Schuld durch Schuldgefühl
  • Zur Differenzierung von Schuld und Schuldgefühl in der
  • analytischen Psychotherapie
  • »Unschuldsvermutung«
  • Durcharbeiten
  • Trennung

Literatur / Filme / Register

Der Autor

Mathias Hirsch, Dr. med., ist Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker (DGPT), affiliiertes Mitglied der DPV und Gruppenanalytiker. Er arbeitet in einer ausklingenden psychoanalytischen Praxis in Düsseldorf und übt Supervisions- und Seminartätigkeiten in Berlin und Düsseldorf aus. Seine Forschungsschwerpunkte sind sexueller Missbrauch in der Familie, psychoanalytische Traumatologie, Psychoanalyse des Körpers, Psychoanalyse und Kultur sowie Psychoanalyse und Film. Hirsch ist Autor /Herausgeber zahlreicher Bücher ("Der eigene Körper als Objekt"; "Der eigene Körper als Symbol"; "Realer Inzest" u.a.). Zuletzt erschien von ihm im Psychosozial-Verlag 2016 ´Mütter und Söhne – blasse Väter`.

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