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Herausgeber Eckes-Lapp, Rosemarie; Körner, Jürgen (Hg.)
Verlag Psychosozial-Verlag
Auflage/ Erscheinungsjahr 1997
Format 21 × 14,8 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 220 Seiten
Gewicht 493
Reihe Bibliothek der Psychoanalyse
ISBN 9783932133183

Zu diesem Reader

Psychoanalytische Arbeit heute beschränkt sich längst nicht mehr auf die abgeschotteten klassischen Räume der therapeutische Behandlungspraxis.

In der Gesellschaft verortete Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen nehmen selbstverständlich zu gesellschaftlichen Fragen Stellung, arbeiten in der Erwachsenenbildung und Beratungskontexten, sie werden dienlich in sozialen, pädagogischen, forensischen Institutionen, supervidieren Lehrer, Sozialarbeiter, Ärzte, Juristen, Unternehmen und Institutionen. Vielfach können sie so einen wertvollen Beitrag leisten zur Klärung und Bearbeitung der von den Betroffenen allein nicht lösbaren Beziehungs- oder Strukturprobleme.

Die Beiträge von Praktikern schildern in diesem Buch anschaulich die situationspezifischen Aufgaben und ihre Arbeitsweise: in der Sozialarbeit, in der Friedens-, Ökologie- und Kinderrechtsbewegung, in der Bewährungshilfe, in der Schulberatung, in der Unternehmensberatung, in der präventiven Mütter- und Elternberatung und -begleitung, in der Heilpädagogik, in der Exwachsenenbildung. Auch die Supervision von Teams, Institutionen und Organisationen wird in Theorie und Praxis beispielhaft dargestellt. Bei aller Reflektiertheit wird auch deutlich, daß es sich bei ihnen um Menschen mit je persönlicher Wertorientierung und Neigung zu bestimmten Verfahrensweisen handelt, daß im sozialen Feld ganz sichtbar Profession und Persönlichkeit ineinanderwirken. Das Buch gibt somit allen Interessierten, Kollegen wie auch Beratungssuchenden, Einblick in die Aufgaben, Möglichkeiten und Ziele psychoanalytischer Arbeit im sozialen Feld.

Stimmen zum Buch

"Nach der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe (1998), die von Rosemarie Eckes-Lapp und Jürgen Körner herausgegeben wurde, liegt dieses Buch nun in italienischer Übersetzung vor. Die in diesen Band aufgenommenen Schriften kreisen um die Frage, welchen Beitrag die Psychoanalyse in der Prävention und der Behandlung seelischer und psychosozialer Störungen leisten kann. Vor allem in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern wendet sich die Arbeit der Psychoanalytiker im sozialen Feld heute nicht nur der Prävention seelischen Leidens zu, sondern sie interagiert auch in den Bereichen der sozial-pädagogischen Institutionen, der Organisationsentwicklung und der Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen. Diese Entwicklung ist nicht nur Ausdruck einer professionellen Reorganisation, sondern zeugt von einer einschneidenden und nicht zuletzt auch philosophischen Veränderung der Sichtweise innerhalb des theoretischen Horizontes der Psychoanalyse.

In dem einleitenden Artikel (Psychoanalytische Sozialtherapie)* erläutert Hans-Jürgen Wirth wirkungsvoll den neuen Begriff der psychoanalytischen Sozialtherapie. Wirth knüpft v.a. an die Arbeiten von Horst-Eberhard Richter an (1978) und macht darauf aufmerksam, daß in der neuen Sichtweise, die durch die psychoanalytische Sozialtherapie repräsentiert wird, die psychischen, somatischen und psychosomatischen Krankheiten der Menschen in vielfältiger Weise sowohl mit den familiären Beziehungen als auch mit der sozialen Umwelt verbunden sind, in welcher der Kranke oder derjenige, der dafür gehalten wird, lebt. Dieser Orientierung zufolge kann das Leiden eines Menschen und sein Unbehagen nicht mehr als eine private Angelegenheit behandelt werden, die allein das Proprium eines Subjektes betrifft, sondern als ein Ereignis zwischenmenschlicher Beziehungen, das das Individuum mit anderen Personen und den Umständen seines sozialen Umfeldes verbindet. Diese psychosoziale Auffassung der Krankheit findet sich, wie Wirth hervorhebt, bereits in den Anfängen der Psychoanalyse und wurde von Freud selbst vorgegeben, der dazu ermahnte, nicht nur den somatischen Daten und den Krankheitssymptomen Aufmerksamkeit zu widmen, sondern auch den familiären und zwischenmenschlichen Beziehungen der Patienten. Es ist offensichtlich, daß diese Einbeziehung des Kontextes in die Behandlungsstrategie die Überwindung des individualistischen Begriffs der Krankheit bedingt und demzufolge die Umgestaltung des traditionellen therapeutischen Modells bestimmt.

In dem folgenden Beitrag (Der Psychoanalytiker als Grenzgänger) erklärt Franz Wellendorf, wie durch die Veränderung der Perspektive, die aus der psychoanalytischen Arbeit im sozialen Feld hervorgegangen ist, auch die Figur des Analytikers selbst entschieden neu zu definieren ist. Der Psychoanalytiker muss zu einem ´Grenzgänger` werden (S. 13): D.h. er muß dazu fähig sein, weniger im Zentrum als vielmehr an der Peripherie und den Grenzen der Ereignisse, mit welchen er sich befaßt, zuhause sein zu können. In diesem Sinne muß der Psychoanalytiker sich nicht nur die Kompetenz zu eigen machen, ein bestimmtes Wissen auf einen vorgegebenen Gegenstand zur Anwendung zu bringen, sondern er muss auch eine Begabung für die Haltung der ´negative capability` besitzen, für jene Kunstfertigkeit, die es ihm erlaubt, mit dem Ungewissen und Mysteriösen, das sich jenseits der Grenzen seines Wissens befindet, in Beziehung zu treten.

Die Frage der Definition eines neuen Modells der psychoanalytischen Arbeit wird auch in der Abhandlung von Ulrich Streeck (Inszenierungen, Handlungsdialoge und die interaktive Herstellung von sozialen Situationen) angesprochen. Hier wird die Opportunität offenkundig und klar ersichtlich, die sich aus der Verknüpfung der psychoanalytischen Deutungsarbeit, die sich in einer vertikalen Dimension vollzieht, die auf der Beziehung der Begriffspaare Oberfläche-Symptom und Tiefe-Unbewusstes basiert, mit der in einer horizontalen Dimension sich bewegenden Kompetenz ergibt, ´die sich zum Verständnis von sozialem Handeln und von gesellschaftlichen Verhältnissen eher eignet` (S. 67). In dieser auf Interaktion ausgerichteten Perspektive beschränkt sich der Therapeut nicht nur darauf, das seelisch Unbewußte zu deuten, sondern er wird zum ´Analytiker der Mittel und Praktiken, mit denen das jeweilige Sozialsystem von den Beteiligten unbemerkt und unbewußt hervorgebracht wird` (idem). Der Psychoanalytiker erscheint somit als Sozialforscher, der sich durch seine Fähigkeit auszeichnet, die interaktive und unbewußte Hervorbringung sozialen Geschehens rekonstruieren zu können.

Kritischer, wenn auch in paradoxer Art und Weise, erscheint der Beitrag von Gunther Schmidt mit dem Titel ´Psychoanalytische Kulturtheorie - Ein Auftrag und seine Folgen`. Der Autor warnt vor der Vorstellung, daß der psychoanalytische Anwendungsdiskurs auf das soziale Umfeld ein allumfassendes Paradigma, quasi eine Art Zivilisationstheorie, begründen könne. Diese aber stehe, wie Schmidt betont, für ein ehrgeiziges Vorhaben und sei ´zu sehr von einer klassisch-modernen Sehnsucht geprägt, möglichst viele und alle Dinge von einer Warte aus sehen zu können (= Erfliegen)` (S. 87). Vielmehr sollte an Stelle dieses Ansatzes die Erkenntnis treten, daß die Grenzen und die Schwierigkeiten, die sich durch den psychoanalytischen Anwendungsdiskurs auf Fragen außerhalb des klinischen Bereiches ergeben, der psychoanalytischen Sozialtherapie hingegen den Status einer Praxis verleihen, die nicht fliegt, sondern ´hinkt`; dabei vergegenwärtigt der Autor nachdrücklich die positive Bedeutung des ´Hinkens`, die er in dem Bild des Vorwärtskommens erkennt, das dem Tanz ähnlich ist: Man erhebt sich über dem Boden, aber nicht zu sehr; vorsichtig tastend bewegt man sich voran, ohne recht zu wissen, wo der Boden ist, aber, und darauf kommt es an, man kommt vorwärts.

Die in dem dritten und vierten Teil des Buches enthaltenen Beiträge, die jeweils unter den Titeln Psychoanalytische Beiträge zur Prävention psychosozialer Störungen und Psychoanalytische Beiträge zu Theorie und Praxis der Supervision zusammengefaßt sind, sind v.a. den Aspekten der eigentlichen Anwendung des neuen Modells der psychoanalytischen Sozialtherapie gewidmet. In bemerkenswerten Artikeln bringen die verschiedenen Autoren (Udo Rauchfleisch, Horst Petri, Eva-Maria Staudinger, Bettina Noddings, Ingrid Kamper-Jasper, Christiane Ludwig-Körner, Annette Kreutz, Veronika Grüneisen, Anette Kersting und Wolfgang Lempa, Ross A. Lazar, Hilmar Busch, Michael Kögler, Hermann Staats, Bernd Neuzner, Beatrice Piechotta, Werner Pohlmann, Helmuth Thiel, Astrid Kloth) spezifische Momente und Situationen der psychoanalytischen Arbeit im sozialen Feld zur Darstellung und erläutern diese.

Das fünfte Kapitel (Ausblick), mit welchem die vorliegende Publikation abgeschlossen wird, nimmt die Arbeit von Jürgen Körner auf: Die Zukunft der Psychoanalyse. Körner ist der Auffassung, daß den Herausforderungen, welchen sich die Psychoanalyse ausgesetzt sieht (die berufspolitischen Veränderungen, die wissenschaftliche Kritik an der psychoanalytischen Theorie und Methode, der Verlust des Einflusses, den jenes Wissen im kulturellen Leben der europäischen und amerikanischen Gesellschaft erleidet), mit einem entschiedenen Willen entgegengetreten werden sollte, um einige grundlegende Fragen zu klären: Diese betreffen zum einen die Rolle, die die Psychoanalyse noch innerhalb des veränderten sozialen Kontextes einnehmen kann und zum anderen das Problem der Definition der wissenschaftlichen Kriterien. Die Perspektive, die man in dieser Auseinandersetzung einnehmen sollte, wird durch das so genannte Modell der ´Triangulierung` vorgegeben. So macht Körner die Beobachtung, daß die Psychoanalytiker in der Beziehung mit der Gesellschaft und dem kulturellen Umfeld nicht die Kompetenz erworben hätten, innerhalb des Modernisierungsprozesses auch sich selbst zu beobachten. ´Entweder`, bemerkt er, ´schauen wir auf uns selbst und fragen uns ein wenig mitleidsvoll, wie wir uns fühlen in diesen widrigen Zeiten, oder wir blicken auf ´die Gesellschaft`, die Berufsverbände oder den Gesetzgeber, die so feindselig sind. ´Dabei`, so fährt er fort, ´wissen wir aus unserer klinischen Arbeit doch recht gut, daß wir die Wahrheit solcher Verstricktheiten nicht allein in uns und erst recht nicht nur im anderen finden, sondern erst in einem triangulären Prozess, in dem wir aus dem Gegenüber von der ´Gesellschaft` und ´wir` heraustreten und exzentrisch wie von außen betrachten. Das ist die Methode, wie wir die Beziehungskonflikte mit unserem Patienten durcharbeiten, dort wissen wir, wie wir vorzugehen haben (S. 361f.).` In diesem Sinne empfiehlt Körner schließlich die Wiederaufnahme von einer interaktionellen Auffassung der Psychoanalyse auch im Hinblick auf die Beziehung zwischen Psychoanalytiker und sozialem Kontext: Es sollte keine ´Zwei-Personen-Psychologie` angewandt, sondern eine aus drei Eckpunkten bestehende Psychologie konzipiert werden, die repräsentiert wird von dem Ich, dem anderen und jenem Dritten, der das Paar, das aus dem Ich und dem anderen besteht, von einem dezentrierten Standpunkt aus beobachtet, ´von außen`, wie Körner es einfach bezeichnet. Diese analytische Haltung ermögliche, wie der deutsche Psychoanalytiker weiter ausführt, die Überwindung einiger Merkmale der ´postklassischen` oder ´romantischen` Auffassung der Psychoanalyse (das Vergessen des sozialen und institutionellen Rahmens, die Hervorhebung der Gegenübertragung und des subjektiven Erlebens, die Verwendung von Begriffen, deren Bedeutung unklar ist) im Hinblick auf eine authentischere Auseinandersetzung mit sich selbst, den anderen und dem sozialen System, die sich nicht in jene exklusive und auf eine einzige Person ausgerichtete Beziehung zwängen läßt, die lange Zeit für die psychoanalytische Praxis kennzeichnend gewesen ist.

Aus diesem von R. Eckes-Lapp und J. Körner herausgegebenen Band ergeben sich eine Reihe interessanter Anregungen für die Philosophie, in welchen sich - ich würde sagen, quasi in statu nascendi - ein wichtiger Paradigmenwandel abzeichnet, der nicht nur die Psychoanalyse im besonderen betrifft, sondern die kulturelle Stimmung der Gegenwart und der auch das Interesse anderer Wissenschaftsdisziplinen - die Philosophie eingeschlossen - erweckt hat. Die Beiträge dieses Buches veranlassen uns dazu, darüber nachzudenken, dass es nach der Krise des auf sich selbst bezogenen Subjekts nicht darum geht, den hermeneutischen Kreis auf den Rahmen einer den Atem benehmenden Beziehung des Ichs mit dem anderen zu beschränken, sondern daß wir aus diesem Dilemma heraustreten müssen, indem wir uns dem Dritten zuwenden, dem sozialen Kontext, in dessen Raum jene Beziehung einen authentischen und bestimmten Sinn erhalten kann. Abschließend sei auf die gelungene, durch eine klare und präzise Sprache sich auszeichnende Übersetzung von Christine Zimmerling aufmerksam gemacht, der wir einen nicht unbedeutenden Anteil an dem Verdienst für das gesamte Gelingen dieser Publikation zuschreiben müssen." (Fabio Grigenti, ´L’Ippogrifo` - La terra vista dalla luna” (2003) unter dem Titel “Dal divano alla comunità")

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