Details

Autor Schuberth, Richard
Verlag Matthes & Seitz Berlin
Auflage/ Erscheinungsjahr 28.09.2018
Format 20,5 × 12 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 176 Seiten
Gewicht 150
ISBN 9783957576347

Für sein Buch »Narzissmus und Konformität. Selbstliebe als Illusion und Befreiung« wurder der österreichische Autor Richard Schuberth mit dem Herbert Tumpel-Preis 2019 der Arbeiterkammer Österreich ausgezeichnet; die Laudatio hielt der Schriftsteller und Psychoanalytiker Dr. Sama Maani.

Zu diesem Buch

Nicht erst seit Donald Trumps Durchmarsch durch das Beziehungs-, Räder- und Netzwerk des republikanischen Parteiensystems und nach seiner Wahl zum US-Präsidenten ist das Phänomen Narzissmus in aller Munde.

Aber man muß, um derlei selbstverliebte Leute zu treffen, gewiss nicht skrupellose Manager oder machthungrige Politiker persönlich kennen: Narzißmus und die von ihm heimgesuchten Menschen haben sich in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten wie eine Virusinfektion verbreitet; überall trifft man auf sie: Egomanische Kollegen; mit ihren Einkaufswagen in den Supermärkten herrisch herumkurvende und überall Vorrang heischende Alte; oder die vollverstöpselten, selbstverliebt nach innen oder auf die Screens äugenden Teenager, die hauptsächlich darunter zu leiden scheinen, derzeit noch nicht völlig im Cyber auf- und eingehen zu können ... : egoman, beziehungsgestört, infantil, unsozial.

In seiner ebenso elegant wie gekonnt-polemisch verfassten Bestandsaufnahme nimmt Richard Schuberth die ichverseuchten egomanen Lebenswelten der Einge- und Verklemmten in den Blick; der Autor vergisst dabei nicht das Sprechen über das Phänomen Narzissmus und dessen hochinteressante historische Genese.

Frag- und kritikwürdiger als diese bedauerliche Persönlichkeitsstörung, die für Schuberth eben auch als zwar hilfloser, aber immerhin versuchter Befreiungsschlag des einzelnen gegen den zunehmenden gesellschaftlichen Konformitäts- und Uniformierungszwang gedeutet werden sollte, scheint darüber hinaus ihre Beurteilung aus fachlicher Sicht: Wie kommt es, dass überaus gestrengen Kulturkritikern und abrechnungsfreudigen Psychologen die Extravaganz vor allem bei Frauen und Homosexuellen aufstieß, welche flugs zu narzißtischen und also behandlungsfähigen Störungsbildern zurechtgebogen wurden? Und wie ist es um das Selbstbild einer Gesellschaft bestellt, in der die Losung gilt, sich besser nicht wirklich etwas herauszunehmen, sich artig einzureihen und seine Individualität allenfalls durch die Wahl und den Kaufpreis seiner Klamotten und die Farbe und die Preisklasse seines iPhones oder Automobiles ausdrücken zu dürfen?

Die Pathologisierung des Narzissmus kann, so der Autor, in der Konkurrenzgesellschaft mithin auch ganz anders gesehen werden: als therapeutisches Anpassungsprojekt, indem die bescheidenen Versuche - via Selbstüberhöhung, Selbstbestrahlung, Selbstliebe - des vereinzelten, abgehängten und aus seiner Primärgruppe ausgelösten Individuums pathologisiert werden. Dies wäre dann tatsächlich der treppenwitzige Versuch einer ´Verschiebung`, indem ein qua se besonders arg zum Narzißmus neigender Berufsstand sich berufen fühlt, seinerseits Narzißten zu behandeln, ohne das erstere den klar benennbaren gesellschaftspolitischen Nährboden für das Pathologische in unserer Gesellschaft erkennen wollten oder könnten und also am Symptom gewerkelt werde, ohne das eigentliche Problemfeld wirklich zu beackern ....

Inhalt

Vorab: Selbstgenügsamkeit und Selbstvergessenheit

  • I. Von Kindern, Katzen und Frauen, die uns zu wenig lieben
  • II. Narzissmus als Arrangement der Normalität
  • III. Narzissmus - Die protestantische Ethik der Gegenwart
  • IV. Sie macht uns auch lächerlich ...

Handlungsethischer Epilog

Anmerkungen / Bibliografie Narzissmus.

Aus der Einleitung des Autors

Vorab: Selbstgenügsamkeit und Selbstvergessenheit

"Der Ursprungsmythos des Narzissmus stammt nicht von Ovid, sondern von Sigmund Freud. Und am Anfang war der Narzissmus. Und der Urnarzisst war der Säugling der oralen Phase; in jener ozeanischen Einheit des Kleinkinds mit seiner Mutter, ehe die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt sich zogen und der Mensch noch ganz Zentrum der Welt und die Brust und das Lächeln der Mutter das befriedigende Zubehör der eigenen archaischen Babyallmacht waren. Werden später Zurückweisungen erfahren - so die Theorie —> wird die Libido von den Objekten abgezogen und auf sich selbst gerichtet, eine Rekonstruktion der schützenden kleinkindlichen Allmacht. Eine fragile zumal, denn das Ego bleibt unsicher und abhängig von permanenter Belohnung.

In Freuds von ihm selbst und etlichen Psychoanalytikern modifizierten Hypothese des ursprünglichen kindlichen Narzissmus wuchs aber ein versteckter Zwilling mit, dessen sich der Vermesser des Unbewussten nicht bewusst war und der parallel zu den Diskursen des Narzissmus seither wuchert: der konforme Narzissmus der Mehrheit.

Anmaßend wäre es von diesem Essay, sich als dessen diskursiver Geburtshelfer zu brüsten, denn er ist als weggelegtes Kind schon lange auf der Welt. Es gilt bloß, den klinischen Narzissmus vom Thron zu stoßen - und sein unbeachtetes Geschwister als den rechtmäßigen Herrscher der bürgerlichen Gesellschaft auszurufen, dessen Wesen Ambrose Bierce mit seiner lakonischen Definition des Egoisten angedeutet hat: »Person minderen Geschmacks; mehr an sich interessiert als an mir.«. Vor diesem projektiven Narzissmus war die Psychologie selbst nicht gefeit. Eine Spur zum Narzissmus der Diagnostiker legte Freud - unbewusst - bereits 1914 mit seinem Aufsatz »Zur Einführung des Narzißmus«: »|D|er Reiz des Kindes beruht zum guten Teil auf dessen Narzißmus, seiner Selbstgenügsamkeit und Unzugänglichkeit, ebenso der Reiz gewisser Tiere, die sich um uns nicht zu kümmern scheinen, wie die Katzen und großen Raubtiere.« Diese Selbstgenügsamkeit und diesen Reiz teilten sich Kinder und Leoparden Freud zufolge auch mit Verbrechern, Humoristen, Gauklern, primitiven Völkern und schönen, stolzen unnahbaren Frauen, die wir genau darum beneideten, was wir durch die Last der normalen Objektbeziehungen verloren hätten. Regressivität und Unreife dieser selbstgenügsamen Tier- und Menschenspezies erscheinen hier nicht unbedingt als therapiebedürftige, so doch pathologisierungsbedürftige Eigenarten.

Man könnte die Entwicklung des Kindes auch ganz anders erzählen, zum Beispiel als Geschichte der Selbstgenügsamkeit. Das Kind als suchendes, forschendes, tastendes, begreifendes Wesen. Empirische Studien der letzten Jahrzehnte belegen, dass der Säugling bereits unmittelbar nach der Geburt zwischen sich und den Objekten der Außenwelt zu unterscheiden weiß, und der Psychoanalytiker Otto F. Kernberg hatte Freuds Konzept des primären Narzissmus lange zuvor verworfen. Ihm zufolge würden Säuglinge und Kleinkinder mit großem Vertrauen in Kontakt zu ihrer Außenwelt treten und ihre Allmachtsfantasien stünden in keinem Verhältnis zu jenen der Erwachsenen. Und so liegt auch der größte Reiz des Kindes, wie Freud ihn suggeriert, im narzisstischen Auge des Betrachters. (...)

Der Narzissmus ist die vorherrschende Persönlichkeitsform im Neoliberalismus. Mit der Pathologisierung von Einzelfallen jedoch versucht der Eisberg seine sichtbare Spitze abzusägen. Der psychologisierende Fokus des Alltagsbewusstseins, aber auch manche Fachdiskurse identifizieren das Charakterbild als pathologische Eigenschaft von Einzelmenschen. Und lösen den Narzissten aus dem Netz seiner sozialen Bindungen und gesellschaftlichen Verstocktheit.

Die durch Narzissten Gekränkten erleben selbst narzisstische Kränkungen, die Abspaltung eigener narzisstischer Persönlichkeitsanteile und ihre Projektion auf geächtete Einzelne verspricht Teilhabe an einer gesunden Norm sowie moralische Überlegenheit. Ich nenne diese Reziprozität zwischen Opfer und Täter das narzisstische Arrangement. Der Narzissmus erscheint somit nicht als essenzialisierbarer klinischer Charaktertyp, sondern als flexibles Modulsystem, an dem die gesamte Gesellschaft pathisch teilhat. Der Narzisst ist immer der Andere. Hierin schreiben auch die Psychodiskurse durch ihr Othering die alte bürgerlich-puritanische Achtung von Egoismus, Spiel und Hedonismus fort. (...)"

Der Autor

Richard Schuberth, 1968 in Niederösterreich geboren, ist Schriftsteller und lebt in Wien. Er publizierte Essaybände (u. a. zu Karl Kraus), Romane, satirische Dramen und Filmdrehbücher. Thematische Schwerpunkte sind u. a. Sprachkritik, Kulturalismus und Geschichte des Balkanraumes. 2015 erschien sein Schelmenroman Chronik einer fröhlichen Verschwörung (bei Zsolnay).

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