Moral
Ihre Natur, ihre Dynamik und ihr Schatten
Details
Verlag | Psychosozial-Verlag |
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Auflage/ Erscheinungsjahr | 06.2020 |
Format | 21 × 14,8 cm |
Einbandart/ Medium/ Ausstattung | Paperback |
Seiten/ Spieldauer | 724 Seiten |
Gewicht | 1040 |
ISBN | 9783837929577 |
Zu diesem Buch
Die Moral stellt für eine evolutionäre Anthropologie die anspruchsvollste Herausforderung dar, denn sie gilt als gesellschaftlicher Gegenpol zur menschlichen Natur. Norbert Bischof zeigt jedoch, dass sie selbst tief in der Natur wurzelt und daher deren Ambivalenz nicht aufhebt, sondern teilt. Gut und Böse gebärden sich als Antipoden und sind doch nur zwei Seiten derselben Sache. Anstatt sie also zu idealisieren, beschäftigt sich der Autor empirisch mit der Psychodynamik der Mechanismen, die ihr zugrunde liegen.
Dieses Buch handelt von der nobelsten Errungenschaft der menschlichen Kultur. Es handelt von einem erbarmungslosen Mordinstrument, dem mehr Menschen zum Opfer gefallen sind als den schlimmsten Naturkatastrophen. Es handelt von einem Schatz, dessen Glanz Festredner beschwören, ohne die Schlangen und Skorpione zu bemerken, die sich unter ihm sammeln. Es handelt von Gut und Böse, die sich als Antipoden gebärden und doch nur zwei Seiten derselben Sache sind. Es handelt von der Moral.
Der Psychologe und Verhaltensforscher Norbert Bischof analysiert aus interdisziplinärer Perspektive, wie die affektiven Mechanismen funktionieren, denen das moralische Werturteil entspringt. Dabei legt er deren evolutionäre Wurzeln frei, würdigt aber auch den Qualitätssprung, den die Tiernatur beim Übergang zum Menschen durchlaufen hat. Bischof argumentiert aus der Distanz empirischer Forschung, verharrt aber nicht im Unverbindlichen. Er besteht darauf, unbequeme Fragen aufzuwerfen, wohlfeile Antworten zu problematisieren, Tabus in Frage zu stellen und dort, wo sich das Undenkbare abzeichnet, die Augen geöffnet zu halten. So wird erkennbar, dass Moral ein zutiefst paradoxes Phänomen ist, das bei gut gemeinter, aber maßloser Auslegung die Brände schürt, die es löschen soll.
Inhalt
Erster Teil: Philosophie der Moral
Kapitel 1
Werte und Tatsachen
- Schlüsse und Trugschlüsse
Eine aufschlussreiche Diskussion – Der naturalistische Trugschluss – Der moralistische Trugschluss - Moralisten und Empiristen
Ideologische Standorte – Theorieverständnis – Menschenbild - Empirie der Moral
Die empiristische Perspektive: Eine Rechtfertigung – Der moralistische Reflex: Eine Warnung – Drei sinnvolle Fragestellungen – Die vierte Frage - Zwischenbilanz
Kapitel 2
Was ist Wahrheit?
- Das Erwachen aus der Naivität
Die Würde des Menschen – Das trialistische Schema – Kritischer Realismus - Das kognitive Potenzial der Adaptation
Evolutionäre Epistemologie – Veridikalität und Evidenz – Transzendentale Gedankenspiele - Kosmische Ebenen
Veridikalität und Objektvität – Veridikalität und soziale Wahrnehmung – Ortho-, Para- und Kryptokosmos – Drei Modi der Evidenz – Der Sonderfall des Metakosmos – Höhenlinien - Zwischenbilanz
Kapitel 3
Auf der Suche nach Letztbegründung
- Naturalistische Begründungsversuche
Natur und Setzung – Der historische Wandel des Naturbegriffs – Kritik des naturalistischen Ansatzes - Intuitionistische Begründungsversuche
Die geometrische Methode – Sachverhalte und .Wertverhalte. – Kritik des intuitionistischen Ansatzes - Eudämonistische Begründungsversuche
Die egoistische Variante – Die utilitaristische Variante – Die harmonistische Variante – Hedonismus und Ungebundenheit – Kritik des eudämonistischen Ansatzes - Deontologische Begründungsversuche
Das Prinzip Pflicht – Das Gewissen – Formalismus und die Ethik der Tat – Der kategorische Imperativ – Kritik des deontologischen Ansatzes - Diskurstheoretische Begründungsversuche
Die Transformation ins Soziale – Die Argumentation überhaupt – Performative Letztbegründung – Kritik des diskurstheoretischen Ansatzes - Zwischenbilanz
Kapitel 4
Münchhausens Zopf
- Das Elend der Philosophie
Philosophia perennis? – Das Münchhausen-Trilemma - Postmoderner Karneval
Das Ende der großen Erzählungen – Anti-Ethik - Der Souverän und das nackte Leben
Homo sacer – Biopolitik - Wassermusik
Sprachbarrieren – Der Wohlklang der Worte – Das Möbius-Band – Zurück zu den Sachen - Zwischenbilanz
Kapitel 5
Mechanik und Intentionalität
- Freiheit und Vorhersagbarkeit
Das Leib-Seele-Problem – Moral und Gesetz – Das Jaynessche Prinzip – Quantensprünge - Dimensionen anschaulicher Kausalität
Die Achse der Intentionalität – Die Achse der Determination – Die Achse der Autonomie – Die historische Erschließung der drei Dimensionen - Moral und Intentionalität
Das Trolley-Problem – Notwendigkeit und Verantwortung – Verstehen oder verurteilen - Zwischenbilanz
Zweiter Teil: Genealogie der Moral
Kapitel 6
Die ultima ratio
- Psychologische Ordnungsversuche
Moral als Motiv – Der milieutheoretische Zugang – Der schichttheoretische
Zugang - Anlage und Umwelt
Die Angst um die Freiheit – Adaptation und Bedeutung – Alimentation – Stimulation – Unausweichliche Folgerungen - Das Eleusische Fest
Kopernikus, immerhin – Die Segnungen der Ceres – Gesellschaft als Übernatur - Evolution und Historie
Die »erste« und die »zweite« Natur – Die Umpolung der Adaptation – Die Dekonstruktion der natürlichen Umwelt – Die Entmachtung der Selektion – Der ungleiche Wettlauf - Zwischenbilanz
Kapitel 7
Mutmaßungen über den Menschen
- Die Frage Kants
Randkontraste – Der Wettstreit der Perspektiven – Evolution und Metamorphose - Defizitäre Deutungsansätze
Unzulängliche Definitionsversuche – Das »Mängelwesen« – Der Hiatus - Innovative Deutungsansätze
Reflexion – Sprache – Zeitbewusstsein - Zwischenbilanz
Kapitel 8
Evolutionäre Anthropologie
- Das Kräftespiel der Instinkte
Die instinktive Grundausstattung – Der Coping-Apparat – Die Erschließung der Endsituation - Die innere Probebühne
Die Erfindung der Fantasie – Sprachliche Präadaptation – Das Lächeln der Cheshire-Katze - Der Hiatus der Selbstkontrolle
Das Problem des Antriebsmanagements – Primäre und sekundäre Zeit – Santinos Munitionsdepot – Exekutive Kontrolle - Die Grammatik der Kommunikation
Der gemeinsame Bau am Weltgerüst – Universale Grammatik – Die kommunikative Funktion der Syntax - Zwischenbilanz
Kapitel 9
Die beunruhigenden Musen
- Identität
Kategorien – Diachrone Identität – Synchrone Identität – Permanente Identität - Exzentrizität
Das »I« und das »me« – Empathie – Theory of Mind – Reflexion auf Bezugssysteme
Aeternität - Zwischen zwei Nichtse eingekrümmt – Die offene Zukunft – Missweisungen der permanenten Identität
- Zwischenbilanz
Kapitel 10
Moralanaloges Verhalten
- Definitionsfragen
Bedeutungsverwandte Begriffe – Erste Arbeitsdefinition von Moral - Nächstenliebe
Gruppenselektion – Die Rolle der Blutsverwandtschaft – Vertrautheit und Fremdheit - Fernstenliebe
Die Funktion der Sexualität – Die fehlfarbige Königin – Die Keime des Kosmopolitismus - Verwandtschaftsneutrale Prosozialität
Spieltheoretische Anleihen – Falken, Tauben und Vergelter – Reziproker Altruismus - Diesseits des Tauschprinzips
Ultimate und proximate Erklärungen – Können Tiere »Buch führen«? – Der bekannte Unbekannte - Zwischenbilanz
Kapitel 11
Der moralische Instinkt
- Soziogene Moral
Zweite Arbeitsdefinition von Moral – Das Volk ohne Liebe – Stimulation oder Alimentation? - Biogene Moral
Jenseits von Gut und Böse – Moralische Grammatik – Wider eine »Fassadentheorie« der Moral – Die Kontinuitätsannahme - Das labile Gleichgewicht
Der innere Schiedsrichter – Der Fluch der Sekundärzeit – Der Drang zur Mitte - Eine neue Geschichte der Menschheit
Die Erfindung der Elternliebe – Das Ende der Gewalt – Die inneren Dämonen und die besseren Engel – Die Intentionalität der Meme - Zwischenbilanz
Dritter Teil: Synergie der Moral
Kapitel 12
Soziale Selbstorganisation
- Die Entstehung von Struktur
Autopoiese – Dissipative und konservative Strukturen – Enkrustation - Soziologische Analogien
Gesellschaft als dissipative Struktur – Die Metapher der »Versklavung« – Bifurkationen und lokale Minima – Phasenübergänge - Wertgefühl und Normen
Das normative Korsett – Stabilisierende Effekte – Spielarten der Sanktion - Sozialstruktur und Motivstruktur
Die Frage der »Materialeigenschaften« – Der »psychische Apparat« – Gewissen und Gemüt - Zwischenbilanz
Kapitel 13
Moralische Entwicklung
- Genetische Epistemologie
»Heteronome« und »autonome« Moral – Ein Schlupfloch für den naturalistischen Trugschluss? - Die Ontogenese des moralischen Urteils
Dilemmata – Das »präkonventionelle« Stadium – Das »konventionelle« Stadium – Das »postkonventionelle« Stadium - Methodenfragen
Kritische Stimmen – Explizite und implizite Moral – Sachimmanente Entfaltungslogik? - Zwischenbilanz
Kapitel 14
Die Regulation der sozialen Distanz
- Die Wahlverwandtschaften
Sympathie und Antipathie – Chemie als Modell – Blutsverwandtschaft und Wahlverwandtschaft - Kybernetik der Bindungsmotivation
Die Bindungstheorie – Sicherheit und Erregung – Synchronisation und Dominanz – Alpha- und Omega-Hierarchie – Autonomie und Sexualität - Soziale Entwicklung
Kindheit und Adoleszenz – Sekundäre Bindung – Akklimatisation und Revision - Zwischenbilanz
Kapitel 15
Gut und Böse?
- Psychische Grenzen
Distanzäquivalente – Verschmelzende und spiegelnde Identifikation – Ichgrenze und Ranghöhe - Liebe und Hass
Pro bono – contra malum – Lebenstrieb und Todestrieb – Bindung und Auflösung – Libido und Destrudo - Das sogenannte Böse
Reaktive Aggression – Spontane Aggression – Die Blüte aus dem ruppigen Ast - Zwischenbilanz
Kapitel 16
Tugend und Schönheit
- Autonomie und Altruismus
- Von der philonikia zur philotimia – Status auf zwei Ebenen – Selbstwertgefühl und Leistungsmotivation – Die Attraktivität der Tüchtigkeit – Areté und Hilfsbereitschaft
- Das Problem der Kalokagathia
Areté als Schönheit – Die »graue Seele« – Soziologische Erklärungsversuche – Soziobiologische Erklärungsversuche - Das »ästhetische Werturteil«
Ethologische Erklärungsversuche – Das Erscheinungsbild der Selbstdomestikation – Evolutionsstabile Gruppenselektion – Kritik des ästhetischen Werturteils - Zwischenbilanz
Kapitel 17
Der Werthöhensinn
- Richtung und Gewicht von Werten
- Moral und Werthöhe – Ethischer Relativismus – Kulturvergleichende Studien – Werte und Motivdynamik
- Gerechtigkeit
Das bindende Versprechen – Das Prinzip des sozialen Gleichgewichts – Reziprokation – Solidarität – Die Energie des Ungleichgewichts - Reinheit
Die Vollkommenheit der Person – Phylogenese der Reinheit – Prägnanz – Rein bleiben und reif werden - Zwischenbilanz
Vierter Teil: Paradoxie der Moral
Kapitel 18
Schuld und Scham
- Zur Phänomenologie des Schuldgefühls
Schuld und Gehorsam – Schuld und Ausgleich – Schuld und Permanenz - Psychodynamik der Schuld
Status und Besitz – Dysfunktionale Effekte – Strategien der Schuldreduktion - Zur Phänomenologie des Schamgefühls
Scham und Schwäche – Scham und Aufmerksamkeit – Scham und Grenze – Scham und Reinheit - Psychodynamik der Scham
Das schutzbedürftige »I« – Abgrenzung und Schuldfähigkeit – Scham und Aufwand – Aidos und ais’chyne - Zwischenbilanz
Kapitel 19
Die Relativitätstheorie der Moral
- Das Bindemittel der Identifikation
Biologische Wurzeln der Vergesellschaftung – Die beiden Achsen der permanenten Identität – Gestaltfaktoren der Identifikation – Identität und Gleichheit – Global village? - Die Geschichte von der Kosbi
Säuberung – Integration oder Ausrottung – Als Kaiser Rotbart lobesam - Gott und der Teufel
Die Moral und ihr Schatten – Das Forum der Pharisäer – Gnadenlose Pflicht - Das antisoziale Dreieck
Der Krieger und sein Feind – Der Mörder und sein Opfer – Der Henker und sein Täter – Die Relativität der Perspektive - Dilemmata und Paradoxe
Der Radius der Wir-Gruppe – Die Frage der Kriegsschuld – Die Immunität der Nichtkombattanten – Gottesurteil und Siegerjustiz - Zwischenbilanz
Kapitel 20
Der Meister aus Deutschland
- Die dunkle Seite der Macht
Die These der Singularität – Die Shoah-Identität – I’m bad - Stereotype
Das Ärgernis des Nationalcharakters – Sir Roger’s Smoking – Das Bild vom anderen - Der hässliche Deutsche
Ordnung und Maßlosigkeit – Machthunger und Unterwürfigkeit – Sentimentalität und Gemütskälte - Akademische Deutungen
Der autoritäre Charakter – Hitlers willige Vollstrecker – Ganz normale Männer – Intentionalisten und Funktionalisten – War Hitler ein Mensch? - Zwischenbilanz
Kapitel 21
Das Volk ohne Grenzen
- Der Gottesstaat
Der Leviathan – Die Sozialstruktur der Kapauku – Die Sozialstruktur der Tsonga – Demos und Ethnos - Die Immunschwäche des Leviathan
In etwas Größerem aufgehen – Das Böse in den Genen – Die Trägheit der Meme – Kultur als Inzuchtgemeinschaft - Der »spatial turn«
Gesellschaft und Raum – Historische Positionen – Die Wiederentdeckung des Raumes – Geografie als Schicksal? - Zwischenbilanz
Kapitel 22
Die eigene Gebärde
- Das Unbehagen in der Leitkultur
- Die »deutsche Geste« – Erste Nachkriegs-Modelle – Der Historikerstreit – Anschwellender Bocksgesang – Die Moralkeule
- Ablösung und Rückbindung
Die Dialektik der Adoleszenz – Die Ladung der Identitätsachsen – Die Spiegelung in der Zeit - Degeneration
Verschmelzung und Distanzierung – Die Apotheose der Sicherheit – Die Apotheose der Erregung – Die Disruption der Werthaltungen - Die Moral von der Geschichte
Patchwork-Identität – Nie wieder! – Unverkrampft ist leicht gesagt - Schlussbilanz
Anhang / Literatur / Abbildungsnachweise / Namenregister / Sachregister
Über den Autor
Prof. Dr. phil. Dr. phil. h.c. Norbert Bischof war bis 1997 Professor für Allgemeine Psychologie und Direktor der Biomathematischen Abteilung am Psychologischen Institut der Universität Zürich, danach Honorarprofessor an der Universität München. Zuvor war er langjähriger Mitarbeiter der Verhaltensforscher Erich von Holst und Konrad Lorenz am Max Planck Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen sowie Gastprofessor am CalTech, Pasadena. 2003 erhielt er zusammen mit Doris Bischof-Köhler den Deutschen Psychologiepreis, 2011 den Bowlby-Ainsworth Founder Award des New York Attachment Consortiums. Er ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.