Details

Herausgeber Göllner, Renate; Radonic, Ljiljana (Hg.)
Verlag ça-ira-Verlag
Auflage/ Erscheinungsjahr 1. Aufl. 31.12.2007
Format 21 × 12,5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 200 Seiten
Gewicht 260
ISBN 9783924627997

Zu diesem Buch

Freud bot Aufklärung über die Familie als Elementarform der Gesellschaft, und er stärkte zugleich das Individuum, das auf der Familie hervorgeht, gegenüber dieser Gesellschaft. Damit schuf er die Voraussetzung, die totale Zurichtung des Einzelnen für Staat und Kapital bis ins Innerste seelischer Vorgänge zu analysieren und dennoch an diesem Einzelnen als Individuum festzuhalten, das sich all dessen bewußt werden kann und soll.

Aus dem Inhalt

  • Alex Gruber: Psychoanalyse im Zeitalter des Suicide Bombing. Apolgien des regressiven Kollektivs

Apolgien des regressiven Kollektivs

  • Renate Göllner: Gemeinschaftsgefühl als Ende der Psychoanalyse. Alfred Adler und die Folgen
  • Horst Pankow: Wilhelm Reich oder das Ungehagen an der Abstraktion
  • Gerhard Scheit: Die Fähigkeit zu opfern. Psychoanalyse nach Auschwitz bei Mitscherlich und Lacan.

Geschlechteridentität und Repression

  • Ljiljana Radonic: Psychoanalyse als Gendertheorie - Freud und seine Kritikerinnen
  • Martin Dannecker Die Dekonstruktion der sexuellen Normalität in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie
  • Tjark Kunstreich: Dialektik der Homophobie. Adornos Angst vorm Männerbund als antifaschistisches Erkenntnisinteresse
  • Natasche Wilting: Die Lust an der Unlust oder warum der Islam so attraktiv ist
  • Podiumsdiskussion: Todestrieb und Politik: Politische Gewalt und islamisches Kollektiv.

Pressestimmen

Why live, if you can be buried for ten Dollars? - Es kann keine radikale Gesellschaftskritik ohne Psychoanalyse geben

"Das hier vorgestellte Buch faßt eine Konferenz zusammen, die im Herbst 2006 in Wien unter dem Titel: »Mit Freud – Gesellschaftskritik und Psychoanalyse« stattfand. Der Untertitel ist einem Freud-Brief entliehen: »Why live, if you can be buried for ten Dollars?« In diesem Brief an Marie Bonaparte (1937) stellt sich Freud die Frage nach Wert und Sinn des Lebens und kommt zur pessimistischen Auffassung, daß es beides in objektiver Weise nicht gibt, ja, daß allein die Fragestellung ein Hinweis auf Krankheit sei, mit dem Verweis darauf, daß »ein Vorrat an unbefriedigter Libido eine Art Gärung erfahren habe, die zu Trauer und Depression führt«.

Warum sich linke Gesellschaftskritiker mit Freud befassen, dürfte wohl genau mit dieser pessimistischen Sicht auf die Weltverfassung zusammenhängen. Die (real-)sozialistische Utopie ist mit dem Jahr 1989 endgültig auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet und was nachher kam und bis heute dauert, birgt kein bißchen Hoffnung auf eine emanzipatorische Zukunft. »Von einem können weder Gesellschaftskritik noch Psychoanalyse lassen, ohne selbst unterzugehen: dem bürgerlichen Subjekt, das sein Leiden spürt«, heißt es im Vorwort, und mit dieser Suche nach Antworten auf das Leiden des Subjekts in und durch die herrschende Kultur beschäftigen sich die Vorträge, die im Laufe der zweitägigen Veranstaltung gehalten wurden. Als teilnehmender Psychoanalytiker (in Ausbildung) fand ich vor allem die Anwendung der Psychoanalyse als analytisch orientierte Sozialpsychologie interessant. In der Ausbildung zentriert sich schwerpunktmäßig alles um die »Klinik« der Psychoanalyse: Was kann ich wie aus dem riesigen Universum der unterschiedlichen Theorien und Schulen herausdestillieren, um meine eigene therapeutische Praxis gestalten zu können? Jene Fragen, die im Sammelband im Vordergrund stehen, nämlich nach der Freudschen Kulturtheorie, seinen Abhandlungen über die verschiedenen Vergesellschaftungsformen des Individuums, seine Religionskritik, seine Kritik am Mensch in der Masse, sein »Unbehagen in der Kultur«, kommen in der Ausbildung nur noch als Fußnote vor. Viel wichtiger sind die Fragen nach der überprüfbaren Wirksamkeit der Psychoanalyse als Heilmethode oder nach der Anschlußfähigkeit der Psychoanalyse an die Neurobiologie. Gab es für die gesellschaftskritische Seite der Psychoanalyse jemals bessere Zeiten? Ja, aber nicht in der fruchtlosen Debatte über den Freudo-Marxismus in studentenbewegten Zeiten, sondern in den Arbeiten des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und da zum Beispiel in den Studien über Autorität, Familie, Antisemitismus oder verdichtet in der Dialektik der Aufklärung. Warum bleiben für diese Veranstaltung nur die Arbeiten der Kritischen Theorie als Referenzrahmen akzeptabel? Weil Adorno, Horkheimer und andere dem Fortschritt der Nachkriegsgesellschaften, der Nach-Auschwitz-Gesellschaften nicht über den Weg trauten, was ihre demokratische und antifaschistische Entwicklung anbelangt. Für diese Lesart der Geschichte, vor deren Hintergrund die Beiträge angesiedelt sind, war Auschwitz kein Rückfall in die Barbarei in einer sonst fortschreitenden Gesellschaft, sondern ein spezifischer Ausbruch einer kapitalistischen Vergesellschaftung, die zum Freiwerden zerstörerischer Kräfte führte. Und solange sich diese Gesellschaftsform nicht ändert, wird auch das destruktive Potential im Einzelnen sich nicht verändern können. Herbert Marcuse formuliert das in Triebstruktur und Gesellschaft folgendermaßen: »Die Zivilisation gerät in eine zerstörerische Dialektik: die dauernden Einschränkungen des Eros schwächen schließlich den Lebenstrieb und setzen damit eben jene Kräfte in verstärktem Maße frei, gegen die sie ›aufgerufen‹ worden waren – die Kräfte der Zerstörung« (Marcuse 1955, S. 48).

Dieser in der Triebtheorie Freuds im Eros angelegte Antagonismus von Lebenstrieb und Todestrieb findet seine Verdoppelung in der Auseinandersetzung zwischen Lust- und Realitätsprinzip, also zwischen nicht entfremdeter Libido und einer repressiven Kultur und Gesellschaft, die unter den herrschenden Bedingungen eben genau die »vergärte« Libido produziert, die dann zu Agonie, Depression oder Destruktion führt. (...)" (Stefan Schnegg, in: psychosozial 33. Jg. (2010) Heft II (Nr. 120), S. 133 - 135)

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