Details

Autor Beck, Rainer
Verlag C.H.Beck
Auflage/ Erscheinungsjahr 01.02.2012
Format 21,7 × 13,9 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Hardcover
Seiten/ Spieldauer 1008 Seiten
Abbildungen mit 22 Abbildungen
Gewicht 1175
ISBN 9783406621871

Zu diesem Buch

Höchst Wunderliches ereignete sich im bayerischen Freising, wovon der dortige Stadt- und Pflegrichter Sigmund Prosper Freiherr von Lampfritzheim seinem Fürstbischof Eckher von Kapfing nebst dessen Hofrat im Dezember 1715 Meldung zu machen sich genötigt sah. Ihm sei nämlich zu Ohren gekommen, daß einige eigensinnige Schüler des Sprengels „mit etlichen um die Stadt herum sich aufhaltenden vagierenden Bettelbuben Bekanntschaft gemacht und in denen außer der Stadt gehabten Zusammenkunften [mit diesen] einige Diskurs von Zaubern, Mäusmachen und dergleichen geführet – oder wohl auch einer dem anderen etwas hiervon gelernet habe“.

Wenig später verbreitete sich die Nachricht, insbesondere ein elfjähriger Stromer mit dem Spitznamen Trudenfanger praktiziere das Mäusemachen und ziehe andere Minderjährige in den Bannkreis seiner Zaubereien. Wie die verschärften Vernehmungen und eine ordentliche Untersuchung der beklemmenden Umtriebe bald ans Licht brachten, hatten jene unglücklichen Geschöpfe ihrem Gott abgeschworen und sich allzu offensichtlich dem Bösen verschrieben. Die Verstockung und Uneinsichtigkeit der Überführten schreie zum Himmel, was als weiterer Beleg für deren Abfall vom Glauben zu werten sei. Die meisten dieser Kinder mußten daher exekutiert werden.

In ihrem Ringen ums Überleben berichten die Vernommenen von seltsamen dämonischen Erlebnissen und Taten. Wie in einem Vexierspiel vermengen ihre Geständnisse Realität und Imagination zu einer irritierenden Wirklichkeit. Doch dieser undurchsichtige Entwurf läßt sich entwirren und in seiner Doppelbödigkeit zeigen. Was Hexerei war oder bedeutete, erscheint somit in einem veränderten Licht, sobald man die Geständnisse angeblicher Hexen oder Hexer einer sorgfältigen Analyse unterzieht.

Rainer Beck, der durch seine klassische Studie über Unterfinning bekannt geworden ist, führt den Leser in bizarre Vorstellungswelten der Vormoderne ein und legt am Beispiel des Freisinger Hexenprozesses eine Kulturgeschichte der konfessionellen Gesellschaft am Vorabend der Aufklärung vor.

"Es war ein Markttag mit einigem Getriebe, als sich im November 1717 vor dem Rathaus einer bayerischen Residenzstadt ein Menschenzug in Bewegung setzte, um drei eben verurteilte Delinquenten zu ihrer Exekution vor die Tore der Stadt zu geleiten: einen zwölf- und zwei vierzehnjährige Jungen. Man hatte sie der Hexerei überführt. Und angesichts dieses Kapitalverbrechens durfte ihr kindlich-jugendliches Alter kein Hindernis sein, sie in den Tod zu schicken, hieß es doch schon in der Bibel, man solle die «Zauberer» töten. Zudem war ihre Aburteilung kein Akt der Leichtfertigkeit. In der Stadt hatten Gerüchte von einem zauberischen «Mäusemachen» einiger Knaben zu zirkulieren begonnen. Die städtische Justiz hatte eingegriffen, um diesen Beschuldigungen auf den Grund zu gehen.

Sie hatte einen langen Untersuchungsprozess angestrengt, im Zuge dessen sich diese Gerüchte bestätigten und die Verantwortlichen zu der Erkenntnis gelangt waren, dass sich diese jungen Leute dem Bösen verschrieben und Gott den Rücken gekehrt hatten. Das war zu dieser Zeit kein ganz
selbstverständlicher Vorgang mehr. Denn an der Wende zum 18. Jahrhundert, das sich zu einem Jahrhundert europäischer Aufklärung entwickelte, mehrten sich allmählich die Zweifel an der Existenz von Hexen und Zauberern oder eines leibhaftigen Teufels.

Doch die Erkenntnisse, zu denen man in diesem Verfahren gelangt war, belegten in gewisser Weise die Irregeleitetheit solcher Zweifel. Jedenfalls eignete sich die Tötung dieser jugendlichen Hexer dafür, noch einmal die Gültigkeit einer traditionellen Weltsicht hervorzustreichen, die keine strikte Trennung zwischen diesseitigen und jenseitigen Kräften kannte, in der es auch auf einen Teufel zu achten galt, der immer wieder Macht über Menschen erlangte und ganze soziale Gemeinschaften bedrohte. Dieser Bedrohung war man in Freising, dem Ort des Geschehens, offensichtlich mit Macht entgegengetreten. (...)" (aus der Einleitung)

Pressestimmen

"(...) Das beeindruckende Werk von Rainer Beck ist ohne Frage eine Herausforderung für den Leser und erfordert einige Geduld. Doch die Mühe wird belohnt, weil man lernen kann, wie vergangenes Handeln durch Einbettung in den historischen Kontext und den zeitgenössischen Horizont für uns heute plausibel und nachvollziehbar wird. Wie die Studie in das zunehmend größer werdende Feld der Hexenforschung einzuordnen ist, bleibt abzuwarten. Die immer wieder beklagte Widersprüchlichkeit und zuweilen Beliebigkeit der Erklärungen für die Ursachen der Vefolgungen interessieren Beck nur am Rande, weshalb der wissenschaftliche Apparat übersichtlich gehalten ist. Ihm geht es primär um die Lebenswirklichkeiten und Alltagserfahrungen in einer katholischen Bischofs- und Residenzstadt am Vorabend der Aufklärung und die Frage, wie sich diese Gesellschaft der Gültigkeit ihrer jeweiligen Konstrukte und imaginären Realitäten versicherte. Mit der Erinnerung an die verfolgten Kinder hält uns
der Autor zugleich einen Spiegel vor, denn die fatale Dynamik von Ein- und Ausschlussverfahren und die ‚Imagination des Bösen‘ sind nicht nur ein Kennzeichen vormoderner Gesellschaften." In: HistLit 2012-4-202 / Andrea Bendlage über Beck, Rainer: Mäuselmacher oder die Imagination des Bösen. Ein Hexenprozess 1715–1723, München 2011, in: H-Soz-Kult 06.12.2012

Über den Autor

Rainer Beck, geb. 1950, Historiker, lehrt derzeit Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Konstanz.

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