Details

Autor Le Soldat, Judith
Herausgeber Judith Le Soldat-Stiftung; Gsell, Monika (Hg.)
Verlag frommann-holzboog
Auflage/ Erscheinungsjahr 09.03.2015
Format 21 × 14,8 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 336 Seiten
Gewicht 430
Reihe Judith Le Soldat-Werkausgabe, Band 1
ISBN 9783772826818

Zu diesem Band der Werkausgabe

Kritisch ediert, kommentiert und eingeleitet von Monika Gsell.

Judith Le Soldats (1947–2008) Beitrag zur Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie beinhaltet eine grundlegende Revision der klassischen Auffassung des Ödipuskomplexes und, darauf aufbauend, eine neue psychoanalytische Theorie der Homosexualität.

Die auf 5 Bände angelegte, mit editorischem Kommentar und Schlagwortverzeichnis versehene Werkausgabe macht Le Soldats Schriften in ihrem konzeptuell eng aufeinander bezogenen Zusammenhang zugänglich. Sie umfasst die Erstveröffentlichung der beiden aus dem Nachlass herausgegebenen Bände zur Homosexualität, legt die vergriffenen Monografien von 1989 und 1994 neu auf und versammelt die in verschiedenen Zeitschriften erschienenen Artikel in einem Band.

Aus der einleitenden Vorlesung der Autorin

Meine Damen und Herren

Ich beginne meine Ausführungen mit einer Anekdote. Einige von Ihnen kennen vielleicht das deutschsprachige Standardwerk der wissenschaftlichen Sexualforschung. Es ist die von Volkmar Sigusch,
dem Direktor des Instituts für Sexualforschung an der Universität Frankfurt herausgegebene »Therapie sexueller Störungen«.2 Dem bald ehemaligen Direktor, muss ich sagen, denn das Frankfurter Institut, das neben dem Kinsey-Institut die weltweit grösste Bibliothek zur Sexualforschung beherbergt, soll nach dem Willen der Medizinischen Fakultät, der es unterstellt ist, auf Ende Jahr wegen Geldmangels, so heisst es, geschlossen werden.

Vor etlichen Jahren bekam ich einen sehr freundlichen Brief von Sigusch, dem bekannt war, dass ich über Homosexualität arbeite. Er zeigte sich begeistert über einen Artikel, den ich gerade zu einem ganz anderen Thema veröffentlicht hatte, und bat mich, offenbar daher angeregt, das Thema Homosexualität für die von ihm geplante dritte Auflage des Lehrbuches zu übernehmen. In der zweiten Auflage fand sich zwar ein glänzender Aufsatz von Morgenthaler über Homosexualität, aber Sigusch erschien dieser inzwischen etwas veraltet, und er wollte alles anders und neu machen.3 Ich war angetan von der reizvollen Aufgabe, sagte zu, stellte jedoch einige inhaltliche Bedingungen. Damit entspann sich in der Folge eine rege Korrespondenz, welche sich über ein Jahr lang hinziehen sollte. Es ging zuerst um Morgenthaler. Sigusch vertrat die Ansicht, Morgenthalers Aufsatz könne im Buch nur verbleiben, wenn er durch eine Arbeit eigens über die weibliche Homosexualität ergänzt würde. Es sei ihm zudem wichtig, auch im Theoretischen praxisnah und realistisch zu bleiben, schrieb er. Ich war dagegen der Meinung, Morgenthalers Artikel müsse unbedingt bleiben, weil er m. E. zwar zu falschen, weil viel zu harmlosen Resultaten führte, aber einen einzigartigen, richtigen Ansatz eröffnete. Schlug also vor, Morgenthalers Beitrag zu belassen und ihm meine Ausführungen zur Seite zu stellen. Beide Arbeiten würden sich
ergänzen und dem Leser zudem verschiedene Forschungsperspektiven sichtbar machen. Eine gesonderte Behandlung der männlichen und weiblichen Homosexualität könne ich allerdings weder inhaltlich noch von der Theorie her, die ich entwickelt hatte, rechtfertigen. Die Erfahrung, dass aus der Differenz von Ähnlichem wertvolle Erkenntnis gewonnen werden könne, sei universell in der Wissenschaft, auf dem Gebiet der Homosexualität liefere sie aber geradezu zentrale Einsichten, auf die ich nicht verzichten wolle, schrieb ich ihm. Bei einer sinnlosen und künstlichen Auftrennung in ein kategoriales Denken unter ›männlich‹ und ›weiblich‹ gehe doch das alles verloren. Ausserdem – und damit antwortete ich schon auf einen Vorschlag, den er inzwischen als Kompromiss eingebracht hatte – sähe ich nicht ein, was mich »als Frau« dazu prädestinieren soll, über die weibliche Homosexualität zu schreiben. Ich sähe keinen zwingenden Zusammenhang zwischen meiner Anatomie und meinen
Interessengebieten. Ein weiterer Konfliktpunkt ergab sich aus dem Titel des Buches. Ich regte an, man möge den irreführenden Titel »Therapie sexueller Störungen« fallen lassen. Homosexualität sei keine Störung, und eine sexuelle Störung schon gar nicht.

Ich sagte das nicht als Positionsbezug. Es war die Essenz meiner Theorie, welche die Homosexualität als eine normale, eigengesetzliche und konsequente Entwicklung neben der Heterosexualität und einer dritten, hier nicht erheblichen Linie im Seelischen sieht. Ich wolle meinen Namen nicht dafür hergeben, dass Homosexuelle unter »sexuelle Störung« abgehandelt würden. Eine Änderung des Titels kam für Sigusch aus verlagstechnischen Gründen, wie er meinte, nicht in Betracht. Ich regte an, man möge folgerichtig den ganzen Bereich heraustrennen und einen eigenständigen Reader machen  Homosexualität könne, nach allem, was wir heute wissen, auch nicht im Entferntesten als Krankheit betrachtet werden. Das wollte er nicht. Er legte mir stattdessen sorgfältig auseinander, wie weit er »beim Enttotalisieren und Entpathologisieren einer bisher durchgehend psychopathologisierten Menschengruppe« gehe, machte aber gleichzeitig den Vorschlag, dass zwei generelle Aufsätze, immer noch getrennt nach männlicher und weiblicher Entwicklung, ergänzt werden sollten durch zwei weitere getrennte Aufsätze über die »behandlungsbedürftige, neurotische homosexuelle Entwicklung beim Mann und bei der Frau«. So könne man das ganze Gebiet abdecken, und ich könnte dabei, wenn ich wollte, auch nur den allgemeinen theoretischen Teil übernehmen.

Da gab ich auf, zog mich vom Projekt zurück. Der Zwiespalt war unüberbrückbar.

Warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte? - Aus drei Gründen. Erstens liegt mir daran, dass Sie meinen allgemeinen Standpunkt kennen, nachdem Sie in der Folge, wenn wir tiefer in die Materie eindringen,
manchmal notwendigerweise die Orientierung verlieren werden. Es ist mir deshalb wichtig, nochmals kurz festzuhalten, was ich auch Sigusch gegenüber vertrat: Ich habe Grund zur Annahme, dass Homosexualität keine psychische Störung ist, schon gar nicht eine sexuelle Störung, sondern im Gegenteil eine ungeahnte psychische Entwicklung offenbart, deren Verständnis uns wertvolle und neue Einsichten über das grundsätzliche Funktionieren des Seelischen vermittelt. (...)

Über die Autorin

Judith Le Soldat (1947–2008) ist in Budapest geboren und in Zürich aufgewachsen. Sie studierte an der Universität Zürich Psychologie und promovierte 1978 bei Ulrich Moser mit einer theoretischen Arbeit zur psychischen Regulation des Selbstwertgefühls. Ihre Ausbildung zur Psychoanalytikerin absolvierte sie am Psychoanalytischen Seminar Zürich (PSZ), unter anderem bei Fritz Morgenthaler und Paul Parin. 1975 nahm sie ihre Tätigkeit als Psychoanalytikerin in eigener Praxis auf und begann am PSZ zu unterrichten. Parallel zu ihrer klinischen Tätigkeit arbeitete Le Soldat an einer eigenständigen und systematischen Weiterentwicklung der psychoanalytischen Triebtheorie: 1989 erschien ihre erste Monografie, die sich mit der gesellschaftlichen Tabuisierung der Aggressionslust und der Wirkung von ungebundener Aggressionsenergie in psychischen Strukturbildungsprozesen beschäftigte.

1994 legte Le Soldat eine grundlegende Revision der psychoanalytischen Auffassung der ödipalen Entwicklung vor. Ab 1996 arbeitete sie an einer neuen, auf ihren bisherigen klinischen und theoretischen Erkenntnissen basierenden psychoanalytischen Theorie der Homosexualität. Zu dieser Theorie gibt es zwei bisher unveröffentlichte Manuskripte, die als Band 1 und 2 der Judith Le Soldat-Werkausgabe erscheinen werden.

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