Details

Herausgeber Berndt, Frauke; Goebel, Eckart (Hg.)
Verlag De Gruyter
Auflage/ Erscheinungsjahr 10.10.2017
Format 23 × 15,5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Hardcover
Seiten/ Spieldauer VIII, 704 Seiten
Abbildungen 20 schw.-w. Abb., 8 schw.-w. Zeichn.
Gewicht 1150
Reihe Handbücher zur kulturwissenschaftlichen Philologie, Band 5
ISBN 9783110332490

Zu diesem Manual

Das umfassdende Handbuch bietet einen umfassenden Überblick über die enge Beziehung zwischen Literatur und Psychoanalyse. In den Blick kommen dabei die Literatur als Gegenstand der Psychoanalyse und das psychoanalytische Wissen der Literatur. Systematisch aufbereitet werden auch die literarischen Dimensionen der Psychoanalyse und das Verhältnis zwischen Psychoanalyse und Kultur- bzw. Literaturwissenschaft. Zwei Register und ein Glossar beschließen den Band.

Aus dem Vorwort der Herausgeber

"Das vorliegende Handbuch stellt sich die Aufgabe, über die systematische und die historische Dimension der engen und komplizierten Beziehungen zwischen Literatur & Psychoanalyse möglichst umfassend Auskunft zu geben. Zunächst ist zu bestätigen, dass die in den nachfolgenden Artikeln dargestellten Beziehungen zwischen Literatur & Psychoanalyse tatsächlich bestehen. Denn man darf ja durchaus mit einiger Berechtigung fragen: Was hat eine Psychotherapie neurotisch bedingter Leiden, bis heute von Ärztinnen und Ärzten sowie Psychologinnen und Psychologen praktiziert, die keineswegs zwingend den schönen Künsten ergeben sind, überhaupt mit Literatur zu schaffen - konventionell verstanden als schriftlich fixierte, ästhetisch geformte Fiktion? Ist ein musischer Touch innerhalb des medizinisch-therapeutischen Rahmens nicht der peinliche Makel einer seit jeher umstrittenen und als frei assoziierendes, dubioses Couchgespräch beargwöhnten Heilkunst, die sich derzeit in Konkurrenz mit Psychopharmaka und gegenüber den Neurowissenschaften behaupten muss? Wenn die ,schöne Literatur` sich als ein den Baustoffen des Theoriegebäudes der Psychoanalyse beigemischtes Element erweist, ist das nicht - und diese Sorge hatte bereits Sigmund Freud selbst - ein Beleg für einen diskreditierenden Mangel an strenger Wissenschaftlichkeit? Mit dem Verhältnis von Literatur & Psychoanalyse geht es also nicht zuletzt um das „Darstellungsproblem der Psychoanalyse" (Lüdemann 1994, 11) selbst und damit auch um deren Poetik.

Ein erhellender Hinweis, den der Begründer der Psychoanalyse, seinerseits Neurologe, 1926 während der Feier seines 70. Geburtstags formuliert haben soll, wurde 1950 von Lionel Trilling überliefert und von Jean Starobinski später erneut zitiert: „When, on the occasion of the celebration of his seventieth birthday, Freud was greeted as the 'discoverer of the unconscious,' he corrected the Speaker and disclaimed the title. The poets and philosophers before me discovered the unconscious,' he said. 'What I discovered was the scientific method by which the unconscious can be studied.'" (Trilling 1951 [1950], 34; Starobinski 1990 [1970], 91)

Ob authentisch überliefert oder nicht: Freuds oft zitierter Einspruch hat seinen Vorläufer in einem Absatz aus seiner 1907 veröffentlichten Deutung der Novelle Gradiva. Ein pompejanisches Phantasiestück (1903) von Wilhelm Jensen, in der Freud „Dichter" und „Psychiater als aufeinander verwiesene „Bundesgenossen" (VII, 33) beschreibt und so auf die Frage nach der Relevanz der Literatur für die Psychoanalyse eine bejahende Antwort gibt: Der Dichter soll der Berührung mit der Psychiatrie aus dem Wege gehen, hören wir sagen, und die Schilderung krankhafter Seelenzustände den Ärzten überlassen. In Wahrheit hat kein richtiger Dichter je dieses Gebot geachtet. Die Schilderung des menschlichen Seelenlebens ist ja seine eigentlichste Domäne; er war jederzeit der Vorläufer der Wissenschaft und so auch der wissenschaftlichen Psychologie. [...] So kann der Dichter dem Psychiater, der Psychiater dem Dichter nicht ausweichen, und die poetische Behandlung eines psychiatrischen Themas darf ohne Einbuße an Schönheit korrekt ausfallen. (VII. 70)

In dieser Einleitung wird nach einem Blick auf die Beziehungsgeschichte zwischen Literatur & Psychoanalyse seit 1900 (2.) mit Bezug auf Freuds Deutungen des König Ödipus und des Hamlet gezeigt, dass die Literatur für den Begründer des psychoanalytischen Diskurses zeitlebens eine große Rolle spielte, und erörtert, warum das der Fall war (3.). Danach werden Freuds Thesen zur Persönlichkeit von ,,Dichter[n]" und zur Genese literarischer Werke vorgestellt (4.) sowie die Leerstelle der .Dichterinnen' und also überhaupt des Weiblichen in der Diskursbegründung markiert (5.). Daran anschließend werden Grundzüge der aus der Analogie zum Traum entwickelten Theorie des literarischen Textes nachgezeichnet (6.). Differenziert wird mithin zwischen dem beachtlichen Einfluss der Literatur auf die Entstehung der Psychoanalyse, ihrer Theorie des .Dichters' und seiner Texte, der psychoanalytischen Rezeptionstheorie (Traumerlebnis) sowie der aus deren methodischer Reflexion elaborierten Hermeneutik (Traumdeutung) (vgl. Schönau und Pfeiffer 2003, 80). Die Fokussierung auf Freud resultiert nicht nur daraus, dass er die Psychoanalyse begründet hat, sondern folgt auch aus der Tatsache, dass die späteren Beiträge zur Literatur von Wilhelm Stekel bis Jacques Lacan die Einsichten seiner Schriften entweder ausarbeiten oder sogar programmatisch zu ihnen zurückkehren. Das Gleiche gilt für die älteren von Reinhold Wolff herausgegebenen Beiträge zur Systematik Psychoanalytischer Literaturkritik (1975) sowie für die exzellenten, in der deutschsprachigen Hochschullehre vielfach bewährten Überblicksdarstellungen, wie sie unter anderem Peter von Matt, Walter Schönau und Joachim Pfeiffer oder Henk de Berg erarbeitet haben (vgl. de Berg 2005 [2003]; von Matt 2013 [1972]; Schönau und Pfeiffer 2003 [1990]). In Ergänzung zu diesen Einführungen wird in dieser Einleitung zuletzt ein Akzent auf die für die Beiträge dieses Bandes besonders relevanten Studien aus jüngerer Zeit (vgl. z. B. Alt und Anz 2008) gesetzt, die intensiv an einer Rekonstruktion der Poetik der Psychoanalyse' arbeiten und im Zuge dessen erneut das psychoanalytische Wissen (in) der Literatur profilieren (7).

Freuds bei näherer Betrachtung von starker Ambivalenz gekennzeichneter Versuch, „die Psychoanalyse durch die Bundesgenossenschaft mit den Dichtern zu legitimieren und diese zugleich ihrer Autorschaft zu berauben", zeitigte „eine Theorie der Literatur, die den Charakter einer Kompromißbildung nicht verbergen kann" (Haselstein 1991, 17). Dieser noch genauer zu erläuternde Kompromiss führte dazu, dass sich viele Betträge zur psychoanalytischen Literaturwissenschaft zwei .Lagern' zuordnen lassen: Jenen, die die Psychoanalyse als eine Hermeneutik betrachten, welche die Literatur zu ihrem Objekt macht wie sonst das Unbewusste, stehen diejenigen gegenüber, die in der Psychoanalyse eine Theorie des Unbewussten erkennen, „die nicht nur durch ihre eigene Geschichte immer schon auf die Literatur verwiesen ist, sondern in der selbst die Mechanismen am Werk sind, die auch die Strukturen literarischer Texte bestimmen" (Geisenhanslüke 2015, 90).

Im vorliegenden Band werden im Gegenzug zu dieser tradierten Polarisierung vor allem die zahlreichen Querverbindungen herausgearbeitet, die zwischen den beiden mittlerweile für den produktiven Austausch geöffneten Lagern bestehen. Wenn das Thema Literatur & Psychoanalyse daher nun in einem ersten Schritt in vier Teilbereiche aufgegliedert wird, geschieht das vor allem in
heuristischer Absicht und im Interesse eines vorläufigen Überblicks über die Sache. Die Artikel dieses Handbuchs gelten insbesondere der Literatur als dem Gegenstand der Psychoanalyse, dem psychoanalytischen Wissen der Literatur, der literarischen Dimension der Psychoanalyse und dem Verhältnis zwischen Psychoanalyse und Kulturbeziehungsweise Literaturwissenschaft.
Dabei erschließt sich sukzessiv, wie eng die vier Aspekte simultan miteinander verwoben sind, „welche Bedeutung literarische Fiktion für die psychoanalytische Theoriebildung hatte und wie sich psychoanalytisches Wissen in literarischen Texten neu organisiert und in seinen Funktionen verändert" (Alt und Anz 2008, V). Erkennbar wird, dass im gegenwärtigen Theoriediskurs die vom Begründer der Psychoanalyse ererbte Polarität zwischen dem Insistieren auf der scharfen Grenze zwischen Objekt- und Metasprache einerseits und deren subtiler Dekonstruktion andererseits als weithin überwunden gelten kann. Im Bemühen um ein Junktim von Klarheit der Darstellung und der aus der Sache folgenden Offenheit für neue Verbindungen und Figuren orientiert sich dieses Handbuch nicht nur an Freuds bewegender These, dass „der letzte Dichter erst mit dem letzten Menschen sterben werde" (VII, 213), sondern auch formal an seiner Skizze zu der ins Unbekannte hinein offenen Grenze der Traumdeutung. Denn wenn die dem Traum analoge „Form der Literatur ihr Wissen ist, dann liegt das psychoanalytische Wissen des Textes in seiner Unabschließbarkeit" (Alt und Anz 2008, 10) (...)"

Die Beiträge des Manuals

I. Literatur & Psychoanalyse: Historisch-systematische Einleitung

  • I. Literatur & Psychoanalyse: Historisch-systematische Einleitung - Eckart Goebel

II. Theorien - Methoden - Konzepte

  • II.1. Semiotik - Stephan Kammer
  • II.2. Rhetorik und Poetik - Martin von Koppenfels
  • II.3. Kritische Theorie - Paul North
  • II.4. Poststrukturalistische Theorie - Frauke Berndt und Mladen Dolar
  • II.5. Kulturtheorie - Dorothee Kimmich
  • II.6. Postcolonial und Critical Race Studies – Franziska Bergmann
  • II.7. Gender und Queer Studies - Irina Gradinari und Franziska Schößler
  • II.8. Medientheorie – Leif Weatherby

III. Exemplarische Analysen I: Paradigmatische Figuren

  • III.1. Moses – Jeffrey S. Libret
  • III.2. Kain und Abel - Jonathan Kassner
  • III.3. Medea - Frauke Berndt
  • III.4. Elektra - Elke Siegel
  • III.5. Laios - Silke-Maria Weineck
  • III.6. Ödipus - Frauke Berndt und Almut-Barbara Renger
  • III.7. Antigone - Cecilia Sjöholm
  • III.8. Narziss und Echo - David Pister
  • III.9. Hamlet - Andreas Kraß
  • III. 10. Der Fürst - Eckart Goebel

IV. Exemplarische Analysen II: Historische Formen

  • IV.1. Tragödie - Achim Geisenhanslüke
  • IV.2. Komödie - Lily Tonger-Erk
  • IV.3. Mittelalterliche Epik - Christiane Ackermann
  • IV.4. Bekenntnisliteratur - Sebastian Meixne
  • IV.5. Familienroman - Stefan Willer
  • IV.6. Fallgeschichte - Arne Höcker
  • IV.7. Witz - Paul Fleming
  • IV.8. Literatur der Romantik - Thomas Wortmann
  • IV.9. Literatur - Film: Doppelgänger - Ortrud Gutjahr
  • IV.10. Kriminalliteratur - Max Roehl
  • IV.ll. Literatur der Moderne - Stefan Börnchen
  • IV.12. Traumliteratur - Barbara Hahn
  • IV.13. Traumaliteratur - Dania Hückmann
  • IV.14. Nachkriegsliteratur - John T. Hamilton

V. Glossar zentraler Begriffe
VI. Auswahlbibliographie

VII. Register

  • VII.1. Namensregister
  • VII.2. Sachregister

VIII. Abbildungsnachweise
IX. Autorinnen und Autoren

Zu dieser Reihe

Frauke Berndt ist ordentliche Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Die Schwerpunkte Ihrer Arbeit sind Literarische Mediologie (Rhetorik, Poetik, Ästhetik), Literatur und Ethik (Gender- und Queer- Studies), Literaturtheorie und Neuere deutsche Literaturgeschichte

Eckart Goebel, Prof. Dr. Eckart Goebel, Innhaber des Lehrstuhl für Komparatistik / Deutsche Philologie an der Universität Tübingen

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