Details

Autor Müller, Lothar
Herausgeber Schacke, Katrin (Buchgestaltung) (Hg.)
Verlag AB - Die Andere Bibliothek
Auflage/ Erscheinungsjahr 28.02.2019
Format 21,3 × 12,1 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung gebunden, im Schuber
Seiten/ Spieldauer 420 Seiten
Gewicht 674
Reihe Die Andere Bibliothek, Band 410
ISBN 9783847704102

Limitierte Ausgabe. Leuchtend bedruckter Einband, Bebilderung im Innenteil. Fadenheftung, Lesebändchen - ein auch von seiner Buchgestaltung her besonders gelungener Band aus der berühmten Edition Die Andere Bibliothek (dAB).

Zu diesem Band der limitierten Reihe

Vom Unterbewusstsein an die Oberfläche der Dingwelt: Der Vater der Psychoanalyse und seine Traumdeutung im Spiegel ihrer Gegenstände

Wer sich in die Fallgeschichten Sigmund Freuds vertieft, der versteht: Das nebenher Gesagte, das belanglose Detail ist das Entscheidende.

Da taucht zum Beispiel die »Apollokerze« auf, das Erfolgsprodukt der Wiener »Apollogesellschaft«, die in dem im Jahr 1839 bankrottgegangenen Etablissement »Apollosäle« ihren Firmensitz hatte: industriell gefertigte Stearin-Kerzen, die reißenden Absatz fanden, weil ihr Docht nicht nachgeschnitten werden musste. Die Lexika belegen es: Diese Apollokerzen wurden zum Synonym für Stearin-Kerzen. Und: Sie bevölkern das Unbewusste unbescholtener Fräuleins, kommen auf Freuds Couch zur Sprache.

Die Psychoanalyse ist eine archäologische Unternehmung, sie gräbt im Unbewussten, im Verborgenen nach Scherben und Fragmenten. Aber sie gräbt nicht Rom aus, sondern die Gegenwart. Die Apollokerzen gingen aus der Einwanderung der antiken Götter und Heroen in den bürgerlichen Alltag hervor. Kein Telegrafenamt ohne Atlas mit der Weltkugel, keine Glühbirnen ohne Lichtgötter, kein Transportunternehmen ohne Merkur, kein Kaminsims ohne Venus von Medici. Die frühe Psychoanalyse folgt dem Gesetz, nach dem die Kerzenfabrikanten, die Vergnügungsbranche oder die Industrie ihre Waren benennen. Und wie die Apollokerzen in der Dingwelt kursierte der »Ödipuskomplex« bald in der Alltagssprache.

Das Unbewusste von Freuds Patienten war bevölkert mit den Requisiten des bürgerlichen Alltags und Interieurs. In ihren Träumen und Fehlhandlungen regiert die »Tücke des Objekts«, die damals sprichwörtlich wurde. So sind Freuds Schriften nicht nur eine Aufdeckung des Verdrängten oder Verdichteten, der Lektüre im Unbewussten, sondern zugleich ein Kompendium der Dingwelt des 19. Jahrhunderts, vom Regenschirm bis zu den Schreibgeräten. Das Unheimliche und das Harmlose begegnen sich an dieser Schnittstelle.

Freuds Dinge spürt jenen Gegenständen nach, die die bürgerliche Lebenswelt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert bevölkerten, als Sigmund Freuds Psychoanalyse entstand.

Ob Instrumente medizinischer Laboratorien, Möbel oder Kinderspielzeug, Götterfiguren aus Gips und Marmor in Sichtweite des legendären Diwans oder Schreibgeräte wie der „Wunderblock“ – die Warenwelt des technischen und industriellen Zeitalters verwandelt sich bei Freud in „Traumdinge“, die den Träumenden einladen, durch Name oder Gestalt seine Erinnerungen, Wünsche oder Ängste zu offenbaren.

Das Inventar des modernen, von Mechanisierung und Elektrifizierung geprägten Alltags, ist in Freuds Fallgeschichten und Deutungen eingewoben, es spielt wie die antike Mythologie eine tragende Rolle in der Erforschung des „seelischen Apparats“. So lassen sich Freuds Schriften nicht nur als Aufdeckung des Verdrängten und Entzifferung des Unbewussten lesen, sondern zugleich als Geschichte des Zusammenspiels von Dingwelt und Seelenleben im bürgerlichen Zeitalter.

Lothar Müllers verblüffende Neulektüre wirft einen überraschenden Blick auf Sigmund Freuds epochale Deutungskunst und geht der Geschichtlichkeit des Unbewussten nach.

Inhalt des Bandes

Kapitel 1: DIE LUSTPUMPE UND DER SEELISCHE APPARAT

  • Das Mikrotom, die Influenzmaschine und die Salpetriere - Die Kamera und die Galtonsche Mischphotographie - Der chemische Kolben und der Seziertisch - Das Herbarium, die Traumarbeit und das Perpetuum mobile.

Kapitel 2: IM INNERN DES HAUSES

  • Freuds Teppich, der Orientalismus und das Telephon des Unbevvussten Der Anker-Steinbaukasten, das Interieur und das Fancy Paper - Das Prinzip Gschnas, der Zimmertelegraph und der Surrealismus - Die Holzspule und die Entthronung des Lustprinzips.

Kapitel 3: DAS BÜNDNIS MIT DER ANTIKE

  • Der neue Midas und die Pelzmütze des Vaters - Die archäologische Sammlung, die Gradiva und das Studiolo - Die amerikanische Patientin, Athene und das Orakel von Delphi.

Kapitel 4: DIE GÖTTER IM EXIL DES ALLTAGS

  • Die Diana der Epheser und die Masken Merkurs - Die Tücke des Objekts, die Venus von Medici und die Apollokerzen - Ödipus, die Sphinx und die sieben Ringe.

Kapitel 5: RÄTSELHAFTE INSCHRIFTEN

Das GIeichnisregister und die Entschlüsselung der Hieroglyphen - Die Bücherwelt, die Fliegenden Blätter und der römische Dialekt - Die Stifte, der Wunderblock und das Ende der archäologischen Metapher.

Epilog: DIE DINGE UND DIE LETZTEN DINGE

Anmerkungen, Literaturverzeichnis, Personenverzeichnis, Bildnachweis.

Der Autor

Lothar Müller (geb. 1954) ist Literaturkritiker, Literaturwissenschaftler, Journalist und Autor. Er ist Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung mit Sitz in Berlin, Preisträger des Alfred-Kerr-Preises (2000), des Johann-Heinrich-Merck-Preises (2008) und des Berliner Preises für Literaturkritik (2013) sowie Autor zahlreicher Bücher (zuletzt: Weiße Magie. Die Epoche des Papiers, 2012, Hanser). Seit 2010 ist Müller Honorarprofessor an der HU Berlin.

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