Details

Autor Bautz-Holzherr, Margarethe; Pohlen, Manfred
Verlag Suhrkamp
Auflage/ Erscheinungsjahr Erstausgabe 03.06.1991
Format 20,5 × 12,5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung gebunden mit Schutzumschlag
Seiten/ Spieldauer 529 Seiten, mit umfassendem Register
Gewicht 595
ISBN 9783518580806

Zu diesem Buch

Dieses Buch eines der wohl hellsten und eigenwilligsten Köpfe der zeitgenössischen deutschsprachigen Psychoanalyse verfolgt mit den Mitteln psychoanalytischer Erkenntnis den Weg durch ihre eigene Geschichte, Theorie und Praxis, durch die Bildung ihrer Schulen und Bewegungen.

Die Freudsche Psychoanalyse wird vom Autor in den Blick genommen als quasi unterirdische Schöpfungsgeschichte des Subjekts, die damit der oberirdisch herrschenden eindimensionalen Ordnung mit ihrer letztlich infantilen Rationalität entgegengestellt wird. Wie Nietzsche ziele die Psychoanalyse Freuds auf eine Wiedereinführung des verlorenen konnaturalen Denkens und habe letztendlich ihre Berechtigung, insofern sie wirkmächtiges Programm der Selbstbemächtigung des Subjekts sein könne - sofern denn ihre eigenen Adepten dies verstünden.

Aus einer Rezension

"Manfred Pohlen und Margarethe Bautz-Holzherr, zwei Psychoanalytiker an der Philipps-Universität Marburg, sind keine orthodoxen Vertreter der Schule Sigmund Freuds, und sie nehmen kein Blatt vor den Mund. In einer umfangreichen Studie werfen sie Freuds Nachfolgern vor, den Sinn der Psychoanalyse entstellt zu haben: Um ihre Praxis zu machen, hätten sie sich einem Wissenschaftsbetrieb angedient, der das Denken rigoros vom Körper trennt. Damit hätten sie Freuds eigentliches Forschungsfeld - das Triebleben - abermals der Verdrängung anheimgegeben. (...)"

Aus einer empfehlenswerten Rezension von Jakob Hessing in der FAZ vom 24.04.1992. Der Text kann hier in Gänze nachgelesen werden:

http://www.gbv.de/dms/faz-rez/920324_FAZ_0013_13_0003.pdf

"Die andere Aufklärung“ ist der unumgängliche Versuch einer kulturwissenschaftlichen Standortbestimmung der Psychoanalyse. Eine andere Aufklärung führt einen Diskurs zur Grundlegung der Psychoanalyse als Aufklärungswissenschaft: der Aufklärung der Aufklärung, der Aufklärung über die Irratio der Vernunft; gegen den Diskurs der Moderne von Habermas und anderen Rationalisten, vor allem aber auch in der Psychoanalyse selbst, die den Freudschen Diskurs über den Triebgrund des Humanum erledigt haben durch eine psychoanalytische Psychologie, ein bloßer Überbau rationalisierender Bemächtigung des Menschen. Auf diese eindimensionale Spur lebensweltlicher Erfahrung gebracht, reduziert sich Psychoanalyse auf eine formelhafte Begriffssprache, eine Als-Ob-Aufklärung, die anstelle des Bewusstmachens des Unbewussten die leere Rede psychoanalytischer Schablonen setzt. Der Diskurs verfolgt mit den Erkenntnismitteln der Psychoanalyse den Weg durch ihre eigene Geschichte, Theorie und Praxis, durch die Bildung ihrer Schulen und Bewegungen.

Es ist auch eine andere Aufklärung über das emanzipatorische „Programm der Aufklärung“. Die Freudsche Psychoanalyse wird als unterirdische Schöpfungsgeschichte des Subjekts entgegen der oberirdischen Ordnung herrschender Rationalität wieder bewusst gemacht und zugleich der Mythos von Ödipus als Metaphysik der Psychoanalyse erhellt. Wie Nietzsche zielt die Psychoanalyse Freuds auf eine Wiedereinführung des verlorenen connaturalen Denkens und der Bedeutung des Leibes für die menschliche Lebenswelt.Der Diskurs dieses Buches ist keine Schrift über Freud, keine Rückkehr zu Freud: es ist der Versuch, Freud mit Freud zu lesen und über Freud hinaus. Das Freudsche Subjekt wird mit den Erkenntnismitteln der Psychoanalyse zu Objekt der Analyse gemacht durch die Untersuchung des Freudschen Begehrens als konstitutiver Bedingung für die Konstruktion der Psychoanalyse und ihrer Bewegung.Der vergesse Triebgrund im Diskurs der Moderne wird durch die Reflexion auf die triebhafte Basis der ihn konstituierenden Begriffe von Selbstreflexion, Emanzipation und Kommunikation analysiert. Die psychoanalytische Archäologie der Grundbegriffe der Moderne führt die Legende vom Normal-Ich, die Magie der Selbstschöpfung und das Opfer in der Sprachgemeinschaft vor Augen. Die Analyse der Lesart der Moderne (Habermas) zeigt die Entstellung des Freudschen Textes, der den Grenzfall als „Normalfall“ repräsentiert. Die Freundsche Schöpfungsgeschichte erweist Naturgeschichte als Triebgeschichte des Gattungskörpers und die Naturgeschichte des Subjekts als Wiederholung der Naturgeschichte der Gattung. Der Ödipuskomplex wird als die Metaphysik der Psychoanalyse dargestellt, der durch seine Familialisierung von einem aufklärerischen Naturmythos zu einer Kleinbürgerkolportage verkommen ist und in der Ausrichtung der psychoanalytischen Arbeit auf ihn die Unterdrückung des Triebes unter das phallisch-genitale Primat besorgt. Von daher wird das Verhältnis der Maternellen Signifikanz zum Phallischen Signifikanten als Verschiebung und Ersetzung des Maternellen aufgedeckt und am Mythos von Theseus, Perseus und Athene exemplarisch aufgeklärt. Die Untersuchung des okkulten Problems der Psychoanalyse: Die Transzendierung der Autorität Freuds in der Übertragung seines Begehrens auf das Feld seiner Praxis und auf das Feld seiner Bewegung wird als Experiment der Selbstaufklärung der Psychoanalyse vorgeführt. Die als Übertragung wirkende Suggestion ist das okkulte Problem der Psychoanalyse, über dessen Aufklärung die Wirkmechanismen des auf Einsicht zielenden psychoanalytischen Prozesses bestimmt werden. Psychoanalyse erweist sich als rhetorische Diskursart, deren „Spieleinsatz“ auf Überreden und Überzeugen zum Zwecke der Übereinstimmung geht, die sich nach der Maßgabe (Einbildungskraft) des Analytikers bestimmt, der seinerseits den Maßregeln (Spielregeln) der rhetorischen Diskursart folgt. Die Aufklärung des psychoanalytischen Prozesses stellt das rhetorische Übereinstimmungsmoment zwischen Analytiker und Analysand ins Zentrum der als Übertragung wirkenden Suggestion. Die Übereinstimmungsmetapher Freuds rührt an das Grundphänomen menschlicher Kommunikation und wird in der Auseinandersetzung mit Grünbaums Tally-Argument zum Brennpunkt wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der den psychoanalytischen Prozess kennzeichnenden Suggestion gemacht. Freuds unaufgeklärte Hinterlassenschaft, das okkulte Problem der psychoanalytischen Bewegung, die als Übertragung wirkende Suggestion Freuds, kulminiert in der Mythisierung Freuds und dem Autoritarismus der Orthodoxie und ist der Grund des unaufgeklärten religiösen Problems der Psychoanalyse.

Ein Nachtrag, ein psychohistorischer Exkurs zur Schöpfung der modernen Mentalität durch Descartes, klärt über die unbewussten Wurzeln der Moderne, auch über die modernisierte Psychoanalyse auf.„Die Genese der modernen Mentalität wird in dem abschließenden psychohistorischen Exkurs“ dessen Glanzstück nach meinem Dafürhalten die Analyse der Träume von Descartes dargestellt. Hier wird vor allem deutlich, wie das im Gefolge der Entstofflichung des Denkens und der Entseelung der Körperwelten auf den Plan getretene reflektive Bewusstsein so wie in der Licht- und Zahlenmetaphysik als Wiederkehr des Verdrängten zu begreifen ist. Pohlen / BautzHolzherr haben mit ihrem Buch demonstriert, welche Sprengkraft dem Diskurs Freuds heute immer noch inne wohnt, wenn man den Gegendiskurs der Moderne einschließlich der psychoanalytischen Orthodoxie wendet. Ihre andere Aufklärung als Rückbesinnung auf das vergessene Ursprungsdenken der Psychoanalyse, auf Freuds Gott Libido konvergiert mit der nachmodernen philosophischen Besinnung auf die vergessenen Grundlagen des Abendlandes: des Menschen Ort in einer gleichermaßen physischen und leibbezogenen Welt“

Rezension von Ralph Sichler, in: Journal für Psychologie 1. Jahrgang, Heft 3 (1993)

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