Details

Autor Walser, Martin
Verlag Suhrkamp
Auflage/ Erscheinungsjahr 2. Aufl. 26.03.1987
Format 20,0 × 12,0 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 177 Seiten
Gewicht 228
SFB Artikelnummer (SFB_ID) SFB-004320_SIG

Zu dieser Ausgabe

Wolf Zieger alias York, aus der DDR stammend, litt an der deutschen Teilung. Ihn bekümmerte, daß seine kämpfende und leidende Republik auf dem Gebiet der High-Technology hoffnungslos unterlegen ist. Er ist bereit, diesem Defizit abzuhelfen, und stellt sich als Kundschafter in den besonderen Dienst seiner Republik.

Wenn die Novelle einsetzt, ist Wolf 15 Jahre im Westen. Er arbeitet nach Vorlage einer widerspruchsfreien Biographie in der Bonner Politikverwaltung, verheiratet mit Dorle, einer Sekretärin im Verteidigungsministerium; hinter ihm liegen neun Jahre fehlerloser Praxis als Spion. Er hat sich voll und ganz auf diese Arbeit eingestellt. »Man muß, wenn man etwas zu verbergen hat, mehr tun, als man selber für nötig hält.« Im Laufe seiner Tätigkeit wird er dabei so etwas wie ein Überkonsequenzexperte: Er spielt Schumanns Novelletten immer nur mit einer Hand, um nie hören zu lassen, daß er ursprünglich in der DDR Klavier studiert hatte. So ist es immer der halbierte Schumann, den er spielt, und halbiert sind für ihn auch die Menschen der Bundesrepublik. »Sie wissen nicht, was ihnen fehlt. Und keiner würde sagen, ihm fehle seine Leipziger Hälfte, sein Dresdner Teil, seine mecklenburgische Erstreckung.«

Überkonsequent ist er auch in seiner Spionagetätigkeit: immer mehr tun, als man für nötig hält. Er macht sich an Sylvia Wellershof heran, ebenfalls Sekretärin im Verteidigungsministerium. Dorle, seine Frau, die erst nach der Heirat von seiner Agententätigkeit erfahren hatte, die ihn deckte und unterstützte, weil sie ihn liebte, wußte, daß er die Protokolle sozusagen in Sylvias Bett abholte. Dorle duldete zwar ein Zwischen-Tür-und-Angel-Verhältnis, eine Kurzbeziehung nach Dienstschluß, und Wolf mußte dann Dorle auch seine unbefriedigte Beteiligung, sein zweckdienliches Verhältnis erläutern, seine »ebenso komischen wie quälenden Geschlechtsdienste, deren Hauptcharakteristikum ihre Kurzgefaßtheit war«. Aber wieviel Unvereinbarkeit erträgt man? Das wurde Wolfs Problem: »Wie sehr darf, was man denkt, dem, was man tut, widersprechen?« Dorle wollte ein Kind, auch Wolf wollte es. Nur noch ein Auftrag war abzuwickeln, dann wollte er in einem Treff mit DDR-Nachrichtendienstleuten in Südfrankreich die Arbeit aufkündigen. Doch die wollten ihn nicht entlassen und wollten ihm auch seinen privaten Wunsch nach Leben in einer Familie nicht abnehmen. Wolf spürte den Konflikt immer brennender. Er begann sich selbst abzulehnen, sich und sein dauerndes Weder-Noch. In seiner Seelenerschütterung wußte er nicht mehr: war er illegal oder schon illegitim. Er entschied sich, seinen Dienst aufzugeben, er wollte sich stellen, Dorle gab ihm den Rat, »das Land, in dem er lieber vor Gericht geht, muß man vorziehen«. Wolf entschied sich, er stellte sich einem Gericht der Bundesrepublik. Er erlebte einen eitlen Anwalt, eine ihn verfolgende Staatsanwältin und einen Gerichtsvorsitzenden, von dem er sich zunächst verstanden fühlte. Im Urteil aber demonstrierte dieser dem Angeklagten, wie politisch unvernünftig sein Handlungsentwurf ist, die Vorstellung halbierter Menschen sei der reine Wahn.

Die Novelle Dorle und Wolf, die in einem einzigen Kreis nur einen einzigen Konflikt zeigt, zerbröselt die Vorstellung, ein einzelner könne, wie York in Tauroggen, in den Gang der Geschichte eingreifen. Die Novelle aber zeigt auch, was Rettung bedeutet, der Wunsch einer unendlichen Annäherung an den anderen Menschen - als schönsten Liebes- und Lebenssinn.

Der Autor

Martin Walser wurde am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren. Nach seinem Arbeitsdienst erlebte er das Ende des Zweiten Weltkrieges von 1944 bis 1945 als Soldat der Wehrmacht. Nach Kriegsende machte er 1946 in Lindau am Bodensee-Gymnasium das Abitur und studierte an den Universitäten Regensburg und Tübingen Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Mit einer Dissertation zu Franz Kafka wurde er 1951 in Tübingen promoviert. Von 1949 bis 57 arbeitete er beim Süddeutschen Rundfunk. In dieser Zeit unternahm er Reisen für Funk und Fernsehen nach Italien, Frankreich, England, CSSR und Polen und schrieb erste Hörspiele.1950 heiratete er Katharina Neuner-Jehle. Aus dieser Ehe gingen die Töchter Franziska, Alissa, Johanna und Theresia hervor. Seit 1953 wurde Walser regelmäßig zu den Tagungen der Gruppe 47 eingeladen, die ihn 1955 für die Erzählung Templones Ende auszeichnete. Sein erster Roman Ehen in Philippsburg erschien 1957 und wurde ein großer Erfolg. Walser lebte von da an mit seiner Familie als freier Schriftsteller erst in Friedrichshafen und dann in Nußdorf am Bodensee.

Lieferbarkeitshinweis

Im Archiv der SFB ist dieser Roman als ein vom Autor signiertes und annähernd verlagsfrisches Exemplar verfügbar; beim Verlag vergriffen.

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