Details

Autor Bürgin, Dieter
Verlag Brandes u. Apsel
Auflage/ Erscheinungsjahr 26.09.2022
Format 24 × 17 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 368 Seiten
ISBN 9783955583378

Zu diesem Buch

In dieser Arbeit des in Basel lebenden und wirkenden Psychiaters und Psychoanalytikers Dieter Bürgin beschäftigt er sich mit den unbewussten psychischen Primärvorgängen. Er diskutiert die wichtigsten psychoanalytischen Konzepte, deren Verständnis sich auf die vorödipale Zeit erstrecken. Diese zu kennen und zu begreifen dürfte, davon ist Bürgin überzeugt, behandelnden PsychoanalytikerInnen beim besseren psychodynamischen Verstehen und Durchdringen von in der Frühkindheit begründeten Konfliktsituationen. die in späteren Entwicklungsphasen im Jugendlichen- und Erwachsenenalter virulent werden können. Das Buch möchte mithin theorie- und praxisgeleitete Ansatzpunkte für mögliche therapeutische Veränderungs­pro­zesse in psychodynamischen Psychotherapien anbieten.

Vorwort des Autors

"Jeder Analytiker/jede Analytikerin stützt sich - neben den Texten von Freud - auf unzählige Arbeiten anderer Autoren, mit denen er sich im Verlauf seiner analytischen Tätigkeit mehr oder weniger intensiv auseinandergesetzt hat und die sich ihm als klinisch bedeutsam erwiesen haben. Sein Stil verändert sich im Verlaufe der Jahre, meist ohne dass er sich dessen besonders gewahr wird. Ähnlich ergeht es ihm mit den unzähligen klinischen Besprechungen, Theoriediskussionen, Auseinandersetzungen und Neuformulierungen, an denen er teilgenommen hat. Er bildet in seinem Unbewussten, Vorbewussten und natürlich auch im bewussten Bereich Grundkonzepte aus, deren er sich kaum bewusst ist, es sei denn, er liebt es, reflektiv darüber zu sinnieren.

Oft stößt der analytische Mensch beim Nachdenken auf einige eigene Gedanken und freut sich darüber. Sehr häufig findet er, sofern er sucht, aber entsprechende, bereits in der Literatur formulierte Vorstellungen von der gleichen Art, wenngleich diese vielleicht mit etwas anderen Worten festgehalten sind. Dennoch bildet die Weise, in der er sein immer wieder transformiertes Wissen und seine berufliche wie auch persönliche Erfahrung zusammensetzt, eine Art Patchwork-Decke, ein persönliches Integral, in welchem die unterschiedlichen Teile farblich und formlich aufeinander einwirken, sich ergänzen und vervollständigen. Das Gesamt der Theorien, Modelle und Konzepte, das sich daraus gebildet hat, legt, neben der jeweiligen Verfassung im Alltag, fest, was der Analytiker hört, wie er das Aufgenommene innerlich verbindet, welche Haltung er dem Analysanden gegenüber einnimmt, welche Verbindungen er schafft und wo, wann und auf welche Weise er einen kreativen Funken auftauchen lassen kann.

Die hier aufgeführten Autorinnen und Autoren vermittelten dem Schreiber dieses Buches unendlich viele Anregungen, insbesondere über die früheste Entwicklung und ihre Anwendung im klinischen Bereich mit Patientinnen und Patienten. Die Inhalte überschneiden sich auf vielfältige Weise. Der Leser - als ein »Theorie-Raumgleiter« (Sloterdijk, 2004, S. 362) - wird, wie beim Zeichnen einer Blume, immer von Neuem vom Zentrum in die Peripherie und zurück geführt, so dass gewisse Überschneidungen - dadurch aber gerade auch wieder neue Gesichtspunkte - nicht Vorwort zu vermeiden sind. Der Blätterreichtum der Pflanze ist riesig. Er ist hier willkürlich limitiert worden.

Es ist für eine Leserin und einen Leser möglich, bei irgendeinem Kapitel einzusteigen. Lässt er oder sie sich allerdings in die jeweilige Gedanken- und Affektwelt der jeweiligen Autoren ein, darf eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Inhalt zu Stande kommen, so kann es möglich werden, dass sich, mehr oder weniger bewusst, Transformationen einzustellen beginnen, da sich neue, eigene, kognitiv-emotionale Netzwerke psychischer und damit auch zerebraler Art zu formieren beginnen. Das Erlebnis, dass der analytische Wissens- und Erfahrungskorpus für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsenen der gleiche ist, wenngleich sich gewisse technische Unterschiede im Setting ergeben, wird, neben den mehr strukturellen Fixpunkten, der dynamischen Zeitreise durch den Lebenszyklus und zurück einen persönlichen Schwung verleihen.

Vom Kapitel 2.1 ab stehen am Anfang kurze Zusammenfassungen. Sie sollen dazu behilflich sein, etwas von der Dynamik des folgenden Kapitels antönen zu lassen. Sie sind also nicht einfach ein Kondensat des nachfolgenden Texts, sondern eine Art Leseeinstieg.

Das Hören auf archaische, präverbale, primär symbolisierte Inhalte und ihr Manifest-Werden durch die Phänomene der Übertragung / Gegenübertragung beim dyadischen Paar stehen keinesfalls im Gegensatz zur Wahrnehmung von ödipalen, adoleszentären und adulten Konfliktkonfigurationen, sondern beides erstreckt sich auf Frühphänomene, die in nicht zu unterschätzendem Ausmaß die Weichen für die Entwicklung späterer Konflikte stellen. Auch die Ausdehnung des Intrapsychischen ins Interpersonale und zurück lässt keinesfalls den Blick für die Vorgänge in der Innenwelt der Analysanden ins Leere gehen, sondern schärft und klärt diesen in besonderer Weise.

Die Psychoanalyse des Säuglings, Klein- und Schulkindes, Adoleszenten und Erwachsenen wird als eine einheitliche Theorie nur umso deutlicher. Einzig gewisse technische Vorgehensweisen sind altersspezifisch. Vereinfacht gesagt, würde die Formel heißen: Wir lernen von den Säuglingen für die Erwachsenen. Rene Spitz wurde einmal gefragt, warum er sich denn immer nur mit dem ersten Lebensjahr des Menschen beschäftigt habe, worauf er entgegnete, die Zeit seines Lebens habe nicht ausgereicht für mehr!

Damit die Bewegungen nicht nur im Theoretischen verlaufen, sind immer wieder klinische Beispiele aus der Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingestreut, die nicht Anleitungen für ein detailliertes Vorgehen liefern, sondern offene Hinweise und Anregungen für die Wahrnehmung bestimmter Phänomene zur Verfügung stellen sollen.

Mit dem Konzept »Entwicklung« im Auge, findet die Psychoanalyse breite Verbindungen zu anderen Wissenschaften, wird durch diese befruchtet und kann aus ihrem Kenntnis- und Erfahrungsschatz auch viel zur Bereicherung anderer Wissenschaften beitragen. Die Säuglinge und Kleinkinder helfen ihr, den elfenbeinernen Turm zu verlassen und im Kontakt zu anderen Welten etwas fruchtbares Drittes zu erzeugen."

Dieter Bürgin Basel, Sommer 2022

Inhalt

  • Vorwort

1. Einleitung

2. Früheste Entwicklungskonfigurationen

  • 2.1 Triebhafte Ausrichtung
  • 2.2 Neurobiologische Anmerkungen zur Gehirnentwicklung
    2.2.1 Das menschliche Gehirn
    2.2.2 Genetische Einflüsse auf die Hirnentwicklung
    2.2.3 Außenwelteinflüsse auf die Gehirnentwicklung
    2.2.4 Wiedereintrittsschlaufen2
    2.2.5 Frühkindliche Trennung und Depression
  • 2.3 Weitere neuropsychologische Aspekte der Frühentwicklung und des Gedächtnisses
    2.3.1 Bewusstsein
    2.3.2 Unbewusste Vorgänge, Aufmerksamkeit, Selbstrepräsentanz und Emotionen
    2.3.3 Nichtverbale Signale und Protokonversation
    2.3.4 Wiederholungen und Voraussagen
    2.3.5 Lernen
    2.3.6 »Theory of Mind«
    2.3.7 Gedächtnis
    2.3.8 Spiegelneurone und gemeinsam geteilte neuronale Austauschschlaufen
    2.3.9 »default System«
  • 2.4 Der Aufbau der Psyche
  • 2.5 Die Pikler-Situation (Roussillon, 2008)
  • 2.6 Die Affekte
  • 2.7 Die Spiegelbeziehung
    2.7.1 Verdoppelung
    2.7.2 Pränatale Vorläufer
    2.7.3 Emotionale Spiegelvorgänge
    2.7.4 Spiegelfunktionen
    2.7.5 Verdoppelungen innen und außen
    2.7.6 Spiegelungsvorgänge und Bindungstheorie
    2.7.7 Sich im Spiegel erkennen
    2.7.8 Innere und äußere Spiegelphänomene
    2.7.9 Spiegelungsvorgänge und Symbolbildung
    2.7.10 Spiegelungsvorgänge und Selbstobjekte
    2.7.11 Lebendiger Spiegel
    2.7.12 Spiegelungsvorgänge und Alterität
    2.7.13 Spiegelungsvorgänge und Desillusionierung
    2.7.14 Spiegelungsvorgänge und Identitätsbildung
    2.7.15 Reziprokes Tiefenspiegeln
    2.7.16 Affektspiegelung und Markierung
  • 2.8 Die frühe Kommunikation
  • 2.9 Das frühinfantile Trauma
  • 2.10 Die Entwicklung des Selbst (Stern, 1992)
    2.10.1 Das auftauchende Selbst (null bis zwei Monate)
    2.10.2 Die Repräsentanz eines Kernselbst{zwei bis neun Monate)
    2.10.3 Subjektives Selbst (siebter bis 18. Monat)
    2.10.4 Das verbale Selbst
  • 2.11 Konzepte von Bollas über die früheste Kindheit
  • 2.12 Die drei Organisatoren von Spitz, speziell die Verweigerung und das Nein-Sagen (mit einem Fallbeispiel)
    2.12.1 Ein Erstinterview
  • 2.13 Die Einflüsse der Säuglingsforschung (the competent infant)
    2.13.1 Einleitung
    2.13.2 Rekonstruktion und/oder Beobachtung
    2.13.3 Kritik an Begriffen von Margret Mahler
    2.13.4 Internalisierung und Repräsentanzen
    2.13.5 Affekte und Emotionen
    2.13.6 I ntersubjektivität/affektive Einstimmung
    2.13.7 Piaget, die frühkindliche Entwicklung und die bildhaften Vorstellungen
    2.13.8 Primär- und Sekundärprozess, Schemata und Repräsentanzen
    2.13.9 Die Bedeutung der Wirklichkeit und der Interaktion
    2.13.10 Experimentelle, für die Psychoanalyse primärer Abläufe wichtige Situationen
  • 2.14 Der Phantasieapparat und das primäre Phantasieren aus kleinianischer Sicht (Fornari, 1970)
    2.14.1 Fallvignette
  • 2.15 Frühe Entwicklung und Veränderungen (Sternetal., 2012)
  • 2.16 Dyadische und triadische Konfigurationen
  • 2.17 Intersubjektivität, das Dritte und die dritte Person
  • 2.18 Winnicotts Konzept der antisozialen Tendenz (inkl. klinischem Beispiel) und der Illusionsbildung/Desillusionierung
    2.18.1 Fallbeispiel
    2.18.2 Weitere Bemerkungen zu Übergangsphänomenen, Illusion und Desillusionierung
  • 2.19 Die Wiederholung
  • 2.20 Die Halluzination
  • 2.21 Die Konstruktion von Realität
  • 2.22 Mikrowelten (Maser, 2012)
    2.22.1 Basales Denken
    2.22.2 Innen und Außen, Externalisierung, Re-Internalisierung
    2.22.3 Beziehungs- und Affektentwicklung
    2.22.4 Mikrowelten in der psychoanalytischen Beziehung
    2.22.5 Veränderungen
  • 2.23 Die primäre Trauer (Racamier, 1992)
  • 2.24 Der Ant-Ödipus (Racamier, 1979)
  • 2.25 Laplanches »Botschaften«

3. Die frühe Ich-Entwicklung

  • 3.1 Frühe Abwehren, die Omnipotenz und Kinder, die intrafamilial als Patienten designiert wurden
  • 3.2 Die Offenheit von Übergangsbereichen
    3.2.1 Fallbeispiel
  • 3.3 Psychopathologische Konstruktionen, Strukturen oder Organisationen
  • 3.4 Die Verleugnung
  • 3.5 Phantasie, Phantasma und Kreativität
  • 3.6 Primäre traumatische Ereignisse
  • 3.7 Wie entwickelt sich die primäre Symbolisierung?
  • 3.8 Aufbau des Symbolisierungsapparates
  • 3.9 Primäre Symbolisierung und Spiel
  • 3.10 Die Wichtigkeit der Objekte für die Symbolisierung
  • 3.11 Das Subjekt und die Symbolisierung
  • 3.12 Der Trieb und der Prozess der Symbolisierung
  • 3.13 Das Bewohnen des Körpers
  • 3.14 Symptome und Spiel
  • 3.15 Der psychoanalytische Prozess
  • 3.16 Fallbeispiel
    3.16.1 Anamnestische Angaben
    3.16.2 Testpsychologie
    3.16.3 Interview
    3.16.4 Kommentar
  • 3.17 Intrapsychische und interaktive Regulationsprozesse in der Säuglingsforschung und in der Psychoanalyse
  • 3.18 Primäre Identifizierung
  • 3.19 Unbewusstes und bewusstes Denken
    3.19.1 Die Theorie des Denkens von Bion
    3.19.2 Die Entwicklung des Denkens bei Freud, Piaget und Matte Blanco
  • 3.20 Zur psychoanalytischen Technik bei Primärvorgängen

Literatur / Stichwortverzeichnis

Der Autor

Dieter Bürgin, Prof. em. Dr. med., war Ordinarius und langjähriger Chefarzt der ­Psychiatrischen Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche in Basel. Er ist Ausbildungsanalytiker der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (IPA), in verschiedenen internationalen Gremien tätig und Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie vieler Bücher.

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