Details

Autor Krüger-Kirn, Helga
Verlag Psychosozial-Verlag
Auflage/ Erscheinungsjahr 2016
Format 21 × 14,8 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 352 Seiten
Gewicht 518
Reihe Forschung Psychosozial
ISBN 9783837925210

"Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es."

Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht (1949)

Zu diesem Buch

Angesichts des aktuellen psychoanalytischen Geschlechterdiskurses ist eine Korrektur der bisherigen Konstrukte der psychosexuellen Entwicklung dringend erforderlich. Dazu untersucht Helga Krüger-Kirn den Zusammenhang von Körper und geschlechtlicher Subjektivierung unter Bezugnahme auf Freud, Lacan, Laplanche und Butler. Die Frage, wie sich soziale Ordnungen in die Körper einschreiben, wird exemplarisch an den Themen Schönheit – einschließlich bulimischer Essstörungen –, Kinderwunsch, Schwangerschaft und Muttersein diskutiert.

Ergebnis der theoretischen Reflexionen ist ein intersubjektiver Körperbegriff, der als Bezugspunkt für die Untersuchung von 30 abgeschlossenen Frau-Frau-Psychoanalysen dient. Sie verdeutlichen die Diskrepanz zwischen körperlichem Selbsterleben und normativen Zuschreibungen. Dabei bieten gerade die Verkörperungen von gesellschaftlichen Idealen sowie deren Abwehr den entscheidenden Hinweis, an dem sich ein Begehren nach Selbstbestimmung und Widerständigkeit realisiert.

Inhalt

Vorwort
I Erkundungen zum Thema

  • 1.1 Vorüberlegungen
  • 1.2 Problematisierungen und Fragestellung der empirischen Untersuchung
  • 1.3 Überlegungen zur Auswahl der empirischen Schwerpunkte
  • 1.4 Überlegungen zur Methodik
  • 1.5 Roter Faden der Arbeit

II Psychoanalytischer Körperdiskurs

  • 11.1 Freud: Zwischen Triebtheorie und geschlechtlichem Körper
  • 11.1.1 Das Unbewusste
  • 11.1.2 Gegenwarts- und Vergangenheits-Unbewusstes
  • 11.1 .3 Kritik und Anschlüsse
  • 11.2 Lacan: Ich ist ein anderer
  • 11.2.1 Der Körper und das Subjekt in der Sprache
  • 11.2.2 Das Reale, das Symbolische und das Imaginäre
  • 11.2.3 Die Spiegelerfahrung und die Einführung in die Sprache
  • 11.2.4 Symbolische Ordnung und die Position der Geschlechter
  • 11 2.5 Kritik und Anschlüsse
  • 11.3 Laplanche: Allgemeine Verführungstheorie
  • 11.3.1 Eine neue Sichtauf die Mutter-Kind-Beziehung
  • 11.3.2 Geschlecht als libidinöse Verkörperung
  • 11.3.3 Kritik und Anschlüsse

III Feministisch-psychoanalytische Modifikationen

  • 11.1 Sozialpsychologische Implikationen
  • 11.1.2 Das Sexuelle und die Weiblichkeit
  • 11.3 Kritik und Anschlüsse

IV Dekonstruktivistischer Körperdiskurs

  • IV.1 Zur Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht
  • IV. 1.1 Performatives Geschlecht
  • IV.1.2 Kritik und offene Fragen
  • IV.1.3 Melancholisches Geschlecht
  • IV.1.A Kritik und offene Fragen
  • IV.2 Zur Problematik von Körper und Leib
  • IV.2.1 Der Leib als interdependente Kategorie
  • IV.2.2 Lindemanns Verschränkungstheorie
  • IV.2.3 Jägers Inkorporierungstheorie
  • IV.2.4 Kritik und Anschlüsse
  • IV.2.5 Der Leib als subjektiver Ort von Diskurs, Erfahrung und Unbewusstem

V Ein intersubjektives Konzept von Körper, Leib und Geschlecht

  • V.1 Säuglingsforschung
  • V.2 Mentalisierung
  • V.3 Zur Somatisierung der Abwehr
  • V.4 Körperschema und Körperbild
  • V.5 Geschlechtsspezifische Erweiterungen zu Körperschema und Körperbild
  • V. 6 Ein Fazit: Geschlecht als intersubjektive Verkörperung

VI Methodologische Überlegungen

  • VI.1 Vorüberlegungen
  • VI.2 Empirisches Material
  • VI.3 Die tiefenherrneneutische Forschungsperspektive
  • VI.4 Diskurs und Selbsttechniken bei Foucault
  • VI.5 Der Körper als gemeinsame Denkfigur psychoanalytischer und diskursiver Perspektiven
  • VI.6 Methodisches Vorgehen

VII Zwischen Wortgewalt und Körpergeflüster: Körperpraktiken zwischen Schönheitsidealen und Selbstsuche

  • VII.1 Einleitung und Fragestellung
  • VII.2 Wie in einem Glashaus
  • VII.3 Hier sehe ich Seiten an mir, die ich gar nicht will
  • VI.4 Spurensuche oder: »Keine Verbindung zwischen Innen und Außen«
  • VII.5 Ihr erkennt mich nicht
  • VII.6 Zwischenreflexion oder: Bunte Tücher um ein Nichts
  • VII.7 Ich habe kein inneres Gefühl von Form
  • VII.8 Mit vollem Körpereinsatz und doch dem Körper so fern
  • VI.1.9 Zwischenreflexion oder: Wo gehöre ich hin?
  • VII.10 Nicht wie meine Mutter I
  • VII.11 Zwischenreflexion: Nicht wie meine Mutter II
  • VII.12 Wie bin ich weiblich? Heißhunger und sexuelle Lust
  • VII.13 Woran erkenne ich, dass mein Körper ein weiblicher ist?
  • VII.14 »Ent-Puppung«
  • VII.15 Zusammenfassung und Reflexion der Ergebnisse: »In meinem Kopf hat es gerade noch Sinn gemacht«
  • VII.16 Fazit und Anschluß.

VIII. Kinderwunsch, Mutterschaft und weiblicher Körper

  • VIII.1 Kind im Kopf
  • VIII.1.1 Einleitung und Untersuchungsperspektiven
  • VIII.1.2 Woher weiß ich, ob ich ein Kind will?
  • VIII.1.3 Eine Mutter Kind-Beziehung bedeutet Selbstverlust
  • VIII.1 A Mit einem Kind der Mutter so nah
  • VIII. 1.5 Zwischenreflexion
  • VIII.1.6 »Fort da, verdammter Fleck«
  • Vlll.1.7 »In die Hülle wachsen«
  • VIII.1.8 Zwischenreflexion
  • VIII.1.9 »Ich will keine Marionette sein«
  • VIII.1.10 Kinderwunsch und beruflicher Entwicklungskonflikt
  • VIII.1.11 Zusammenfassung der Ergebnisse: Kinderwunsch und weiblicher Körper-Selbst-Bezug
  • VIII.2 Kind im Bauch
  • Vll.2.1 Weiblicher Körper und Schwangerschaft
  • Vlll.2.2 Schwangerschaft und Abtreibung
  • Vlll.2.3 Zwischenreflexion: Abtreibung
  • Vlll.2.4 Ich bin schwanger
  • Vlll.2.5 Sexuelles Begehren und Schwangerschaft
  • Vlll.2.6 Zwischenreflexion: Schwangerschaft und phantasmatische Beziehung zum eigenen und dem Mutterkörper
  • Vlll.2.7 Verwandlung und narzisstische Potenz während der Schwangerschaft
  • Vlll.2.8 Verschwimmen der Körper- und der Geschlechtergrenzen
  • Vlll.2.9 Zwischenreflexion: Der bewohnte Körper und die Ordnung der Geschlechter
  • Vlll.2.10 Schwangerschaft zwischen leiblicher Verkörperung und medizinischer Entkörperung
  • Vlll.2.11 Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin
  • VIll.2.12 Zusammenfassung und Reflexion der Ergebnisse
  • Vlll.2.13 Anschlüsse und Ausschlüsse

IX Möglichkeitsräume für ein Denken körperbasierter Erfahrungen

  • IX.1 Zwischen Anrufung, Unterwerfung und Selbstbestimmung
  • IX. 1.1 Körpertheoretische Reflexionen zu Körper/Leib und Gesellschaft
  • IX.1.2 Empirische Reflexionen
  • IX.2 Zur doppelten Figur der Verwerfung und der Anerkennung
  • IX.3 Das Spannungsverhältnis von Körper und Erfahrung als Erkenntniskategorie

Literatur / Danksagung.

Geleitwort von Wolfgang Mertens

"Der sexuelle Körper gehört nach wie vor zum dunklen Kontinent, bei Frauen immer noch stärker als bei Männern. Oftmals unsymbolisiert oder fehlattribuicrt wird er zu einem vom übrigen Erleben abgetrennten Raum, der als unzugängliches Gelände, Fremdkörper, geheimnisvolle Macht, schmerzvolle Erregung, überwältigende, kaum beherrschbare Lust, aber auch als Quelle von Kreativität und Lebendigkeit erfahren werden kann.

Die psychoanalytische Auseinandersetzung mit der weiblichen Sexualität erfolgte im Anschluss an Freuds Thesen schon sehr bald. Psychoanalytikerinnen führten entweder die ideologisch befangene Sichtweise Freuds fort oder kritisierten seine Auffassungen vehement. Dabei wurde auch deutlich, dass diese Thematik immer nur auf dem Hintergrund der jeweiligen kulturellen und gesellschafdichen Vorstellungen über die Rolle der Frau angemessen diskutiert werden kann.

Frau Krüger-Kirn wendet sich in der vorliegenden Arbeit über die Ancig-nungs- und (Re-)Produktionsweisen weiblicher Körperlichkeit aber nicht nur dem Erleben von Psychosexualität zu. Sie ist auch und vor allem an der Frage interessiert, wie Menstruation, Kinderwunsch, Mutterschaft sowie die Vereinbarkeit von Mutterrolle und Beruf vom Erleben des weiblichen körperlichen Geschlechts geprägt sind, das sich in der Gegenwart aufgrund der tendenziellen Auflösung der Gcschlcchtcrrollcn allerdings nicht mehr an eindeutigen Genderkategorien festmachen lässt.

Ist aber der weibliche Körper lediglich ein gesellschaftlich hergestelltes Produkt, wie es in soziologischen und feministischen Abhandlungen immer wieder zu lesen ist, oder gibt es doch eine unaufhebbare Materialität des weiblichen Körpers, die die Grundlage für das weibliche Körpergefühl bildet? Die Arbeit von Frau Krüger-Kirn zeichnet sich dadurch aus, dass sie die im gegenwärtigen Geschlechterdiskurs häufig anzutreffenden Polarisierungen aufzuheben versucht: Aus psychoanalytischer Sicht werden die Weichen für das körperliche Erleben bereits im frühen Mutter-Tochter-Dialog gestellt, und von der Schwangerschaft an, aber auch in allen weiteren Entwicklungsphasen werden diese unbewusst wirkenden Einflüsse von familiendynamischen und triangulären Erfahrungen überformt und modifiziert. Diese finden jedoch nicht nur in einem familiären Kontext statt, sondern sind unweigerlich von gesellschaftlichen Weiblichkeits-vorstellungcn geprägt, die sowohl der Generation der Mütter entstammen, als auch die der heranwachsenden Töchter betreffen. Wie wirken all diese mächtigen Einflusskrafte bei der weiblichen Subjektwerdung zusammen?

Um diese Frage nicht nur konzeptuell, sondern auch empirisch einer Klärung zuzuführen, hat die Autorin eine Auswertung von 30 psychoanalytischen Frau-Frau-Analysen vorgenommen, in denen diese Themen zentral waren. Die von ihr ausgewählten Umgangsweisen mit dem Körper stellen Schnittstellen körperlich erfahrener normativer und sozialer Faktoren dar, die sich für eine psychoanalytische und soziologische Untersuchung sehr gut eignen. Ideologiekritische und psychoanalytische Perspektiven ermöglichen es der Autorin, sich dem kollektiven wie individuell Verdrängten und Nichtsymbolisierten anzunähern.

Allein die Fallstudien und die anschließenden Reflexionen, wie heutige Frauen sich mit den unbewussten Vorgängen der Entstehung ihrer Körpererfahrungen auseinandersetzen, sind spannend zu lesen und bieten eine hervorragende Quelle von Anschaulichkeit. Aber Frau Krüger-Kirn lässt es nicht dabei bewenden, sondern entwickelt in ihren theoretischen Überlegungen auch einen interdisziplinären Körperbegriff in Auseinandersetzung mit dekonstruktivistisch argumentierenden Feministinnen und Psychoanalytikerinnen und fuhrt somit den Geschlcchtcrdiskurs auf eine sehr kreative Weise weiter. Letztere erfahren, wie ver woben Körpererfahrungen und Körperpraktiken wie zum Beispiel Schönheitsoperationen mit gesellschaftlichen Normen über das Außere einer Frau sind, und Genderanalytiker können nicht übersehen, welche Macht das körperliche Selbsterleben von Säuglingstagen an ausübt. Das unbewusst Leibliche muss deshalb in einer interdisziplinären Betrachtung als Erkenntniskategorie ebenso berücksichtigt werden wie die soziale Strukturierung des Körpers.
Mit ihrem äußerst kenntnisreichen Diskurs gelingt es Frau Krüger-Kirn eine Brücke zwischen diesen beiden - in der Vergangenheit sich so oft unversöhnlich gegenüberstehenden oder aneinander vorbeiredenden - Disziplinen zu konstruieren, deren gute Begehbarkeit neue Dimensionen für einen fruchtbaren und weiterführenden Austausch zwischen den psychoanalytischen und soziologischen Disziplinen ermöglicht.

Ich wünsche dieser Arbeit deshalb eine möglichst weite Verbreitung."

Prof. em. Dr. Wolfgang Mertens

Aus dem umfangreichen Geleitwort Wolfgang Mertens

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