Details

Autor Eckstaedt, Anita
Verlag Psychosozial-Verlag
Auflage/ Erscheinungsjahr 07.2015
Format 21 × 14,8 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Hardcover
Seiten/ Spieldauer 149 Seiten
Gewicht 339
Reihe Imago
ISBN 9783837925104

Zu dieser Arbeit

Für die Autorin ist es eine wunderbare Fügung, daß eine Kindheitserinnerung Paul Klees für die Nachwelt erhalten geblieben ist; Anita Eckstaedt schaut sich diese Kinderzeichnung genau an - und gelangt zu interessanten Schlüssen. Den Kollegen und Kolleginnen stellt Frau Eckstaedt ihr neues Buch in der Novitätenschau mit diesem Kurztext vor:

"Die entgegen Paul Klees Absicht erhalten gebliebene Kinderzeichnung Mimi überreicht Mme. Grenouillet einen Blumenstrauß, 1883, stellt einen Glücksfall dar. In Verbindung mit der Geschichte eines Bilderbogens aus Épinal, der der Zeichnung aus seinem Nachlass zugeordnet wurde, führt dieselbe zu den Phantasien des damals Vierjährigen. Doch die dargestellte Szene einer Mutter-Kind-Beziehung ist nur vordergründig so entzückend. In einer subtilen Analyse wird die dahinter stehende Dramatik entschlüsselt. Es ist Paul Klees schöpferische Kraft, sich aus der Konfliktebene zu lösen und schaffend in der Bildebene zu leben.

Die Gegebenheit, dass schon diese Zeichnung eine Selbstdarstellung ist, bedingt die Suche nach späteren Selbstbildnissen Klees. Dabei finden sich Bilder sowohl des Zweifels an seiner Identität als Maler mit Spuren der einstigen Konfliktsituation wie auch Bilder erhabener Größe. Die Frage nach einem ’guten Objekt‘ führt zu Erinnerungen in manchen Malereien, die dann zu distanzierenden Abstraktionen übergehen: Klees eigene und neuartige Welt.

Wer diesem subtilen Text folgt, kann psychoanalytisches Wahrnehmen, Denken und Verstehen Schritt für Schritt nachverfolgen. Wie weit eine solche subtile Sicht schließlich reicht, ist unerwartet und staunenswert."

Inhalt des Buches

  • Einleitung
  • Die Darstellung eines inneren Konflikts auf der Kinderzeichnung und seine Entschlüsselung durch den Vergleich mit ihrer Vorlage
  • Der Beginn einer schöpferischen Lösung jenseits des realen Konflikts
  • Eine Huldigungsszene als Bekräftigung meiner These
  • Diskrete Phänomene als Merkmale eines Sich-Versagens
  • Eine Bildbetrachtung als psychoanalytische Sichtweise
  • Exkurs: Madame Grenouillet in der Bedeutung einer femme vulgaire
  • Zur Rolle und Aufgabe des Betrachters
  • Verdichtung als Gestaltungsform der Szene und der Ausstieg in das ›Zwischenreich‹ der Phantasie: Die  Blume mit vier Blättern, 1889
  • Der Weg nach draußen
  • Die »horizontale Bildform« und der Bildakt
  • Das Aquarell Der Zeichner am Fenster, 1909 – Spiegelbild des inneren Kampfes als Maler
  • Ein Foto Klees zum 60. Geburtstag und das Bild Die Bergbahn
  • Bildhafte Erinnerungen an ein ›gutes Objekt‹
  • Noch einmal Mimi
  • Besondere Belastungen in der persönlichen Geschichte Paul Klees
  • Anhang mit Bildlegenden // Bibliographie.

Stimmen zur Autorin und ihrer Arbeit

„Die Sensibilität ihrer Erzählkunst ist getragen von ihrer besonderen Art zu beobachten: oszillierend zwischen der genauen Fokussierung beiläufiger Details und der schwebenden Aufmerksamkeit fürs Ganze, im seismographischen Wechselspiel zwischen der Erschütterung durch den ersten Eindruck und der notwendigen intellektuellen und emotionalen Ausarbeitung, die ihre Zeit braucht, weil sich die Wahrheit nie anderes als zögernd enthüllt.“ 

Johannes Döser

"Wenn man ein Buch bespricht, das bereits vor acht Jahren erschienen ist, kann das nur einen Grund haben. Man hat es erst kürzlich entdeckt und ist vollkommen begeistert. Wenn dann noch die Information der Autorin hinzukommt, dass das Werk wegen schlechtem Absatz eingestampft werden soll, wird die Rezension geradezu zur moralischen Pflicht. Und natürlich macht man sich beim Verfassen seine Gedanken darüber, warum die Begeisterung beim Erscheinen des Buches von kompetenten Fachleuten nicht geteilt und der Fachöffentlichkeit zugängig gemacht wurde. -Vielleicht deshalb, weil es zwischen zwei Fachdisziplinen angesiedelt ist, die es trotz vielfältiger Bekundigungen immer noch schwer haben, sich gegenseitig zu beeinflussen.

Anita Eckstädts Buch ist weitaus mehr als der Untertitel wiedergibt. Was bescheiden als psychoanalytische Werkbetrachtungen angekündigt wird, ist nichts geringeres als die Bewältigung der Aufgabe, das Schaffen zweier bedeutender Künstler der Moderne aus deren Lebensgeschichte zu rekonstruieren und damit ein Modell anzubieten, wie moderne Kunst und deren Erschaffen verstanden werden kann. Diese Herangehensweise ist auch in dem zunehmend Anerkennung findenden Bereich zwischen Kunstgeschichte und Psychiatrie, der sogenannten Art Brut oder Outsider-Kunst, noch selten. Der Ursprung der Beschäftigung mit der „Kunst der Geisteskranken" durch Hans Prinzhorn wurde zwar von dessen Beschäftigung mit der Psychoanalyse angeregt, seine Interpretationen der Werke waren allerdings vollkommen von der Dualität zwischen damaligem psychiatrischem Krankheitsbegriff mit dem schizophrenen Defektzustand im Zentrum und dem kunsthistorischen Ansatz mit der Theorie der besonderen künstlerischen Begabung geprägt.

Anita Eckstädt geht bei ihren Werkbetrachtungen vollkommen anders vor, und zwar auf der Grundlage einer soziologischen Beobachtung. In der Einleitung stellt sie fest, dass die künstlerische Moderne in dem Wechsel von Impressionismus zum Expressionismus einen fundamentalen Wandel ausgelöst hat: „Die Subjektivität hatte Gültigkeit erhalten" (S.8). Damit ist es geradezu zwangsläufig, die schöpferische Kraft aus der sich entwickelnden Subjektivität des Künstlers zu rekonstruieren, wobei sich die Psychoanalyse als zum gleichen Zeitpunkt sich herausbildenden wissenschaftlichen Verfahrens bestens eignet. Freilich hat auch diese Methode mannigfaltige Wandlungen im Hinblick auf die Kunstbetrachtung erfahren, sodass die Autorin ihr Verfahren mit Theorien in Verbindung bringt, die sich in den 1970er-Jahren entwickelt haben. In ihnen wird das künstlerische Produkt „als Ergebnis eines inneren Kampfes zwischen Trieb und dessen Abwehr" (S. 11) verstanden, das allein über die Gegenüberstellung von Kunstwerk und Betrachter und dem dabei entstehenden Prozess der Gegenübertragung entschlüsselt werden kann.
Dementsprechend beginnen die Werkbetrachtungen mit Paul Klee, den der Kunstexperte Eduard Beaucamp als „den schwierigsten Fall der Moderne" (S. 121) bezeichnet hat. Im Vertrauen auf die Prämisse des frühen Wittgenstein, die Welt sei alles was der Fall ist, setzt Anita Eckstädt konsequent bei einer frühen Kinderzeichnung Klees an, die er im Gegensatz zu anderen Kinderzeichnungen nicht in sein Werkverzeichnis aufgenommen hat und die Bearbeitung seiner frühkindlichen Konflikte durch das bildnerischen Gestalten aufzeigt. Als erfahrene Psychoanalytikerin, die u.a. psychoanalytische Erstgespräche als „Kunst des Anfangs" publiziert hat, setzt die Autorin die sequenzanalytische Methode bei der Rekonstruktion psychosozialer Prozesse konsequent um. Sie ignoriert zunächst Erkenntnisse aus den erwachsenen Schaffensperioden, um möglichst materialnah den Ursprung des Schöpferischen bei Klee zu erfassen. Wie offen ihre Vorgehensweise ist, zeigt ein kürzlich veröffentlichtes Werk, in dem dieses frühe Bild „Mimi überreicht Madame Grenouillet einen Blumenstrauß", (Psychosozial-Verlag 2015) nochmals für ein vertieftes Verständnis des Schaffensprozess und der Innovationskraft Klees aufgegriffen wird.

Auf der Grundlage der schöpferischen Lösung frühkindlicher familiärer Konflikte gelangt die Werkbetrachtung zu dem als Schlüsselbild für das künstlerische Schaffen interpretierten Bild des zehnjährigen Klee, der Blume mit vier Blättern (S.43ff.), das von der Autorin als „Klee-Rose" benannt wird und deren wiederkehrendes Auftreten bis in das Todesjahr herausgearbeitet wird. Die Klee-Rose wird als Hoffnungsträger und Energiebasis für den werdenden Künstler herausgearbeitet und mit einem eindrucksvollen Zitat aus den veröffentlichten Briefen über eine Bildskizze des 26-Jährigen belegt: „Ich habe drei Figuren diesmal; sie schreiten über ein wüstes Feld, wo Unrat und alles Üble herumliegt. Aber ihr Idealismus ver-lässt sie keinen Augenblick, jede hat eine Rose in der Hand, und hierüber ist alles, besonders das unabänderliche Gegenwärtige vergessen" (S.54). Eindrucksvoller kann man den unbeugsamen Kampf eines Menschen, der in seinem Leben viele finstere Zeiten erlebt hat, nicht belegen. Und im Identifizieren einer solchen Haltung blitzt die breite Kenntnis der Autorin über problematische Lebenslagen durch, so z.B. ihre Beschäftigung mit Hörigkeitsverhältnissen in einem Werk über Natio-nalsozialsmus in der zweiten Generation, Suhrkamp 1989.

Das Erfreuliche an den Werkbetrachtungen - insbesondere bei Klee - ist die Tatsache, dass sich dem interessierten Leser Spielraum für eigene Überlegungen eröffnen. In der dargestellten Entwicklung des Künstlers Paul Klee wird offensichtlich, dass er seine Lebensgeschichte reflektiert und in den Griff bekommen hat. Das bezeugen nicht nur seine Briefe und Erinnerungen, sondern auch seine Entwicklung als Theoretiker. Anita Eckstädt arbeitet schlüssig heraus, wie der Punkt und in Folge die Bewegung der entscheidende Kristallisationspunkt des Bauhaus-Professors Klee wurde. Und in dieser Linie können interessante Entdeckungen gemacht werden. Betrachtet man das Bild Vast (Rosenhafen) auf Seite 65, hat man den Eindruck, dass man eine Partitur vor sich hat. Hat Klee über seine Hoffnungshüterin, die Rose, den Bezug zu seiner Musikerfamilie aufgegriffen und damit seine Entwicklung von einer möglicherweise gewöhnlichen Musikerlaufbahn zum genialen Neuerer der bildenden Kunst bildnerisch reflektiert? Und verweist seine Betonung der Bewegung in der Kunst im Gegensatz zu seinem Freund und Kollegen Kandinsky, der im Gleichklang mit dem Komponisten Arnold Schönberg einem formalisierten Kunstbegriff zuneigte, auf eine generelle Dualität der künstlerischen Entwicklung in der Moderne? Bücher, die solche Fragen aufwerfen, braucht nicht nur die Kunstgeschichte, sondern auch die Sozialwissenschaft. Warum stellt Anita Eckstädt in einem Buch, das solch fundamentale Fragen aufwirft, den Vergleich mit dem deutlich weniger bekannten Maler Bruno Goller an? Weil an seinem Beispiel die Methode der psychoanalytischen Werkbetrachtung noch klarer demonstriert werden kann als bei Paul Klee. Während Klee als philobatische Persönlichkeit analysiert wird, also eine mit suchendem und entgrenzendem Potenzial, erscheint Bruno Goller in der analytischen Rekonstruktion als oknophile Persönlichkeit mit dem Zwang der zentrierenden und bindenden Potenzialität. Bei Goller wird das als künstlerische Kompensation einer dramatischen Lebensgeschichte dargestellt, die im frühen Verlust des Vaters und dem sukzessiven Verlust von zunächst zwei weiblichen, dann zwei männlichen Geschwistern eine ambivalente Fixierung auf die stark bleibende Mutter bewirkte. Noch stärker als in der Werkbetrachtung bei Klee speist die Autorin ihre Analyse aus dem Bildmaterial des Künstlers. Und - wenig überraschend -, wo im einen Fall die Klee-Rose gestaltend wirkt, so im anderen Fall das „Gol-ler-Mädchen" (S. 189). Dass Goller an der Bearbeitung von Mädchen und Frau Zeit seines langen Lebens (er wurde 98 Jahre alt und durchlebte nahezu das gesamte 20. Jahrhundert) angehaftet blieb, ist aufgrund seiner traumatischen Erlebnisse nicht erstaunlich. Dass er mithilfe seines künstlerischen Schaffens nicht in ernsthafte psychische Krisen abrutscht, macht Hoffnung. Der Anschluss zu Klienten orientierten Theorien der Psychiatrie wie Recovery und Resilienz ist naheliegend. Dass sie von einer kunstinteressierten Psychoanalytikerin angestoßen wird zeigt, wie viel theoretisches Potenzial in der Psychiatrie brach liegt. Die Begeisterung über das Buch soll damit abgerundet werden, dass der Rezensent nicht nur von der Brillanz der Autorin, sondern auch von der handwerklichen Machart beeindruckt ist. Das Buch ist solide gebunden, enthält viele gut reproduzierte Farbabbildungen und kommt eher einem Kunstband nahe als einer wissenschaftlichen Monografie. Seinen Preis ist es allemal wert."

Michael Konrad, Ravensburg

Die Autorin

Anita Eckstaedt, Diplom-Psychologin und Nervenärztin, ist Lehr- und Kontrollanalytikerin (DPV, IPV) in eigener Praxis in Kronberg im Taunus. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an Universitätskliniken sowie am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main unter Alexander Mitscherlich. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Diagnostik und Indikation zur Psychoanalyse, Nationalismus und seine transgenerationalen Folgen sowie Psychoanalytische Kunstinterpretationen.

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