Details

Autor Hübl, Philipp
Verlag Rowohlt
Auflage/ Erscheinungsjahr 19.05.2017
Format 19 × 12.5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 480 Seiten
Gewicht 352
ISBN 9783499628535

Eine grundlegende philosophische Analyse unbewusster Vorgänge - jetzt in einer preiswerten TB-Ausgabe erhältlich.

Zu diesem Buch

Das menschliche Bewußtsein ist das größte Rätsel der Wissenschaft: Jeder einzelne Mensch besteht aus Milliarden von Molekülen, die weder denken noch fühlen können – und doch machen sie zusammen die Persönlichkeit und das subjektives Erleben der Menschen aus.

Das Unbewußte ist ebenso rätselhaft; was dort passiert, das ist immer noch stark umstritten und die Annahmen reichen von denen der Psychoanalyse bis zu ganz anderen kognitionstheoretischen Konzepten

Wie bestimmen unbewußte Eindrücke, Wünsche und Informationen das Denken, Fühlen und Handeln? Hübl in seiner mitunter plastisch-griffigen Sprache konstatiert eine gute Nachricht: Wir sind die Herren im eigenen Haus, auch wenn wir manchmal nicht wissen, wer im Keller umherschleicht. Die schlechte Nachricht: Wir überschätzen nicht selten unseren Einfluss und reden uns fälschlicherweise ein, wir hätten gute und insbesondere rationale Gründe für unsere Taten und Un-Taten ...

Der herausgebende Rowohlt Verlag dokumentiert einige zentrale Passagen aus der Einführung von Philipp Hübls Studie «Der Untergrund des Denkens»:

Das entfesselte Unbewußte

«Wenn wir uns verlieben, sind wir Marionetten der Pheromone.» – «Die Gesellschaft zwingt uns zur Selbst-Optimierung.» – «Die Werbung zielt auf unser Reptilienhirn.» Solche Thesen hören und lesen wir oft: in Fernsehsendungen und Zeitungen, in Hörsälen und auf Konferenzen. So oft, dass wir schon fast daran glauben könnten. Ein großes Thema unserer Zeit, neben Klimawandel und Digitalisierung, ist der unvernünftige und verführbare Mensch, der der Macht des Unbewussten hilflos ausgeliefert ist.

Das war nicht immer so. Von der antiken griechischen Philosophie über die europäische Aufklärung bis in die Moderne galt eigentlich die Vernunft als dasjenige Merkmal, das uns Menschen von Tieren unterscheidet. Dabei ist die Vernunft kein Organ wie das Herz oder die Augen, sondern zeigt sich in der Art und Weise, wie wir etwas tun, nämlich wenn wir gründlich nachdenken und bewusst handeln.

In der Kulturgeschichte konkurrieren also, grob gesprochen, zwei Bilder über die Natur des Menschen. Das klassische Bild stellt uns als selbstbestimmte Personen dar, die bewusst über sich und die Welt nachdenken und vernünftige Entscheidungen treffen. Seit mehr als 100 Jahren skizzieren allerdings Forscher vieler Fachrichtungen ein Gegenbild, manchmal mit feiner Linie, oft mit breitem Pinselstrich. Sie stützen sich dabei auf Kulturbeobachtungen, klinische Fälle sowie auf psychologische und neurologische Experimente. Sosehr sich die Fachrichtungen wie Psychologie, Kulturwissenschaft und Hirnforschung auch unterscheiden, so überraschend einig sind sich viele Forscher in einem Punkt – sie stellen das klassische Bild in Frage.

Der Gegenentwurf besteht aus einer Familie von verwandten Ideen und Theorien, die auf unterschiedliche Weise unbewusste Kräfte betonen und so die Macht der Vernunft und des Bewusstseins bezweifeln. Typische Thesen sind beispielsweise, verdrängte Wünsche würden unser Handeln leiten, unsere Muttersprache determiniere unser Denken, das Ich sei eine Illusion und das Hirn entscheide für uns. Entsprechend suggestiv sind aktuelle Buchtitel zum Thema im Stile von: Die Intelligenz des Bauches, Die Konstruktion des Ich, Die Hirn-Fiktion, Der Selbst-Wahn, Die Illusion des freien Willens.

Kritische Vernunft vs. «big idea»

In diesem Buch verteidige ich das klassische Bild gegen seine Kritiker. Ich werfe einen Blick in den Untergrund des Denkens, auf das Fundament und die Katakomben darunter, und rücke die unbewussten Effekte ins rechte Licht. Dabei geht es um Themen wie Vergnügen, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Identität, Wünschen, Wahrnehmen, Sprechen, Denken, Entscheiden und Handeln. (…)

Meine Diagnose für diese und viele andere Beispiele lautet, dass wir so weiterleben können wie bisher. Erstens entpuppen sich die meisten Thesen von der Macht des Unbewussten als maßlose Übertreibungen. Zweitens machen uns die wenigen unbewussten Einflüsse nicht zwingend hilflos oder unvernünftig. Und drittens zeichnet uns Menschen die kritische Vernunft aus, die wir bewusst einsetzen und durch Training verbessern können, um uns gegen Einfluss zu schützen.

Aristoteles, Kant und ein paar ihrer Kollegen hatten doch recht. Philosophie ist nichts anderes als die Anwendung der kritischen Vernunft. Der philosophische ist oft der zweite Blick. Man nimmt die richtige Distanz ein, kneift die Augen etwas zusammen und sieht die Dinge plötzlich schärfer.

Auf den ersten Blick entsteht in den populären Medien der Eindruck, wir würden wie ferngesteuerte Zombies durch die Welt wanken. Wenn Beiträge mit den Worten beginnen: «Wissenschaftler haben herausgefunden», ist es erst einmal naheliegend, die Inhalte für bare Münze zu nehmen. Wer sollte es besser wissen als eben die Wissenschaftler? Doch auf den zweiten, den kritischen Blick merkt man, dass die meisten unbewussten Phänomene vielschichtig sind, die Experimente oft mehrere Interpretationen zulassen und die Theorien daher allenfalls vorläufig sein müssten, präsentiert als vorsichtig formulierte Hypothesen.

Aus dem Inhalt

Einführung: Das entfesselte Unbewusste

  • Die dunklen Seiten des Bewusstseins
  • Das Modell

Philosophisches Handwerk

  • Schönheit durch Wiederholung: der Vertrautheitseffekt
  • Der philosophische Werkzeugkasten
  • Wie man mit dem Skalpell philosophiert
  • Unbewusstes Denken. Oder: Wie man mit dem Hammer philosophiert
  • Freiwillige Selbstkontrolle
  • Die Vermarktung der Wissenschaft
  • Vom Elfenbeinturm ins Labor und zurück

Uneinsichtiger Geist

  • Phänomenale Farben
  • Jemand hat Schmerzen, bin ich das?
  • Die Wissenschaft vom Innenleben
  • Die stillen Aufforderungen des iPhones
  • Kellner im Vordergrund, Erdbeben im Hintergrund
  • Die Kühlschrank-Illusion und andere Tücken der Selbstbeobachtung
  • Kann man Eindrücke ausdrücken?

Rätselhaftes Bewusstsein

  • Das Doppelleben des Schmerzes
  • Mit Leib und Seele
  • Das Fundament des Bewusstseins
  • Wo sind die NCC?
  • Die ungenaue Landkarte des Hirns
  • Bewusstsein als schönste Nebensache der Welt
  • Grenzen der Phantasie
  • Kopfsprung von der Spitze des Eisbergs
  • Höhere Stufen des Bewusstseins

Selektive Aufmerksamkeit

  • Unsichtbare Gorillas
  • Menschentausch
  • Danke für die vielen Aufmerksamkeiten
  • Flaschenhals, Scheinwerfer, Muskel oder Türsteher?
  • Die magische Zahl Sieben
  • Aufmerksamkeit als Türsteher zum Bewusstsein
  • Wie streng ist der Türsteher?
  • Bewusstsein im Überfluss
  • Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein?
  • Das Hügel-Modell der Aufmerksamkeit
  • Der Selekteur am Fuße des Bewusstseinshügels

Verdrängte Wünsche

  • Die Erfindung der Psychoanalyse im 18. Jahrhundert
  • Über-Ich und Unter-Ich
  • Die Hydraulik des Seelenlebens
  • Freuds Theorietraum
  • Das Freud’sche Versprechen
  • Es ist nur drin, was man reinsteckt
  • Der Stoff, aus dem die Wünsche sind
  • Es denkt, also bin ich
  • Es ist dein altes Ego

Getäuschtes Selbst

  • Wie man ein falsches Selbstbild konstruiert
  • Die alltägliche Selbstüberschätzung
  • Humor mit Hirnspaltung
  • Der Segen der Selbsttäuschung
  • Das Paradox der Selbsttäuschung

Unsichtbares Ich

  • Identität und Individualität
  • Der Letzte macht das Ich aus
  • Spielt die Identität eine Rolle in der Geschichte?
  • Auf der Suche nach der verlorenen Identität
  • Meinigkeit
  • Ich als Charakter

Instinktive Sprache

  • Immer im Rahmen bleiben
  • Sprache als Organ
  • Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden
  • Krieg, Tanz, Kraft, Reise
  • Bestien und Viren
  • Die metaphorische Schrotflinte
  • Denkt die Sprache für uns?
  • Ist alles relativ?
  • Schnee von gestern
  • Achtung: Farben!
  • GPS im Kopf
  • Die Enthexung des Verstandes

Unterschwellige Wahrnehmung

  • Der verführerische Supermarkt
  • Wie man Entscheidungen in die richtige Bahn lenkt
  • Der Schwellenwert der Werbung
  • Die Unwiederholbarkeit unbewusster Manipulation
  • Das Gesetz der großen Wahl

Intuitives Entscheiden

  • Mit festem Schuhwerk auf dem Pfad der Logik
  • Die angekränkelte Vernunft
  • Die Fallstricke der Mathematik
  • Überleben der Intuitiven
  • Liebe: Pro und Contra
  • Die Einfältigkeit des Unbewussten
  • Die Schwächen der Intuition
  • Das Zuckerbrot der Intuition und die Peitsche der Vernunft

Kontrolliertes Handeln

  • Was tun?
  • Wie man beim Handeln auf Autopilot schaltet
  • Der Flow
  • Handelt unser Hirn für uns?
  • Fußball, Tourette und andere Zwänge
  • Kontrollillusionen
  • Ferngesteuerte Menschen
  • Wie fühlt sich Handeln an?
  • Tischrücken und andere Bewegungsillusionen

Konzentrierte Vernunft

  • Der Geist auf Wanderschaft
  • Die Zerstreuung in der Kultur
  • Das Glück der Selbstbeherrschung
  • Zirkeltraining für die Aufmerksamkeit
  • Das Odysseus-Prinzip
  • Wie man das Leben richtig abzinst
  • Freude am kontrollierten Kontrollverlust
  • Kreative Kontrollabgabe
  • Die dunkle Seite des Bewusstseins und die Rückkehr der Vernunft

Ausblick: An der langen Leine des Bewusstseins

  • Ich am Ende des Tunnels
  • Das sichtbare Mysterium

Über den Autor

Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart. Er studierte Philosophie und Sprachwissenschaft in Berlin, Berkeley, New York und Oxford und lehrte in Aachen und Berlin.

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