Details

Autor Neubaur, Caroline
Verlag Vorwerk 8
Auflage/ Erscheinungsjahr 2008
Format 25 × 17 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Hardcover
Seiten/ Spieldauer 662 Seiten
Gewicht 1283
ISBN 9783940384072

Eine einzigartige Tour d'Horizon zu den nationalen und internationalen Entwicklungen der Psychoanalyse und ihren Themenfeldern im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte.

Zu diesem ersten Band der Reihe

Die Autorin hat über 30 Jahre lang die Tagungen der verschiedenen deutschen, europäischen und der internationalen psychoanalytischen Vereinigungen bereist und darüber (hauptsächlich in der FAZ) Bericht erstattet. Doch schon die Lektüre eines einzigen ihrer Tagungsberichte macht deutlich, dass es der Autorin um weit mehr als nur die Referierung der jeweiligen Tagungsinhalte geht: Stets unterzieht sie die wichtigsten Vorträge und Diskussionen einer kritischen Würdigung, erweitert deren Horizonte und reichert sie unter Zuhilfenahme u.a. philosophischer, religionsphilosophischer, soziologischer oder (gesundheits-)politischer Aspekte an.

Die nun vorliegende Synopsis sämtlicher Kongreßberichte läßt darüber hinaus Tendenzen und Weiterentwicklungen wie auch Sackgassen erkennen, sowohl was den Kampf dieser Wissenschaft um die Heilung der traumatisierten Seelen wie auch ihre Positionierung zwischen den anderen Wissenschaften (wie der Medizin, Biologie etc.) und den eigenen Platz in der Gesellschaft anbetrifft. Aus dem "Nachspüren" auf der Fährte der bei allen Brüchen, Sprüngen und inneren Widersprüchen doch organisch gewachsenen Wissenschaftsdisziplin hat sich ein zusätzlicher Reiz daraus ergeben, daß man es bei jeder Tagung mit einem neuen Ort und damit konkreten politisch-historischen Besonderheiten zu tun bekommt. Diesen Reiz hat die Autorin "mitgenommen" und für den Leser spürbar gemacht.

Es handelt sich bei dieser umfangreichen Textsammlung also auch um ein Zeitdokument, dem durch die besondere Form der Texte - Kongreßberichte - noch die Frische der Eindrücke, die Zeitnähe anhaftet. Und um welch' ungemein lebendige, inspirierte, aus der Kontroverse schöpfende Erfahrungswissenschaft es sich bei der Psychoanalyse handelt, davon zeugen nicht zuletzt der Esprit, die Verve und der Witz, manchmal aber auch der Zorn von Neubaurs ´Berichten`.

Der Band enthält ein Vorwort von Klaus Heinrich, eine Einleitung der Autorin und ein "Kollektives Nachwort" von sieben Psychoanalytikern (Hermann Beland, Friedrich-Wilhelm Eickhoff, Ludwig Haesler, Marianne Leuzinger-Bohleber, Bernd Nissen, Gerhard Schneider, Winfrid Trimborn) sowie ein Register.

Redaktionelle Anmerkung der Redaktion ›Index Psychoanalyse‹ zum Erscheinen des Buches (2008)

Das Fleißwerk der bekannten Kulturwissenschaftlerin und FAZ-Kolumnistin Caroline Neubaur kann auch ratlos machen. - Es nicht anzukündigen, bedeutete fahrlässige Unterlassung, hat sich doch bereits eine Schar der von dieser Aufsatzsammlung höchst angetanen Unterstützern und Vorrednern (u. a. Klaus Heinrich) eingefunden und zu Wort gemeldet.

Das nicht enden wollende Inhaltsverzeichnis thematisiert in einer Tour de force so ziemlich alles, was während dreißig Jahren im psychoanalytischen Tagungs- und Sitzungswesen behandelt und angesprochen wurde; es läßt dabei im Subtext das überaus tiefe Involviertsein der Autorin in die vielfältigen analytischen Diskurse über die Zeit aufscheinen.

Die u. E. spürbare latente Distanz-Losigkeit zum Psychoanalysebetrieb der Autorin wird nicht gänzlich aufgelöst dadurch, daß die Berichte und Kommentare aus definitiv kluger Feder stammen. Die in einer langen Einleitung antönende Motivlage für das vehemente Interesse der Autorin an "der"  Psychoanalyse – die eigene Opferkarriere - , macht stutzig, interferiert doch die Herausstellung und Verknüpfung dieser sehr persönlichen Motivlage mit den Erwartungen des Lesers, hier eine möglichst nüchtern-abgeklärte, kompetente und aus einer gesunden, ´freischwebenden` Distanz entstandene (Hintergrund-)Berichte vorzufinden.

Aus der Vorrede von Klaus Heinrich

"Ein Buch wie dieses haben wir uns lange schon gewünscht: in dem der psychoanalytische Chor die Bühne betritt und wir ihn von Auftritt zu Auftritt begleiten dürfen. Ein unerhörter Schwebezustand stellt sich ein. Jene gleichschwebende Aufmerksamkeit, die Freud dem Analytiker in jeder seiner Analysestunden anempfahl, hier wird sie den großen, oft nicht minder abenteuerlichen Sitzungen des psychoanalytischen Kollektivs zuteil, denen eine ebenso neugierige wie aufmerksame Berichterstatterin mehr als ein Menschenalter lang rund um den Globus folgt. Die Ausbeute ist groß und unerwartet. Die seismischen Wellen und tektonischen Veränderungen der Realgeschichte, deren Spuren wir auch hier wahrzunehmen vermeinen, kündigen sich als seelische Irritationen oft schon vor aller historischen Erfahrung an, vergessene, das heißt verdrängte Kontinuitäten erschrecken beim Wiederlesen vermeintlich individueller Fallgeschichten.

So zum Beispiel hat der Terror eine quasi familiäre Vorgeschichte, die von seiner Gattungsvorgeschichte nicht zu trennen ist, signalisiert die scheinbar verspätete Auseinandersetzung mit dem NS in der psychoanalytischen Selbstwahrnehmung dessen erschreckende Präsenz nicht nur in Täter- und Opferkindern, sondern ebenso in der Täter- und Opferrolle des Analytikers selbst, der so nicht minder zur Durcharbeitung genötigt wird wie sein Partner auf der Couch. Selbst scheinbar oberflächliche Konflikte, wie der Streit um die Kassenzulassung der psychoanalytischen Kur oder um die Zahl der wöchentlichen Behandlungsstunden, entpuppen sich als Existenzfragen von ebenso spirituellem wie materiellem Gewicht. Plötzlich spürt der Leser, durch die Auseinandersetzung mit Psychoanalyse als empirischer Disziplin hindurch, die permanente Präsenz der Wahrheitsfrage.

Gattungsgeschichte und Wahrheitsfrage – beide sind nicht wegzudenken aus dem Aufklärungsanspruch, den die Psychoanalyse als eine therapeutische ebenso wie geisteswissenschaftliche Disziplin erhebt. Ein Buch wie dieses sucht seine Leser nicht nur unter Therapeuten. Können wir uns eine Geisteswissenschaft heute, die auf Aufklärung beharrt, auch nur vorstellen ohne die Einbeziehung psychoanalytischer Denkfiguren? Eine ernsthafte Beschäftigung mit Vergangenheit ohne die Figur der Verdrängung, der Wiederkehr des Verdrängten, der Auseinandersetzung mit ihm? Können wir die Glaubenskämpfe in den Religionen, das Reinheitsgebot philosophischer Begriffe, auch nur den logischen Mechanismus der Abstraktion verstehen ohne sie?

Es ist kein biographischer Zufall, daß die Berichterstatterin, die hier eine besondere Art von Kongreßveranstaltungen dokumentiert, den Weg von Musik und Theater im München der sechziger Jahre (vielleicht erinnern wir uns noch der aufklärerischen Veranstaltungen des Theaters damals) zu einer Literaturwissenschaft in Berlin und schließlich zu einer Religionswissenschaft gefunden hat, die, um an ihrem Aufklärungsanspruch festhalten zu können, einen Psychoanalyseschwerpunkt in ihrem Lehrplan verankert hatte. Und es lag nahe, daß die Berichterstatterin, als sie Mitarbeiterin an diesem Institut geworden war, die Weiterentwicklung der Psychoanalyse zu einem Schwerpunkt ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit machte (ihre Dissertation war damals die erste philosophische Winnicott-Monographie in einem Land, dem die britische Schule der aus Deutschland und Österreich vertriebenen Psychoanalyse noch lange eine terra incognita blieb). Die Studierenden des Instituts verdankten ihrer Unterweisung die Vertrautheit mit den Schriften Melanie Kleins, Winnicotts und Bions – besonders Hermann Beland hatte zu seiner Rezeption den Anstoß gegeben – und damit die Chance der Konfrontation mit einem psychoanalytischen Intellektualitätsbegriff, der durchaus eine »Revolution der Denkart« (Kant) für die zeitgenössische Erkenntnistheorie bedeutet hätte. – Die intellektuelle Façon des hier vorgelegten Sammelbands hat enorm von ihrer Lehrtätigkeit profitiert.

Sie fuhr auf jeden der Kongresse mit neuen eigenen Fragen, und die in ihre Berichterstattung aufgenommenen Interviews lassen das existentielle Interesse an Aufklärung spürbar werden. Umgekehrt kam ihre Berichterstattung auch der Institutsarbeit zugute, die sich so wenig wie die Aufzeichnungen in diesem Band mit einem positivistischen Objektivitätsbegriff vertrug.

Wer die hier versammelten Berichte liest, wird auch ein Stück kritisch beäugter Universitätsgeschichte durchschimmern sehen. Ich empfinde das durchaus als einen Gewinn gegenüber der mit Interdisziplinarität bemäntelten Departementalisierung des zeitgenössischen Bildungsbetriebs.

Endlich und nicht zuletzt: eine jede nicht fundamentalistische, und das heißt zugleich nicht sektiererische Beschäftigung mit der Wirklichkeit, in der wir leben, muß von der Ambivalenz aller Seelenregungen, der oftmals schon vorauseilend und als Schutz aufgebotenen Zerreißung der Person, dem selbstzerstörerischen Sog, der unsere Zivilisation bedroht, dem Todeswunsch noch in dem scheinbar abgeklärtesten Urteil szientifischer Provenienz (es wird ja gefällt!) selbstkritisch Kenntnis nehmen.

Der Spiegel der Kongreßberichterstattung in diesem Band, gerade weil er seine wechselnden Gegenstände mit gleichschwebender Aufmerksamkeit behandelt, verweist unmittelbar auf das Spiegelungsverhältnis der psychoanalytischen Situation und vermittelt diese mit geradezu gruppendynamischem Effekt: Übertragung und Gegenübertragung, Gefäß für andere sein und Rückgabe des so Gefaßten in verarbeiteter Form und mit erweitertem Resonanzraum, nunmehr dem des Lesers, stellen sich wie von selber her. So wie Heilung im psychoanalytischen Prozeß die Balancierung der von selbstzerstörerischer Zerreißung bedrohten Person bedeutet – eine Balance, der die Spannung erhalten bleiben muß, deren Löschung den psychischen ebenso wie spirituellen Tod zur Folge hätte –, stellen die hier versammelten Kongresse ihrerseits mehr oder weniger gelingende Balancierungsversuche dar. Ihr spezifischer Veranstaltungscharakter macht das deutlich: er droht bereits dort zu kippen, wo Informationenaustausch an die Stelle der gemeinsamen, meist widersprüchlichen Anteilnahme an den die Einzelvorträge dirigierenden ›Fallgeschichten‹ tritt. Diesen dient daher die ungeteilte, niemals indezente Aufmerksamkeit der Berichterstatterin.

So bewegt sich schwerfällig, nicht immer zielstrebig, doch niemals aussetzend, ein von der psychoanalytischen Kommunität angestrengter selbstanalytischer Prozeß durch die Berichterstattung über die hier ausgebreitete Kongreßgeschichte. Das immerhin ist ein Hoffnungsschimmer gegenüber so viel gegenseitigem Todeswunsch, wie er jede Kongreßerfahrung unterirdisch begleitet. Diesen Hoffnungsschimmer teilt die winzige Facette, die in diesem Buch erscheint, mit der einzigen größeren Hoffnung, mit der wir an das Fortbestehen unserer Gattung denken können: daß sie mit allen ihren Grausamkeiten noch immer in einem solchen selbstanalytischen Prozeß befangen sei.

Caroline Neubaur hat mit diesem Buch einer kollektiven Erinnerungsarbeit – wie wohltuend unter so viel solistischen Memoiren heute die Präsenz des Chors! – zum Nachdenken auch darüber angeregt. – Daß vieles auch amüsant zu lesen ist, Orte lebendig werden, ferne Zeiten wieder auferstehen, überhaupt die Buntheit der Kongresse an weltweiten Veränderungen teilnehmen läßt, versteht sich bei einer reiselustigen Wissenschaftsjournalistin von selbst."

Klaus Heinrich, Berlin, im Februar 2008

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