Details

Autor Seidler, Günther H.
Verlag Klett-Cotta
Auflage/ Erscheinungsjahr 4. Aufl.; 25.09.2015
Format 21,6 × 13,5 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 391 Seiten
Gewicht 570
ISBN 9783608947779

Aus der Einleitung des Autors zu diesem Buch

"Seit das zunächst 1981 in den USA erschienene Buch „Die Maske der Scham" von Léon Wurmser fast 10 Jahre später in einer Übersetzung auch dem deutschen Leserpublikum zugänglich wurde, ist eine größere Bereitschaft zur Beschäftigung mit dem bislang weitgehend vernachlässigten Affekt der Scham zu erkennen. Diese Verlagerung in dem, was ´für wichtig erachtet wird`, steht in unterschiedlichem Maße in Verbindung mit anderen Akzentverschiebungen in Psychotherapie und Psychoanalyse. Das traditionelle Tricbmodell ist vielen problematisch geworden, die relative Vernachlässigung der Konzeptualisierung von Affekten in der psychoanalytischen Theorie macht sich zunehmend bemerkbar und stellt neue Aufgaben, und immer häufiger suchen schwer und schwerst beeinträchtigte Patientinnen und Patienten um psychotherapeutische Hilfe nach, denen mit überlieferten psychodynamischen Vorstellungen allein nicht angemessen entsprochen werden kann. Eine basale thematische Veränderung scheint mit allen diesen Einzelphänomenen in Zusammenhang zu stehen: Es geht um eine Verschiebung einer am Individuum orientierten Betrachtungsweise zugunsten einer Sicht, in der das Verständnis von Beziebungsprozeacn im Vordergrund steht.

Subjekt-Objekt-Konfigurationen und Affekte lassen sich beziehungstheoretisch besser fassen als in der Sprache der traditionellen Psychoanalyse. Hier, wo es um Differenzierungen zwischen „Ich" und „Anderem", zwischen „vertraut" und „fremd" geht, hat die Schamthematik ihren Platz, und ihre aktuelle Bedeutung dürfte damit in Zusammenhang zu bringen sein, daß gegenwärtig das Augenmerk vieler Psychotherapeuten und Psychoanalytiker auf Beziehungsprozessen ruht. Diese Grundeinstellung kennzeichnet auch den eigenen Ansatz, der sich über weite Strecken als Übersetzungsversuch verstehen läßt: Es geht darum, die monadologische Sprache der klassischen Psychoanalyse in die von Wechselseitigkeitsbeziehungen zwischen Subjekten zu übertragen.

Beziehung hat stets zwei Seiten, eine nach innen und eine nach außen. Hinsichtlich der erstgenannten geht es um Rückbezüglichkeit, um Reflexivität, um das Selbstverhältnis, bei der zweiten geht es um Wechselseitigkeitsbeziehungen zwischen Subjekt und Gegenüber, die sich, über Wahrnehmungsvorgänge ineinander verschränkt, gegenseitig in ihrer Identität determinieren und definieren. Entsprechend geht es in diesem Buch um eine Entwicklungsgeschichte der Subjekt-Objekt-Beziehung. Als Phantasma beginnt sie in einem Raum der Ungeschiedenheit zwischen Subjekt und Gegenüber, als Realität ist ihre reifste Ausgestaltungsform in der Ödipalität zu finden und danach. Mit diesem Ansatz geht es damit auch um den Versuch einer Überwindung der Dichotomie von häufig defekttheoretisch konzeptualisierter Frühstörungspathologie und einer ihr gegenübergestellten „reifen", auf Konfliktfähigkeit beruhenden. Der gelegentlich anzutreffenden Vorstellung, die Scham sei ein charakteristischer Affekt frühgestörter Patientinnen und Patienten, sieht die Beobachtung entgegen, daß traditionelle Konzepte zum Verständnis dieses Affektes sieh eher mit der Situation bei Patientinnen und Patienten befassen, die sich auf einem ödipalen Störungsniveau bewegen. Im eigenen Ansatz werden die Wandlungen im Erscheinungsbild und in der psychodynamischen Vernetzung dieses Affektes auf den unterschiedlichen Entwicklungsstufen untersucht - der zunächst ins Auge gefaßte Titel des Buches „Die Metamorphose der Scham" sollte dem Rechnung tragen.

Aber neben der Entwicklungsgeschichte des Schamaffektes werden noch andere „Wandlungen" untersucht. Es gehl auch um den Gestaltwandel des Selbst und den des „Anderen" - und ganz zentral um den der Beziehung selbst. Manifestiert sie sich zunächst in einem interaktionellen Raum des interpersonellen Austausches, wird sie zunehmend angeeignet und findet ihren Ausdruck in der internalisierten Struktur der „objektiven Selbstbewußtheit".

Das hier vorgeschlagene Modell lebt von dem. was in der traditionellen psychoanalytischen Forschung entwickelt wurde. Aber es nimmt auch objektbeziehungstheoretische Denkfiguren auf. Dabei ist bemerkenswert, daß es in beiden Orientierungen nicht gelang, ein angemessenes Verständnis für den Affekt der Scham auszuarbeiten. Das könnte mit der monadischen Orientierung der traditionellen Psychoanalyse, wie sie in ihrer Hauptströmung ausformuliert wurde, zusammenhängen. Allerdings erscheint auch die Objekibeziehungstheorie für das Verständnis von Wechselseitigkeitsprozessen unzureichend. (...)"

Stimmen zum Buch

"Diese Arbeit füllt eine bisher spürbare Lücke in unseren Kenntnissen über Scham, ihre Störungen und ihre Einflüsse auf die menschliche Entwicklung. Seidlers gedankenreiche, aufgeschlossene und anregende Art, Theorie und klinische Realität auf den Prüfstand zu stellen, sollte für jeden psychoanalytisch Tätigen eine Bereicherung sein."

Otto F. Kernberg

Der Autor

Günter H. Seidler, Prof. Dr. med., ist Leiter der Sektion Psychotraumatologie im Zentrum für Psychosoziale Medizin der Universitätsklinik Heidelberg. Er begann seine Laufbahn als Neurochirurg. Er ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychoanalytiker und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Gruppen-Lehranalytiker (DAGG), Lehrtherapeut und -analytiker und EMDR-Supervisor.

Der Vorentwurf zu seinem ersten Buch ("Der Blick des Anderen. Eine Analyse der Scham") wurde 1989 mit dem Förderpreis der DPG (Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft) ausgezeichnet. Die empirische Überprüfung des dort entwickelten Konstruktes in seiner Habilitationsschrift ("Stationäre Psychotherapie auf dem Prüfstand. Intersubjektivität und gesundheitliche Besserung", 1999) wurde mit dem "Forschungspreis Psychotherapie in der Medizin" ausgezeichnet. - Günter H. Seidler ist Mitherausgeber der Zeitschrift »Trauma & Gewalt. Forschung und Praxisfelder«.

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