Details

Autor Mau, Steffen
Verlag Suhrkamp
Auflage/ Erscheinungsjahr Originalausgabe; 13.06.2017
Format 20,2 × 12 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Paperback
Seiten/ Spieldauer 308 Seiten
Gewicht 362
Reihe edition suhrkamp
ISBN 9783518072929

Zu diesem Buch

Ob Bildung, Gesundheit oder Konsum: Über so ziemlich jeden Aspekt unserer Person und unseres Verhaltens werden inzwischen Daten gesammelt. Schritt für Schritt entsteht so eine Gesellschaft der Sternchen, Scores, Likes und Listen, in der alles und jeder ständig vermessen und bewertet wird. Das beginnt beim alljährlichen Hochschulranking, reicht über die Quantified-Self-Bewegung fitnessbegeisterter Großstädter, die über das Internet ihre Bestzeiten miteinander vergleichen, bis hin zur Beurteilung der Effizienz politischer Maßnahmen. Steffen Mau untersucht die Techniken dieser neuen Soziometrie und zeigt ihre Folgen auf. Die Bewertungssysteme der quantifizierten Gesellschaft, so sein zentraler Gedanke, bilden nicht einfach die Ungleichheiten in der Welt ab, sondern sind letztlich mitentscheidend bei der Verteilung von Lebenschancen.

Aus der Einletung des Autors

"Im Frühjahr 2015 hat die chinesische Regierung ein spektakuläres, ja geradezu revolutionäres Vorhaben angekündigt: Sie plant, bis zum Jahr 2012 ein sogenanntes Social Credit System zu entwickeln. Dafür sollen aus allen gesellschaftlichen Bereichen Daten über individuelles Verhalten eingesammelt, ausgewertet und schließlich zu einem einheitlichen Score zusammengeführt werden. Aktivitäten im Internet, Konsum, Verkehrsdelikte, Arbeitsverträge, Bewertungen von Lehrern oder Vorgesetzten, Konflikte mit dem Vermieter oder das Verhalten der eigenen Kinder - all das kann in dieses System einbezogen werden und Auswirkungen auf den individuellen Social Score haben. Das System soll jeden erfassen, ob er oder sie das will oder nicht. Es geht darum, ein Gesamtbild des Wertes einer Person zu erstellen, auf dessen Grundlage ihr dann wiederum bestimmte Möglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt, im Arbeitsleben oder beim Zugang zu Krediten eingeräumt werden. Behörden sollen auf diese Informationen zurückgreifen können, wenn sie mit Bürgern interagieren; Unternehmen sollen die Möglichkeit haben, sich auf diesem Weg ein Bild ihrer Geschäftspartner zu machen. Damit möchte die chinesische Regierung die Aufrichtigkeit ihrer Bürger belohnen und Unaufrichtigkeit sanktionieren. Das Vorhaben zielt erklärtermaßen auf die Herstellung von gesellschaftlichem Vertrauen, einer »Mentalität der Ehrlichkeit« - und zwar mit dem Mittel der totalen sozialen Kontrolle.

Ein extremes und düsteres Beispiel, fürwahr. Allerdings steht es für einen allgemeinen Trend hin zu
quantifizierenden Formen sozialer Rangbildung , die zunehmend ein eigenständiges System der Hierarchisierung und Klassifikation darstellen. Dieses Buch beschäftigt sich mit der Herausbildung einer Gesellschaft der Scores, Rankings, Likes, Sternchen und Noten. Es handelt von daten- und indikatorenbasierten Formen der Bewertung und Kontrolle, die einer umfassenden Quantifizierung des Sozialen Vorschub leisten. Es geht um die Gesellschaft der allgegenwärtigen Soziometrie oder kurz:
um das metrische Wir. Soziologisch betrachtet, haben wir es bei solchen quantifizierten Selbstbeschreibungen nicht mit der bloßen Widerspiegelung einer vorgelagerten Realität zu tun, sie können vielmehr als generativer Modus der Herstellung von Differenz angesehen werden. Quantitative Repräsentationen kreieren die soziale Welt nicht, aber sie re-kreieren sie (Espeland & Sauder, 2007). Sie sind demzufolge als Realität sui generis anzusehen.

Der neue Quantifizierungskult - der »Zahlenrausch«, wie es Jürgen Kaube einmal genannt hat (nach Hornbostel et al., 2009) – ist in engem Zusammenhang mit der Digitalisierung zu sehen, die sich in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen manifestiert und diese radikal restrukturiert. Die vielfältigen Daten, die wir produzieren und die fortwährend gespeichert werden, erzeugen einen immer größeren digitalen Schatten, manchmal mit unserem Einverständnis, oft auch ohne dieses. In der Welt von Big Data sind Informationen über Nutzer, Bürger oder einfachnur Menschen der Rohstoff, aus dem sich Gewinn schlagen lässt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich die Informationsökonomie zu einer Krake entwickelt hat, die nicht nur massenhaft Daten einzieht, sondern diese mithilfe von Algorithmen auswertet und für vielfältige Zwecke bereitstellt. Dabei geht es stets darum, Unterscheidungen zu treffen - zu codieren - mit einschneidenden Folgen für Prozesse der Klassifikation und der Statuszuweisung. Digitale Statusdaten werden zu »Unterscheidungszeichen« (Bourdieu) par excellence. Dass sich Praktiken des Messens, Bewertens und Vergleichens nicht nur schleichend, sondern rasant verbreiten, mag angesichts der exponentiell wachsenden Möglichkeiten der Datenerzeugung und -verarbeitung nicht weiter verwundern. Aber es wäre zu einfach, diese allgemeine Kultur der Quantifizierung einseitig als technologische zu interpretieren, denn es kommt zugleich auf die aktive Mitmachbereitschaft zahlreicher gesellschaftlicher Akteure an: Zum einen müssen sie solche Verfahren und Maßstäbe akzeptieren, zum anderen müssen sie ihre Daten zur Verfügung stellen und sich bewerten lassen. (...)"

Stimmen zum Buch

»Steffen Mau führt in seinem theorie- und empiriegesättigten Buch den Irrsinn der Verdatung plastisch vor. Seine analytische Stärke besteht darin, dass er die zugrunde liegenden Machtverschiebungen seziert und darlegt, wie eine Technologisierung der Kontrolle stattfindet.«

Adrian Lobe, auf: Zeit Online

»Anschaulich und detailverliebt beschreibt Mau die Datafizierung der Welt samt ihrer Kraft zur Vereinheitlichung von Systemen und Personen.«

Volker Bernhard, in: DIE ZEIT

Inhalt

Einleitung

1. Die Vermessung des Sozialen

  • Was bedeutet Quantifizierung?
  • Die kalkulativen Praktiken des Marktes
  • Der Staat als Datenmanager
  • Zahlentreiber: Digitalisierung und Ökonomisierung

2. Statuswettbewerb und die Macht der Zahlen

  • Vergleichsdispositive
  • Kommensurabilität und Inkommensurabilität
  • Neue Vergleichshorizonte
  • Register des Vergleichs und investive
  • Statusarbeit

3. Hierarchisierung: Rankings und Ratings

  • Visibilisierung und Erzeugung von Differenz
  • Plätze einnehmen!
  • Universitätsrankings
  • Treppauf, treppab: Die Marktmacht der Ratingagenturen

4. Klassifizierung: Scorings und Screenings

  • Kreditscoring
  • Der quantifizierte Gesundheitsstatus
  • Mobilitätswertigkeit
  • »Boost your score« - Statusmarker in der Wissenschaft
  • Ermittlungen sozialer Wertigkeit

5. Bewertungskult: Sterne und Punkte

  • Zufriedenheitsfeedbacks
  • Bewertungsportale als Selektoren
  • Peer-to-Peer-Bewertungen
  • Professionen im Bewertungsfokus
  • Gefällt-mir-Reputation in den sozialen Medien

6. Quantifizierung des Selbst: Balken und Kurven

  • Gesundheit, Bewegung, Stimmungen
  • Der kollektive Körper
  • Motivationstechniken

7. Benennungsmacht

  • Die Benennungsmacht des Staates
  • Leistungsmessung und die Inszenierung von Wettbewerb
  • Benennungsmacht der Experten
  • Algorithmische Autorität
  • Kritik der Benennungsmacht

8. Risiken und Nebenwirkungen

  • Reaktive Messungen
  • Verlust professioneller Kontrolle
  • Zeit- und Energieverluste
  • Monokultur versus Diversität

9. Transparenz und Disziplinierung

  • Normativer und politischer Druck
  • Die Macht des Feedbacks
  • Technologische Überwachung in der Arbeitswelt
  • Die neuen Tarifsysteme
  • Die Verquickung von Selbst- und Fremdüberwachung
  • Das Regime der Durchschnitte, Benchmarks und Körperschemata

10. Das Ungleichheitsregime der Quantifizierung

  • Herstellung von Wertigkeit
  • Reputationsmanagement
  • Kollektive der Ungleichen
  • Vom Konflikt der Klassen zum Wettbewerb der Individuen
  • Unentrinnbarkeit und Statuslabilität
  • Sich selbst verstärkende Effekte

Literatur

Der Autor

Steffen Mau, geboren 1968, ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. In der edition suhrkamp sind zuletzt erschienen: Lebenschancen. Wohin driftet die Mittelschicht? und (zusammen mit Nadine M. Schöneck als Herausgeber) (Un-)Gerechte (Un-)Gleichheiten (es 2684).

Kaufoption

18,00 €