Details

Autor Tilmann Moser
Verlag Suhrkamp
Auflage/ Erscheinungsjahr 2. Aufl. 27.03.1996
Format 20,3 × 12,8 cm
Einbandart/ Medium/ Ausstattung Geb. mit SU
Seiten/ Spieldauer 350 Seiten
Gewicht 440
SFB Artikelnummer (SFB_ID) SFB-000018_AC

Zu diesem Buch

Fünfzig Jahre nach Kriegsende, Holocaust und nationalsozialistischer Herrschaft drängt bei vielen Patienten die unerledigte Vergangenheit in Psychotherapien ans Licht. Es geht nicht nur um die zerbrochenen, teils idyllischen, teils entsetzlichen Bilder der Eltern in den Seelen der »zweiten Generation«, um das große Schweigen und die unbekannten Biographien von Tätern und Mitläufern in den Jahren des Dritten Reiches. Die Erforschung der Traumatisierung der Holocaustopfer und der nachfolgenden Generationen ist viel weiter fortgeschritten als die Erforschung der versteinert erscheinenden Psyche der Täter und ihrer Kinder. Es geht in deren Psychotherapie auch um die verinnerlichten dämonischen Bilder von Hitler, Himmler und Goebbels und anderen Führern und Verführern, die einst idealisiert, ja idolisiert waren und die nach dem Ende ihrer Herrschaft als die Vertreter des absoluten Bösen erschienen. Es geht um die destruktiven Kräfte, mit denen Täter und Mitläufer sich identifizierten und dadurch gewissenlos wurden.

Der Freiburger Psychoanalytiker und Körpertherapeut Tilmann Moser zeigt auf, daß es schwierig, wenn nicht unmöglich ist, Hitler und andere Wirkkräfte, die Partei, die SS, die Gestapo, die Russen, die Bomberflotten, die arische Rasse, die Untermenschen, die Juden, in die Übertragung zu bringen. Sie können das Arbeitsbündnis, das Grundvertrauen, ja die analytische Identität des Therapeuten so stark bedrohen, daß die Behandlung entgleist oder flach bleibt. Denn neben den Elternbildern gibt es innere, verfolgerische, terroristische oder »dämonische Figuren«, die Angst und Panik verbreiten können. Moser macht deutlich, daß die Verwendung von Rollenspiel und Inszenierung oft größere Chancen bietet, den Patienten mit seinen bedrohlichsten »Introjekten« und unbewußten Phantasien zu konfrontieren, als die aus-schließliche Arbeit mit der Übertragung. Dem ersten theoretischen Teil »Psychoanalyse und Macht« folgt ein zweiter: Zehn Stundenprotokolle aus der Behandlung von verschiedenen Patienten, in deren früheren Therapien die NS-Zeit weitgehend ausgeblendet worden war, bringen Bei-spiele solcher Inszenierungen innerhalb einer analytischen Therapie. Sie sind spannend zu lesen und verdeutlichen die lange Verschüttung der NS-Zeit in seelischen Giftmülldeponien, für die der Schlüssel verloren schien.

Inhalt

Theoretischer Teil: Psychoanalyse und Macht

  1. Dämonische Introjekte und der therapheutische Umgang mit Ihnen
  2. Erfahrungen in der klassischen Analyse mit Übertragung und Gegenübertragung
  3. Die Beschädigungen des Tätervolks
  4. Politik, Familie und seelischer Untergrund
  5. Kriegskinder und Kriegsfamilien
  6. Der Verdacht der Entlastung der Täter
  7. Spätfolgen bei Opfer- und Täterkindern

Klinischer Teil: Stundenprotokolle

  1. Kurze Einführung
  2. Goebbels als archaisches Introjekt
  3. Bombenkeller und späte haltende Hand
  4. Die Bomberflotte in der eigenen Seele
  5. Der Werwolf und der Warner vor neuem Nazi-Unheil
  6. Ein NS-Sprengsatz in der dritten Generation
  7. Lähmung und Schweigen. Der unbekannte SS-Vater
  8. Die Reise nach Sachsenhausen
  9. Dämonie des Schweigens und des Redens
  10. KZ Oriaenburg, Sicherheitsdienst und das Tagebuch der Mutter
  11. Das Kind als seelischer Lastenträger

Schlußbetrachtungen

  1. Erinnern gegen den Krieg
  2. Die öffentliche und die private Bewältigung der NS-Zeit
  3. Behandlungstechnische Schlußfolgerungen

Aus dem Vorwort

Neben der Wende, der Flut der Gedenktage in den vergangenen Jahren in den Medien und den drängender werdenden Problemen von Therapiepatienten waren es vor allem mehrere geschichtliche Anlässe, die mich zum Formulieren meiner Gedanken über die seelischen Spätfolgen von Holocaust, NS-Zeit und Krieg führten: eine mehrteilige Vorlesung zum Thema »Psychoanalyse und Macht« bei den Lindauer Psychotherapiewochen 1993, ein Vortrag bei der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie 1994 zum Thema »Übertragung und Inszenierung — Der therapeutische Zugang zu den geschichtlichen Katastrophen«, ein Vortrag beim Kongreß für Familientherapie 1994 in Freiburg, »Politik, Familie und seelischer Untergrund«, ein Vortrag zum 50. Jahrestag der Bombardierung Freiburgs im November 1994 bei der Tagung der Katholischen Akademie in Freiburg zum Thema »Erinnern wider den Krieg«, sowie eine Rede zum so. Geburtstag des Kriegsendes in der Universität Freiburg und schließlich ein Vortrag im Jüdischen Museum in Wien zur Angleichung der seelischen Schäden bei Opfer-und Täterkindern in der zweiten Generation. Die Vorträge bilden das Gerüst dieses Buches. Sie erklären den unterschiedlichen Sprachstil und den unterschiedlichen Grad von Abstraktion in einzelnen Kapiteln wie die gelegentliche Wiederholung einzelner Thesen, die ich nicht in jedem Fall tilgen wollte. Es handelt sich also nicht um eine Monographie im strengen Sinn, sondern um die Wiedergabe einer allmählichen Entwicklung der Einsichten, die durchaus einen eigenen seelischen Prozeß bedeuteten. Die Einstellung auf ein unterschiedliches Publikum löste sogar ganz unterschiedliche affektive und intellektuelle Reaktionen aus, die es zu integrieren galt.

Der Autor

Tilmann Moser, geboren 1938, studierte Philologie, Politik und Soziologie; im Frankfurter Sigmund-Freud-Institut absolvierte er seine Ausbildung zum Psychoanalytiker, seit 1979 arbeitet er in freier Praxis als Psychoanalytiker in Freiburg. Er hat die klassische Psychoanalyse um den körperlichen Aspekt erweitert: zur psychoanalytisch orientierten Körperpsychotherapie.

Lieferbarkeitshinweis

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